Impulse für nachhaltigen Biomasseeinsatz

NRW.Energy4Climate: Biomasse muss gezielt in Industrie und Energiewirtschaft eingesetzt werden

Ob für die Ernährungssicherung, zum Umwelt- sowie Klimaschutz, als Baumaterial, zur Herstellung biobasierter Kunststoffe oder zur Energiegewinnung – für diese und weitere verschiedene Einsatzgebiete wird die begrenzte und viel diskutierte Ressource Biomasse bereits genutzt. Ein am 12.01.2023 veröffentlichtes Diskussionspapier der Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate gibt Impulse, wo Biomasse in der Industrie und zur Energiegewinnung zukünftig am effizientesten und besonders nachhaltig eingesetzt werden kann.

Biogas-Anlage Berge, Prignitz – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Um die globalen Klimaziele zu erreichen und fossile Treibhausgasemissionen zu reduzieren, spielt Biomasse aufgrund ihrer vielfältigen Einsatzmöglichkeiten als Rohstoff sowie erneuerbarer Energieträger eine wichtige Rolle. Die möglichen Anwendungs- und Einsatzfelder von Biomasse und damit einhergehend die Nachfrage nach biogenen Rohstoffen wachsen rasant. Schon jetzt gibt es vielfältige Konkurrenz um die Nutzung. Der Einsatz von Biomasse als nachhaltige Ressource muss deshalb strategisch und priorisiert nach Verfügbarkeit erfolgen, so die Autor:innen des Diskussionspapiers „Nachhaltiger Einsatz von Biomasse. Die Rolle von Biomasse in der Energiewende und in einer klimaneutralen Industrie“.

Tania Begemann, Projektmanagerin Industrie & Produktion und eine der Autor:innen: „Nicht überall, wo Biomasse theoretisch eingesetzt werden kann, ist dies zukünftig auch sinnvoll. Uns ist wichtig, mit dem Papier besonders auf neue wichtige und bislang wenig bekannte Anwendungen, wie den stofflichen Einsatz in der chemischen Industrie und der Metallurgie, aufmerksam zu machen. Wir wollen dafür sensibilisieren, die wertvolle und limitierte Ressource Biomasse mit Bedacht einzusetzen. Die von uns entwickelte Biomasse-Nutzungshierarchie soll dabei eine Hilfestellung geben.“

Samir Khayat, Geschäftsführer von NRW.Energy4Climate: „Ergänzend zum herkömmlichen Einsatz von Biomasse nehmen aktuell neu aufkommende Nutzungspfade in der Industrie zu. Diese müssen bei der Planung des Ressourceneinsatzes und der Gestaltung entsprechender Politikinstrumente jetzt unbedingt mitgedacht werden. Das Papier ist somit auch ein wichtiger Diskussionsbeitrag für die aktuell in Planung befindliche Nationale Biomassestrategie. Eine solche Gesamtstrategie ist dringend notwendig.“

Die kürzlich veröffentlichten Eckpunkte für die Nationale Biomassestrategie (NABIS) der Bundesregierung, die zur mittel- und langfristigen, nachhaltigen Ressourcennutzung sowie zum Klima- und Biodiversitätsschutz beitragen sollen, bilden bereits einige der im Diskussionspapier dargestellten Inhalte und Empfehlungen ab. So zum Beispiel die Priorisierung des Biomasseeinsatzes und das Aufzeigen von mehr Effizienz durch eine Kaskaden- beziehungsweise Mehrfachnutzung.

Wie funktioniert die Biomasse-Nutzungshierarchie?

Die drei im Papier adressierten Einsatzfelder von Biomasse sind: die strukturelle Nutzung in Textilien, Papier, Möbeln und Baumaterialien, die (roh-)stoffliche Nutzung beispielsweise in der Chemiebranche oder in der Metallurgie, und eine energetische Nutzung zur Bereitstellung von Strom und Wärme oder in Form von Kraftstoffen. Jedes Einsatzfeld stellt dabei verschiedene Anforderungen an die Beschaffenheit und Qualität der Biomasse.

Im Gegensatz zu einer einfachen und einmaligen Nutzung erhöht eine mehrstufige Kaskadennutzung die Material- und Energieeffizienz. Erst nach einer idealerweise mehrfachen strukturellen und stofflichen Nutzung sollte als letzter Schritt der mehrstufigen Kaskadennutzung die energetische Verwertung von biogenen Abfall- und Reststoffen, oftmals Verbrennung, erfolgen. Damit Einsatzfelder beispielsweise anhand dieser Biomasse-Nutzungshierarchie zielgerichtet priorisiert werden können, werden im Papier Forderungen an Forschung, Industrie und Politik formuliert.

Handlungsempfehlungen

Damit Forschung und Unternehmen das Thema vorantreiben können, bedarf es neuer politischer Rahmenbedingungen sowie einer zielgerichteten und beschleunigten Diskussion, Festlegung und vor allem Umsetzung notwendiger Steuer- und Politikinstrumente. Dabei sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden:

  • Gezielte Förderungen, um die Bereitstellung sowie die Nutzung von Biomasse in zukunftsfähigen Einsatzfeldern systematisch voranzutreiben, insbesondere solche, die nicht durch klimaneutrale Alternativen (in Bezug auf Rohstoff- oder Energiebedarf) versorgt werden können.
  • Fehlanreize und Investitionen in Einsatzbereichen, in denen hochwertige Biomasse nicht effizient bezüglich des Gesamtsystems zur Anwendung kommt, wie zum Beispiel die Niedrigtemperaturwärmeerzeugung zur Beheizung von Gebäuden, sollten hingegen vermieden und entsprechende existierende Förderungen angepasst werden.
  • Stärkung von Wertschöpfungsketten, die die mehrfache Nutzung von Biomasse vorsehen. Beim Biomasse-Einsatz sollten biogene Abfall- und Reststoffe, wo verfahrenstechnisch möglich, immer Vorrang vor frischer Anbau-Biomasse haben.

Das Papier zeigt zudem auf, in welchen Anwendungen noch Bedarf für Forschung und zur Technologieentwicklung besteht und welche Daten zur Erhebung künftiger Bedarfe von Biomasse fehlen oder aktualisiert werden müssen.

Potenziale von Biomasse mit Gesamtstrategie steigern

Kurzinterview zum Diskussionspapier „Nachhaltiger Einsatz von Biomasse“ mit Dr. Nico Schneider, Projektmanager Industrie und Produktion, und Dr. Petr Tluka, Projektmanager Energiewirtschaft aus dem Autorenteam der Publikation:

Warum beleuchtet die Publikation das Thema Biomasse schwerpunktmäßig von zwei Seiten – einmal aus Sicht von Industrie und Produktion, und einmal aus Sicht der Energiewirtschaft?

Schneider: Biomasse dient primär der Ernährungssicherung und zum Umwelt- sowie Klimaschutz und wird darüber hinaus in bekannten Branchen wie die Papier-, Textil- oder Baustoffindustrie vielfach als Rohstoff eingesetzt – Tendenz steigend. Allerdings nimmt der Bedarf an Biomasse auch in weiteren Branchen zu, die für ihre Produkte Biomasse – oder vielmehr den darin enthaltenen Kohlenstoff – als Ersatz für fossilen Kohlenstoff benötigen werden, zum Beispiel in der Chemiebranche. Demnach gehört zur vollständigen Darstellung des Biomasseeinsatzes auch die aktuelle und künftige industrielle Verwendung von Biomasse.

Tluka: Mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien gelingt es uns zunehmend, Bereiche, die in der Vergangenheit von der energetischen Biomassenutzung geprägt waren, mit anderen Technologien abzudecken. Die prominentesten Beispiele sind dabei der Einsatz von Wärmepumpen bei der Wärmeversorgung oder die Elektrifizierung der Mobilität. Dadurch kann die Biomasse in anderen, höherwertigen Bereichen, eingesetzt werden.

Es geht also dabei nicht um die Begrenzung der Nutzung oder noch weniger um die Begrenzung der Verfügbarmachung von Biomasse, sondern den Einsatz bei den Anwendungen, die die höchste Systemrelevanz aufweisen oder von anderen Technologien nicht abgedeckt werden können. Deswegen ist es notwendig, sowohl die Anwendungsfälle als auch die Bioenergie im Kontext der Energiewirtschaft genauer zu betrachten.

Warum ist ein gezielterer Einsatz von Biomasse, der die Industrie mehr berücksichtigt, aus Ihrer Sicht so wichtig?

Schneider: Im Allgemeinen ist Biomasse eine begrenzte Ressource und das Biomasse-Angebot limitiert. Demgegenüber steigt die Nachfrage nach biogenen Stoffen rapide, da immer mehr Branchen und Industrien auf nachhaltige und fossilfreie Produkte und Prozesse setzen und Biomasse hier eine alternative Ressource darstellt. Demnach ist ein strategischer und priorisierter Einsatz von Biomasse unumgänglich.

Durch eine zielgerichtete Kaskadennutzung, also der mehrmaligen Verwendung von Biomasse in idealerweise mehreren Wertschöpfungsschritten können so zum einen möglichst viele Anwendungs- und Einsatzfelder bedient werden. Zum anderen werden so aber überhaupt auch erst dringend benötigte Potenziale von biogenen Nebenprodukten, Rückständen sowie Rest- und Abfallstoffen erschlossen.

Was sind Ihre Forderungen im Diskussionspapier, vor allem in Richtung Politik?

Tluka: Die Potenziale von Biomasse müssen gesteigert werden, jedoch nur im Rahmen einer Gesamtstrategie, die eine Kaskadennutzung vorsieht und die Alternativen der Biomassenutzung analysiert und mit geeigneten Rahmenbedingungen forciert. Wir sind auf dem richtigen Weg, den Energiesektor zu defossilisieren. Der Einsatz von Gas, Öl und Kohle beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Strom- und Wärmeproduktion sowie auf den Einsatz von Kraftstoffen.

Unter anderem in der Industrie gibt es viele Prozesse, die zwar defossilisiert werden können, jedoch weiterhin auf den Einsatz von Kohlenstoff angewiesen sind. Diese Anwendungen müssen in einer gesamten Biomasse- oder weiter gefasst Kohlenstoff-Strategie verstärkt betrachtet werden, damit Biomasse da eingesetzt wird, wo eine Dekarbonisierung nicht möglich ist oder wo Biomasse durch dessen Eigenschaften besondere systemdienliche Aufgaben leistet.

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