Standardwerk: Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie – Vorbild Natur?

Warum dieses Buch? Ein Vorwort von Thomas Marzi und Manfred Renner

„Green Economy, Blue Economy, grünes Wachstum, Kreislaufwirtschaft, Industrielle Ökologie: Es herrscht kein Mangel im Wettbewerb der Begriffe für den notwendigen Wandel in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftens.“ Der Satz, den wir hier an den Anfang unseres Buches „Das Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie – Vorbild Natur?“ gestellt haben, stammt nicht von uns, sondern von der ehemaligen Journalistin der Wochenzeitung „Die Zeit“, Christiane Grefe. Er steht im Vorwort ihres 2016 erschienenen Buches „Global Gardening“, in dem sie sich differenziert mit der Bioökonomie auseinandersetzt, um welche die obige Aufzählung also noch ergänzt werden muss.

Das Weltbild der Circular Economy und Bioökonomie, Vorbild Natur? – Titel © Springer Sprektrum

Bereits die Zahl der von ihr genannten Begriffe deutet an, worum es heute geht. Es geht nicht mehr um die Frage, ob wir mehr Nachhaltigkeit brauchen, sondern darum, wie wir sie erreichen. Über dieses „Wie“ wird allerdings vehement gestritten. Sollen wir, wie in der Green Economy vorgesehen, auf neue, umweltschonendere Technologien setzen, oder, wie teilweise gefordert, Verzicht üben und unsere wirtschaftlichen Aktivitäten auf ein notwendiges Minimum reduzieren? Am besten wäre es wohl, wenn es gelänge, wirtschaftliches Handeln mit dem Schutz der Natur zu verbinden.

Es werden also Konzepte gesucht, in denen ökologisches, soziales und ökonomisches Denken nicht in Widerspruch zueinander stehen. Der Circular Economy und Bioökonomie wird dieses Potenzial zugeschrieben. Beide sollen die Umwelt schützen, für wirtschaftliches Wachstum sorgen und die Transformation zu einer nachhaltigen Lebensweise ermöglichen. Bis vor einigen Jahren wurden sie dabei überwiegend noch als Alternativen wahrgenommen, die ggf. sogar in Konkurrenz zueinander stehen.2 Inzwischen werden oft ihre Synergien betont, und es ist von einer „zirkulären Bioökonomie“ die Rede, in der die Bioökonomie als Teil der Circular Economy aufgefasst wird.3 Unser Buch befasst sich deshalb mit beiden Ansätzen. Dabei verwenden wir, wie in den vorangehenden Sätzen schon deutlich wurde, anstelle des deutschen Begriffs „Kreislaufwirtschaft“ den englischsprachigen Ausdruck „Circular Economy“. Grund hierfür ist, dass eine Kreislaufwirtschaft oft nur mit Abfallverwertung und Recycling assoziiert wird, während mit Circular Economy meistens ein systemischer Ansatz gemeint ist. Unser Buch handelt also sowohl von der Bioökonomie als auch von der Circular Economy, wenn auch anders, als Sie, liebe Leserin, und Sie, lieber Leser, das vielleicht gewöhnt sind. Wir nehmen keine technische oder ökonomische Analyse vor, wir beschreiben nicht im Detail, über welche Potenziale die beiden Wirtschaftsformen verfügen, und wir machen auch so gut wie keine Vorschläge, mit welchen Maßnahmen sie umgesetzt werden können. Hierzu gibt es bereits einschlägige Literatur, auf die wir guten Gewissens verweisen können.4 Unser Anliegen ist ein anderes.

Wir wollen die Circular Economy und Bioökonomie aus einer ungewohnten Perspektive betrachten und der Frage nachgehen, welche Motive und Leitbilder sie prägen. Wir wollen wissen, welche Erzählungen mit den beiden Konzepten verbunden werden und auf welche Vorstellungen, man könnte auch sagen auf welches Weltbild, sie zurückgreifen. Unser besonderes Interesse gilt dabei der Frage, welche Rolle der Natur in der Circular Economy und Bioökonomie zugewiesen wird. Wenn auch nicht in allen Konzepten der Circular Economy, zumindest aber in Teilen davon, ist die Natur ein Vorbild. In der Bioökonomie wird dagegen „mit der Natur gearbeitet“.

Der Circular Economy und Bioökonomie liegt ein Weltbild zugrunde, das die aktuelle Wirklichkeit mit der „Bio- und Technosphäre“ gedanklich in einen natürlichen und einen technisch-ökonomischen Bereich aufteilt. Während die Technosphäre bzw. die Wirtschaft linear und verschwenderisch organisiert sind, arbeitet die Biosphäre effizient und in Kreisläufen. Letztere gelten in der Bioökonomie und Teilen der Circular Economy zusammen mit der Ressourceneffizienz als eine Art Naturprinzip. Die Natur wird dabei als perfekte Kreislaufwirtschaft gedeutet. Um aus dem ökonomischen System bzw. der Technosphäre ebenfalls eine perfekte Kreislaufwirtschaft zu machen, so die oft verwendete Argumentation, muss das Prinzip der Natur, der Kreislauf, Eingang in die Technosphäre finden. Die Kreislaufwirtschaft der Natur soll deshalb in die menschliche Wirtschaft übertragen oder direkt ökonomisch genutzt werden.

Was ist aber damit gemeint, wenn in der Bioökonomie oder Teilen der Circular Economy von Natur die Rede ist oder Naturprinzipien übertragen werden sollen? Welches Naturbild steckt dahinter und was können wir überhaupt über die Prinzipien der Natur wissen? Diese Fragen sind alles andere als trivial. Was Natur ist und wie viel wir über sie wissen können, gehört zu den ältesten und grundlegendsten Fragen der Philosophie überhaupt. Wir können deshalb nicht so tun, als ob es sich bei Natur und Naturprinzipien um „Dinge“ handelt, die einer objektiven Erkenntnis direkt zugänglich sind. Zu berücksichtigen ist, dass unsere Vorstellungen über die Natur auch kulturell bedingte, sich wandelnde Deutungen sind. Auch die Perspektiven, aus denen die Bioökonomie und Circular Economy die Natur betrachten, unterliegen bestimmten Prämissen. Sie sind entsprechend „gefärbt“ und eingeschränkt. Wenn die Natur in der Circular Economy als Vorbild oder in der Bioökonomie als Partnerin betrachtet wird, muss also zumindest klar sein, auf welche Naturvorstellungen sich bezogen wird und woher die Erkenntnis der verwendeten Naturprinzipien kommt.

Wir können uns vorstellen, dass unsere Perspektive, aus der wir in diesem Buch die Bioökonomie und Circular Economy betrachten, für Leserinnen und Leser, die wie wir aus der angewandten Forschung kommen und dort an der Entwicklung technischer Verfahren arbeiten, ungewohnt ist. Sie werden vielleicht einwenden, dass das, was wir hier über die Bioökonomie und Circular Economy schreiben, für angewandte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Belang und eher für die Kulturwissenschaften oder die Philosophie interessant ist. Letzteres ist sicherlich richtig, es ist auch ein kulturwissenschaftliches und philosophisches Thema. Eine verantwortungsbewusste angewandte Wissenschaft muss aber, wie wir meinen, ihre eigene Tätigkeit reflektieren und Erkenntnisse, die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Wissensbereichen erarbeitet haben, wahrnehmen. Mit dem Argument, dass sich die Circular Economy und Bioökonomie an der Natur orientieren, werden jedenfalls Entwicklungsarbeiten in der angewandten Forschung begründet, es steht in Einleitungen von Fachartikeln und wird in Vorträgen eingesetzt, um positive Assoziationen bei der Zuhörerschaft in Politik, Industrie und Gesellschaft auszulösen. In der angewandten Forschung überführen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre Ideen in Anwendungen und verändern auf diese Weise den Status quo. Dabei spielen die sie leitenden Motive und Vorstellungen eine wichtige Rolle.

In der Bewertung der Bedeutung, die diese Motive haben, schließen wir uns im Folgenden der Position von Reinhard Loske an. Loske, der vor allem durch seine Forschungsarbeiten zu Nachhaltigkeitsthemen und seine politische Tätigkeit – er war bundespolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und Umweltsenator in Bremen – bekannt wurde, schreibt in seinem Buch „Politik der Zukunftsfähigkeit“, dass „bei der Frage nach dem Umgang mit Umweltund Ressourcenproblemen auch die Grundhaltung und die Weltsicht“ von Bedeutung sind. Als ehemaliger Politiker hat Loske ein ausgeprägtes Verständnis dafür entwickeln können, welche Motive und Vorstellungen hinter bestimmten Entscheidungen und Handlungen stehen. Er weiß wohl, wovon er spricht, wenn er schreibt, dass jemand, der „überzeugt ist, dass wir als Menschen in etwas Größeres eingebettet oder Teil eines lebendigen Netzes sind, […] an Fragen der Naturnutzung anders herangehen [wird] als jemand, der den Zweck der Natur vornehmlich darin sieht, für den modernen Menschen da zu sein […]“.

Die Vorstellungen, die im Hintergrund der Circular Economy und Bioökonomie wirken, sind also alles andere als unerheblich. In diesem Buch werden wir den Versuch unternehmen, das Weltbild bzw. die Weltbilder der Circular Economy und Bioökonomie herauszuarbeiten und die mit ihnen verbundenen Erzählungen offenzulegen.

  1. Das geschieht, in dem wir uns in Kap. 1 zunächst einen Überblick über die aktuelle Situation verschaffen und nach Möglichkeiten zur Erreichung von Nachhaltigkeit fragen.
  2. In Kap. 2 berichten wir über die Entstehungsgeschichte der Bioökonomie und Circular Economy. Wir gehen auf unterschiedliche Lesarten der Bioökonomie ein und stellen verschiedene Denkschulen der Circular Economy vor.
  3. In Kap. 3 untersuchen wir, welche Motive und Inhalte mit den Erzählungen zur Bioökonomie und Circular Economy vermittelt werden.
  4. Hierzu gehören die Fragen nach Natur (Kap. 4) und Technik und deren systemischem Verständnis als
  5. Bio- und Technosphäre (Kap. 5).
  6. Ein weiterer wichtiger Punkt besteht darin, zu klären, ob die Orientierung an der Natur als metaphorische Sprache, Analogiebildung oder Systemübertragung zu verstehen ist (Kap. 6).
  7. Mit diesem Hintergrundwissen ausgestattet, fragen wir in Kap. 7 erneut nach der Rolle, die der Natur in der Bioökonomie und Circular Economy zugewiesen wird.
  8. Abschließend werden in Kap. 8 grundsätzliche Hemmnisse behandelt.

Das vorliegende Buch ist der erste Band einer dreiteiligen Reihe. Die Bände haben unterschiedliche Schwerpunkte und ergänzen sich, sind aber separat für sich lesbar und abgeschlossen. Während wir im vorliegenden Band der Frage nachgehen, was es mit der Orientierung an der Natur bei der Circular Economy und Bioökonomie auf sich hat, sind Kreisläufe Thema von Band 2. Der Kreislauf ist „das“ Leitmotiv der Circular Economy und Bioökonomie. Schwerpunkt des dritten Bandes werden unterschiedliche Denkschulen und Konzepte sein. Wir wollen darin die verschiedenen Ansätze beschreiben und ihre Entstehung sowie ihre Zusammenhänge nachzeichnen. Uns ist bewusst, dass wir in der vorliegenden Arbeit die Grenzen unsere eigenen Fachdisziplin überschreiten. Wir tun das, weil wir davon überzeugt sind, dass die Reflexion der Circular Economy und Bioökonomie auch in der angewandten Forschung selbst erfolgen muss. Unsere Arbeit verstehen wir ausdrücklich als Einladung und Ausgangspunkt zu einem disziplinübergreifenden Diskurs. (Oberhausen/Bochum Juli 2023 – Thomas Marzi Manfred Renner)

Quelle: link.springer.com/978-3-662-68230-2