Macron fordert atomare Gefolgschaft ein

Frankreich stört sich an EU-Position

Am 24.03.2023 hat der französische Präsident Macron in Brüssel verlangt, dass sich die EU-Mitgliedstaaten  „ein für alle Mal“ entscheiden müssten, ob die Atomkraft eine Rolle bei der Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft spielen solle, schreibt Paul Messad auf EURACTIV. Acht Tage zuvor, am 16.03.2023, hatte die Europäische Kommission ihren Entwurf für den Net-Zero Industry Act (NZIA) vorgelegt, der sicherstellen sollte, dass bis 2030 40 Prozent des EU-Entwicklungsbedarfs an sauberen Technologien durch heimische Produktionskapazitäten gedeckt werden soll. Der Text führt die Kernenergie am Rande, neben anderen sauberen Technologien auf – ein Schritt, der von Befürwortern der Kernenergie als „positives politisches Signal“ bezeichnet wird. Das hat man auch in Paris zur Kenntnis genommen.

Verharmlosung*): AKW Cruas, Rhône, mit spielendem Kind auf Kühlturm – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Während „die Verhandlungen [über den Plan] gerade erst begonnen haben“, sei es notwendig, „den Umfang der erfassten Technologien zu erweitern, da die Nukleartechnologien in dieser Verordnung nur teilweise erfasst sind“, hieß es. Der Kommissionsvorschlag selbst erwähnt nur „fortgeschrittene Technologien zur Energieerzeugung aus Kernenergie mit minimalen Abfällen aus dem Brennstoffkreislauf“ sowie „kleine modulare Reaktoren“ und ignoriert damit die bestehende Kernenergie, die Frankreich in der europäischen politischen Debatte neu entwickeln und durchsetzen will. Die Kernenergie wird jedoch nur als eine Technologie aufgeführt, die „einen bedeutenden Beitrag zur Dekarbonisierung leisten wird“, und nicht unter den „strategischen“ Technologien, die im Anhang des Textes aufgeführt sind. Letztere „werden besonders unterstützt und unterliegen dem Richtwert von 40 Prozent heimischer Produktion“, so die Europäische Kommission.

*) 1991 entschieden die EDF, Framatome und der Conseil général de l’Ardèche, ein Gemälde mit dem Thema „Ökologie“ auf dem nördlichen Kühlturm erstellen zu lassen. Neun Bergsteiger schufen das 155 m hohe und 12500 m² umfassende Wandbild in rund 3 Monaten nach einem Entwurf des wallonischen, aber in Frankreich lebenden Malers Jean-Marie Pierret. Etwa 8000 Arbeitsstunden und 4000 Liter Farbe wurden dafür benötigt. Das Bild mit dem Namen Aquarius zeigt ein Kind, welches aus einer Muschel Wasser auf eine Glaspyramide gießt, und soll die Bedeutung von Luft und Wasser symbolisieren. Das Gemälde wurde am 16. Dezember 1991 eingeweiht (siehe: de.wikipedia.org/Kernkraftwerk_Cruas).

„Die Kernenergie kann bei unseren Bemühungen zur Dekarbonisierung eine Rolle spielen – das ist wichtig“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen  nach dem ersten Tag des EU-Gipfels, an dem die Antwort der EU auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) diskutiert wurde. „Aber nur die Netto-Null-Technologien, die wir als strategisch für die Zukunft erachten – wie zum Beispiel Solarzellen, Batterien und Elektrolyseure – haben Zugang zu den vollen Vorteilen und Nutzen“, fügte sie hinzu. „Die hochmoderne Kernkraft ist also für bestimmte Bereiche geeignet, aber nicht für alle.“ Damit hatte sie den französischen Präsidenten eigentlich schon zurückgewiesen.

Von der Leyen: Atomkraft nicht „strategisch“ für EU-Klimaschutz

Von der Leyen hat am 24.03.2023 die Grenzen der EU-Rückendeckung für die Atomkraft definiert. So gelte diese im Rahmen der neuen Industriestrategie für saubere Technologien als nicht strategisch. Im Net-Zero Industry Act wird die Kernenergie als eine von acht Technologien aufgeführt, von denen erwartet wird, dass sie „einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung“ in Europa leisten. Neben Solar- und Windenergie, Batterien und Wärmepumpen gehören dazu auch „fortschrittliche Technologien zur Energieerzeugung aus Kernprozessen mit minimalen Abfällen aus dem Brennstoffkreislauf“ und „kleine modulare Reaktoren.“

Die traditionelle Kernenergie taucht jedoch nicht in einem separaten Anhang der Verordnung auf, in dem „strategische Netto-Null-Technologien“ definiert werden, die „besondere Unterstützung erhalten“ und für die ein „40-prozentiger inländischer Produktionsrichtwert“ gilt, um die einheimische Industrie in Europa zu fördern.

Für solche „strategischen“ Industrien wird ein Gesamtinvestitionsbedarf von „rund 92 Milliarden Euro im Zeitraum 2023-2030“ erwartet, mit einem „öffentlichen Finanzierungsbedarf von 16 bis 18 Milliarden Euro“, so die Kommission in einem Arbeitspapier, das zusammen mit dem Net-Zero Industry Act veröffentlicht wurde. Atomkraft wird in dem Arbeitspapier der Kommission über „strategische“ Industrien mit keinem Wort erwähnt. Frankreich kämpft derzeit dafür, Atomkraft mehr Anerkennung zu verschaffen. Das soll eine wichtige Rolle beim Klimaschutz der EU spielen. Im Februar erst hat Paris eine Allianz von 11 Ländern ins Leben gerufen, um die Kernenergie als CO2-arme Stromquelle zu fördern und „gemeinsame Industrieprojekte“ zu starten. Für Länder wie Deutschland, Österreich oder Luxemburg, die der Atomenergie ablehnend gegenüberstehen, wäre eine EU-Finanzierung von Atomprojekten jedoch ein Schritt zu weit. Die EU-Mitgliedsstaaten tragen direkt zum EU-Haushalt bei, und die Regierungen dieser Länder werden es nicht akzeptieren, Steuergelder in die Kernenergie zu stecken, hieß es gegenüber EURACTIV (euractiv.de/kein-atomkraft-entschluss-frankreich-stoert-sich-an-eu-position).

Parlamentarischer Kampf wird eröffnet

Diese Teil-Anerkennung der Kernenergie ist somit ein Ärgernis für Frankreich und seine Atomindustrie. „Der amerikanische IRA, der die Ambitionen der NZIA weitgehend motiviert, unterscheidet nicht zwischen den Zukunftstechnologien“, sagt Valérie Faudon, Vertreterin der Société Française de l’Energie Nucléaire (SFEN). Die Debatte, die im Europäischen Parlament zur Änderung des Net-Zero Industry Act der Kommission eröffnet wird, wird daher für Frankreich von entscheidender Bedeutung sein. „Die Schlacht wird in der Tat um den Inhalt des Anhangs geführt werden, der absolut entscheidend ist“, bestätigte das Büro von François-Xavier Bellamy, Leiter der französischen Delegation der Europäischen Volkspartei (EVP).

Schon vor den Verhandlungen hoffte der Europaabgeordnete Christophe Grudler (Renew) gegenüber EURACTIV Frankreich, dass eine Mehrheit der Abgeordneten im Europäischen Parlament für die Kernenergie stimmen werde. Eine wachsende Zahl von EU-Mitgliedsstaaten befürwortet die Entwicklung der Kernenergie und ihre Delegationen im Europäischen Parlament werden wahrscheinlich nicht aus der Reihe tanzen. Deutschland gehört zwar nicht zu diesen Ländern, aber „hochrangige deutsche EVP-Vertreter sind für technologische Neutralität und wollen daher keine Technologie ausschließen. Dazu gehört auch die Kernenergie“, heißt es aus EVP-Kreisen gegenüber EURACTIV Deutschland. Die Quelle spezifizierte nicht, ob sie die Kernenergie als „strategische“ Technologie oder lediglich als eine Technologie, die „einen bedeutenden Beitrag zur Dekarbonisierung“ leistet, unterstützt.

Der Kampf wird erbittert sein

Mit anderen Worten: Noch ist nichts sicher, und „der Kampf wird erbittert sein“, sagte Marie Toussaint, eine grüne französische Europaabgeordnete, die gegen Atomkraft ist. Im Moment „bestätigen die Kompromisse im bestehenden [NZIA-]Text einen sehr starken europäischen Widerstand gegen Emmanuel Macrons ultra-nukleares Projekt“, sagte sie gegenüber EURACTIV. Und da der EU-Rat den Vorschlag nach dem Parlament prüft, besteht kein Zweifel daran, dass Deutschland und Atomkraftgegner-Verbündeten, vor allem Luxemburg und Österreich, das Thema erneut ansprechen werden. Für diese Länder ist es schwer zu akzeptieren, dass Steuergelder die Entwicklung neuer Atomkraftwerke in der EU finanzieren sollen – auch indirekt über den EU-Haushalt.

Frankreich hingegen ist irritiert über diese „heterogene“ Behandlung der Kernenergie. Im Vorfeld des EU-Ratsgipfels, auf dem das Thema diskutiert werden soll, forderte die französische Regierung die Mitgliedsstaaten auf, „ein für alle Mal zu entscheiden, ob wir glauben, dass die Kernenergie eine Rolle bei der Dekarbonisierung spielt oder nicht. Entweder wir sagen ja und sie muss in alle Texte aufgenommen werden. Oder wir sagen nein.“

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