Auch begrenzter Atomkrieg könnte Weltmeere verwüsten

Modellrechnungen von THE CONVERSATION

Die USA und Russland haben sich im vergangenen Herbst darauf geeinigt, Gespräche über den neuen START-Vertrag zu führen, das einzige Abkommen, das die beiden größten Atomwaffenarsenale der Welt regelt. Obwohl dies zweifellos eine gute Nachricht war, durften wir uns dadurch nicht in Selbstzufriedenheit wiegen lassen. Die weltweiten Ereignisse, vor allem in der Ukraine, haben die Angst vor einem Atomkonflikt auf ein seit dem Kalten Krieg nicht mehr erreichtes Niveau gehoben. Weltweit gibt es noch mehr als 10.000 nukleare Sprengköpfe, und die Äußerungen des Kremls über Massenvernichtungswaffen sind im Jahr 2022 immer bedrohlicher geworden – schreiben Tyler Rohr, Cheryl Harrison, Kim Scherrer und Ryan Heneghan in THE CONVERSATION.

Französischer Atombombentest auf dem Fangataufa-Atoll am 03.07.1970, 25 km südlich von Mururoa – Foto © Pierre J., Französische Armee, CC BY-NC-SA 2.0

Abgesehen von den schrecklichen Schicksalen der Opfer in den Einschlagsgebieten würde ein groß angelegter nuklearer Schlagabtausch das Klimasystem, wie wir es kennen, tiefgreifend verändern, während begrenztere Szenarien verheerende Auswirkungen haben könnten. Immer mehr Arbeiten zeigen, dass selbst ein lokaler Atomkonflikt eine Klimakatastrophe auslösen könnte. Als Meereswissenschaftler haben wir uns überlegt, was dies konkret für die Weltmeere bedeuten könnte.

Globale Hungersnot und Klimazusammenbruch

1982 schlug eine Gruppe von Wissenschaftlern, darunter Carl Sagan, John Birks und Nobelpreisträger Paul Crutzen, Erfinder des Begriffs Anthropzän, Alarm wegen einer Klimaapokalypse, die auf einen Atomkrieg folgen könnte. Anhand einfacher Computersimulationen und analog zu historischen Vulkanausbrüchen zeigten sie, wie der Rauch, der bei städtischen Feuerstürmen in die Stratosphäre aufsteigt, die Sonne für Jahre blockieren kann.

Sie fanden heraus, dass dieser „nukleare Winter“, wie er später von Crutzen genannt wurde, katastrophale Hungersnöte weit entfernt vom Kriegsschauplatz auslösen könnte. Ronald Reagan und Michail Gorbatschow beriefen sich beide auf diese Arbeit, als sie erklärten, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden könne.

Die gegenwärtige Bedrohung hat eine neue Ära der Forschung über die möglichen Auswirkungen eines Atomkriegs auf das Klima eingeleitet. Mit Hilfe modernster Berechnungsinstrumente haben wir untersucht, welche Folgen dies für das gesamte Leben auf der Erde haben würde. In unseren jüngsten Forschungsergebnissen zeigen wir, dass ein Atomkonflikt das Klimasystem massiv stören und eine weltweite Hungersnot verursachen würde. Auch der Ozean und seine Ökosysteme könnten noch Jahrzehnte und möglicherweise Tausende von Jahren nach einem Konflikt dramatisch gestört werden.

Ein Atomkrieg würde die Ostsee zufrieren lassen

Wir haben das Szenario eines Atomkriegs zwischen den USA und Russland untersucht, in dessen Folge 150 Milliarden Tonnen Ruß aus brennenden Städten in die obere Atmosphäre gelangen. Wir fanden heraus, dass das geringe Licht und die rasche Abkühlung große physikalische Veränderungen in den Ozeanen verursachen würden, einschließlich einer dramatischen Ausdehnung des arktischen Meereises. Entscheidend ist, dass dieses Eis wachsen und die normalerweise eisfreien Küstenregionen blockieren würde, die für Fischerei, Aquakultur und Schifffahrt in ganz Europa wichtig sind.

Drei Jahre nach einem solchen Krieg würde sich das arktische Meereis um 50 % ausdehnen, die Ostsee ganzjährig vereisen und wichtige Häfen wie Kopenhagen und St. Petersburg schließen. Selbst im Szenario eines begrenzteren Konflikts zwischen Indien und Pakistan würden 27 bis 47 Milliarden Tonnen Ruß in die obere Atmosphäre geschleudert, und die daraus resultierende Abkühlung würde die Schifffahrt durch die Meere Nordeuropas stark beeinträchtigen.

Schlimmer noch: Der plötzliche Rückgang des Lichts und der Meerestemperaturen würde die Meeresalgen dezimieren, die die Grundlage des marinen Nahrungskreislaufs bilden, was zu einer jahrelangen Hungersnot im Meer führen würde. Obwohl der gesamte Ozean betroffen wäre, würden sich die schlimmsten Auswirkungen auf höhere Breitengrade konzentrieren, darunter ganz Europa und insbesondere die baltischen Staaten, wo das Licht im Meer bereits schwach ist.

Die Gewässer in der Arktis und im Nordatlantik trügen die Hauptlast und wahrscheinlich den Zusammenbruch des gesamten Ökosystems auslösen. Obwohl die Fischerei derzeit nur einen relativ kleinen Teil der europäischen Wirtschaft ausmacht, könnte der Druck, sich mit Nahrungsmitteln aus dem Meer zu versorgen, noch größer werden, wenn die landwirtschaftlichen Systeme an Land zusammenbrechen und der Kontinent nur noch wenige Möglichkeiten zur Ernährungssicherung hat.

Ein veränderter Ozean

Wir erwarteten, dass ein Rückgang des Sonnenlichts und niedrigere Temperaturen zu mehr Meereis und weniger Algen in den Ozeanen führen würden. Wir waren jedoch schockiert, dass sich unser Modellozean nach einem Krieg noch jahrzehntelang wesentlich veränderte, lange nachdem die Temperatur- und Lichtverhältnisse wieder den Vorkriegszustand erreicht hatten. Das Meereis würde sich in einem neuen, erweiterten Zustand „einnisten“, in dem es wahrscheinlich für Hunderte von Jahren bleiben würde.

Zehn Jahre nach den Konflikten erholt sich die globale Meeresproduktivität und übersteigt sogar ihren Ausgangszustand. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die anhaltenden Veränderungen der Ozeanzirkulation Nährstoffe aus der Tiefe an die Oberfläche treiben. Sobald sich der Ruß auflöst und das Licht zurückkehrt, kann das Phytoplankton diese Nährstoffe nutzen, um schnell zu wachsen.

Warum erholt sich der Ozean so langsam von einem Atomkonflikt? Wasser erwärmt und kühlt sich sehr langsam, und der Ozean ist stark geschichtet, wobei verschiedene Wassermassen übereinander liegen. Dadurch hat der Ozean ein viel längeres „Gedächtnis“ als die Atmosphäre. Einmal gestört, lassen sich viele Veränderungen innerhalb menschlicher Zeiträume nicht mehr rückgängig machen, oder es ist unwahrscheinlich, dass sie in ihren Ausgangszustand zurückkehren.

Diese Erkenntnisse eröffnen eine neue Perspektive darauf, wie stark der Mensch das Erdsystem beeinflussen kann. Während wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass unsere Treibhausgasemissionen das Klima verändern können, sollten wir nicht vergessen, dass die Atomwaffenarsenale immer noch groß genug sind, um das Erdsystem in einem Wimpernschlag grundlegend zu verwandeln.

Die lange und die kurze Sicht

Angesichts dieser nüchternen Einsichten ist es moralisch geboten zu fragen, was getan werden könnte und sollte, um einen Atomkonflikt zu verhindern. Seit kurzem gibt es in Oxford eine neue Sichtweise auf eine alte Philosophie. Die Idee, die als „Langfristigkeit“ bekannt ist, besagt, dass eine angemessene Berücksichtigung der schieren Anzahl möglicher zukünftiger Menschenleben nahezu jeder Maßnahme, die das Risiko des Aussterbens der Menschheit auch nur geringfügig verringert, Vorrang einräumen sollte.

Diese Logik hat die üblichen Begleiterscheinungen, wenn man versucht, Mathematik mit Moral zu verbinden, aber sie ergibt viel mehr Sinn, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Risiko unsereses Aussterbens – und damit die Chance, dass wir es abwenden können – nicht wirklich unvorstellbar gering ist.

Selbst ein begrenzterer Konflikt könnte unsere Ozeane in einen grundlegend neuen Zustand versetzen, der viel, viel länger anhält, als wir erwartet hätten. Das Verständnis der Länge und des Gewichts dieser Zeitskalen sollte in unserem Kalkül der laufenden Diplomatie an erster Stelle stehen.

Autoren:

  • Tyler Rohr, Dozent für biogeochemische Modellierung des Südlichen Ozeans, IMAS, Universität von Tasmanien
  • Cheryl Harrison, Assistenzprofessorin für Ozeanographie und Küstenwissenschaften, Louisiana State University
  • Kim Scherrer, Postdoktorandin am Fachbereich Biologische Wissenschaften, Universität Bergen
  • Ryan Heneghan, Dozent für Mathematische Ökologie, Queensland University of Technology

->Quelle: theconversation.com/even-a-limited-nuclear-war-could-devastate-the-worlds-oceans-heres-what-our-modelling-shows