„Kein Bestandteil des Planeten davon unberührt“

Warschauer Communiqué zum Klimawandel in Europa

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Polnische Akademie der Wissenschaften (PAN) haben am 23.05.2023 gemeinsam das „Warschauer Communiqué zum Klimawandel in Europa“ veröffentlicht. Die Publikation ist Ergebnis der ersten Europäischen Klimakonferenz (European Climate Conference) mit 90 Expertinnen und Experten aus 45 europäischen und eurasischen Ländern, die beide Wissenschaftsakademien am 15. und 16. Mai 2023 gemeinsam in Warschau veranstaltet hatten. Schwerpunkt des Treffens waren regionale Ausprägungen des Klimawandels.

Leopoldina in Halle – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Warschauer Kommuniqué zum Klimawandel in Europa

  1. Der Klimawandel findet statt, der Planet Erde befindet sich im Zeitalter des Anthropozäns. Die globale Erwärmung und ihre Folgen sind durch menschliche Aktivitäten verursacht. Das ist eine der dringendsten Herausforderungen unserer Zeit. Der Klimawandel wirkt sich auf Leben, Unternehmen, Siedlungen und Ökosysteme aus. Kein Individuum und kein Bestandteil des Planeten bleibt davon unberührt.
  2. Zu den extremen Erscheinungsformen des Klimawandels gehören: Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Starkregen, Überschwemmungen, schwere Stürme und Wirbelstürme. Außerdem: veränderte Jahreszeiten, längere atmosphärische Druckblöcke, Verlust von Gletschern und Meereis, Anstieg des Meeresspiegels, Versauerung und Erwärmung der Ozeane sowie Veränderungen der Ozeanzirkulation. All diese Faktoren werden sich bis 2050 höchstwahrscheinlich noch verstärken.
  3. Die wichtigsten ökologischen Erscheinungen werden durch den Klimawandel verschärft, sind aber in erster Linie auf eine mangelhafte Land-, Boden- und Wasserbewirtschaftung zurückzuführen. Dazu gehören: Verlust der biologischen Vielfalt, Verlust von Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen, Bodendegradation und Wüstenbildung sowie die Verschlechterung der Süßwasserressourcen.
  4. Das Spektrum der Risiken und das Ausmaß der Veränderungen müssen systemisch und sequenziell betrachtet werden (Phasing-in-Phasing-out). Die Transformationen müssen sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch zwischen den Gesellschaften gerecht sein. Die Impulse für den Wandel sind noch nicht ehrgeizig genug. Wir müssen schneller und umfassender handeln. Die Bewältigung des Klimawandels erfordert die Harmonisierung von Abschwächungs- und Anpassungsstrategien, und zwar stets in sektorübergreifendem Ansatz.
  5. In den Bereichen Energie und Industrie sind folgende Maßnahmen vorrangig:
    a) Beschleunigung der Dekarbonisierung der Energieerzeugung vor allem durch erneuerbare Energieträger unter Berücksichtigung einer weitreichenden Elektrifizierung, der Kosten- und Verbrauchseffizienz sowie von Lösungen für negative Emissionen;
    b) Entwicklung des Super-Smart-Grid (Europa, Zentralasien, Nordafrika), das technische und marktwirtschaftliche Lösungen zur Bewältigung der Schwankungen bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern mit einem KI-gestützten Netzmanagement kombiniert;
    c) Investitionen in die großmaßstäbliche, langfristige Stromspeicherung (z. B. chemische Speicherung durch Wasserstoff);
    d) Unterstützung innovativer Ansätze zur De-Fossilisierung der Industrie und zur Ermöglichung einer kreislauforientierten und kohlenstoffarmen Wirtschaft.
  6. In Bezug auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme sind folgende Maßnahmen vorrangig:
    a) deutliche Begrenzung der Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt und die Verschlechterung der Ökosysteme, insbesondere Entwaldung, intensive Landwirtschaft (Monokulturen und übermäßiger Einsatz von Pestiziden) sowie Überfischung, Umweltverschmutzung, Landschaftsfragmentierung und Landnutzungskonflikte;
    b) Entscheidung für naturbasierte Lösungen zur Unterstützung des Klimaschutzes und der Anpassung der Arten (z. B. durch Erhöhung der genetischen Vielfalt);
    c) Umsetzung des Globalen Biodiversitätsrahmens von Kunming und Montreal für 2022.
  7. In den Bereichen Landwirtschaft und Wasser sind folgende Maßnahmen vorrangig:
    a) Vermeidung von Bodendegradation und Wiederherstellung des Bodens;
    b) integrierte Bewirtschaftung von Land, Boden und Wasser, einschließlich Wassererhaltung, effizienter Bewässerung und Renaturierung sowie klimastressresistenter Nutzpflanzen und Tierarten;
    c) Begrenzung des Ressourcenverbrauchs in der landwirtschaftlichen Produktion, insbesondere bei der Viehzucht (auch zur Verringerung der Methanemissionen), und Minimierung von Nahrungsmittelverlusten und -abfällen.
  8. In den Bereichen Infrastruktur und Mobilität sind folgende Maßnahmen vorrangig:
    a) neue Prinzipien einer integrierten, belastbaren und reaktionsfähigen Infrastrukturplanung durch Verknüpfung mit intelligenten Netzen, ressourceneffizienter Mobilitätsentwicklung und dem Aufbau eines kohlenstoffarmen Fußabdrucks;
    b) Investitionen in die Elektromobilität von Personen und Gütern bei gleichzeitigem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs;
    c) Berücksichtigung des Klimarisikomanagements in der Unternehmensentwicklung und Industriepolitik sowie in der öffentlichen Verwaltung und im Zivilschutz.
  9. Die regionale Vielfalt des Klimas (des Wandels) sollte mehr Beachtung finden und als Stärke bei Maßnahmen zur Abschwächung und Anpassung genutzt werden. Lokales und regionales Wissen sollte in Maßnahmen auf nationaler und kontinentaler Ebene umgesetzt werden, um maximale Wirkung zu erzielen. Die Nutzung der in Europa und den angrenzenden Regionen Zentralasiens und Nordafrikas vorhandenen Potenziale, insbesondere für klimaneutrale Energie- und Nahrungsmittelsysteme, sollte prioritär und in fairer, kooperativer Weise erfolgen.
  10. Politische Maßnahmen und marktwirtschaftliche Instrumente – vor allem solche, welche die Weichen neu stellen, wie der europäische Green Deal, nationale grüne Investitionspakete und nationale oder supranationale CO2-Bepreisung – sollten niemals gegeneinander arbeiten. Klima- und Biodiversitätspolitik sollten nicht voneinander entkoppelt werden. Regulierungen sollten klug eingesetzt werden, um technologische und soziale Innovationen anzuregen und zu skalieren, um einen Wandel zu erreichen. Eine forschungsbasierte und transparente Kommunikation zwischen Politikern, Bürgern und Wissenschaftlern sollte zur Norm werden, um die Akzeptanz zu erhöhen und Negativismus und Leugnung zu verringern. Generationengerechtigkeit und partizipative Politikgestaltung sollten selbstverständlich sein.

Zusammenfassung

Die Wissenschaftler, die an der ersten europäischen Klimakonferenz teilnahmen und 45 europäische Länder vertraten, erkennen an, dass evidenzbasierte wissenschaftliche Beratung die Grundlage für politische und persönliche Entscheidungen zur Klimaneutralität sein sollte, und dass Wissenschaftler sich stärker engagieren sollten, um die Klimakompetenz ihrer Mitbürger zu erhöhen. Wirksame Maßnahmen für Klimaneutralität bedeuten tiefgreifende Veränderungen in den meisten Bereichen der Wirtschaft, des Energiesystems, der internationalen Märkte und des globalen Kooperationsrahmens. Diese Maßnahmen sollten Abschwächungs- und Anpassungsstrategien harmonisieren und transnationale, nationale und regionale Zielkonflikte beseitigen. Der regionale Klimawandel und das global-lokale Verhältnis sollten stärker in den Mittelpunkt rücken. Weder Wissenschaft, noch Politik, noch kollektives ziviles Handeln, noch Bildung, noch öffentliche oder private Investitionen allein sind ausreichend. Das Zeitfenster für die Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens schließt sich, und das lässt nur wenige realistische Optionen offen.

Die wichtigste Empfehlung ist die Beschleunigung von Minderungsmaßnahmen im Einklang mit dem Pariser Rahmenwerk bei gleichzeitiger Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen. Regulierungs- und Finanzinstrumente wie die CO2-Bepreisung sollten genutzt werden, um die Klimaneutralität zu fördern. Dazu gehören auch Anreize für die Öffnung gegenüber grünen Technologien, für eine rigorose Reduzierung der Treibhausgasemissionen und für die Bekämpfung der Umweltverschmutzung und der Zerstörung von Ökosystemen, insbesondere der Entwaldung und des Verlusts der biologischen Vielfalt. Europa und Zentralasien sollten das ihnen innewohnende Potenzial zur Bewältigung des Klimawandels besser nutzen: erneuerbare Energien, Konnektivität, Marktwirtschaft, Menschen, Wissen und Innovationen. Lassen Sie uns diese weitreichenden Potenziale nutzen, um das Tempo des Wandels hin zu einer klimaneutralen Zukunft für unseren Kontinent und unseren Planeten zu beschleunigen.

->Quellen: