Atommüll: Neue und alte Zweifel an Tiefenlager

Schweizer Experte sieht Sicherheit nicht dauerhaft gewährleistet

Das Konzept der tiefengeologischen Endlagerung hochradioaktiver Abfälle muss nach Ansicht des Schweizer Atommüll-Experten Marcos Buser grundlegend überprüft werden. In einer Studie im Auftrag von Greenpeace kommt Buser zu dem Schluss, dass alle bisherigen Versuche den Anforderungen nach einer dauerhaften Sicherheit nicht genügen. Damit widerspricht der Wissenschaftler dem Abschlussbericht der Endlagerkommission, der die Option eines Endlagerbergwerks als „beste Möglichkeit zu einer sicheren Entsorgung“ von hochradioaktivem Atommüll sieht.

Der Bericht wurde am 05.07.2016 der Bundesregierung übergeben. „Die Bundesregierung muss dringend auch Alternativen zur Endlagerung in der Tiefe untersuchen“, sagte Greenpeace-Atomexperte Tobias Münchmeyer. „Das ganze Konzept steht in Frage. Um diese unbequeme Wahrheit hat sich die Endlagerkommission bisher herum gedrückt. Wir brauchen einen echten Neuanfang ohne Gorleben.“

Der Züricher Geologe Marcos Buser vom Institut für Nachhaltige Abfallwirtschaft gilt weltweit als einer der führenden Wissenschaftler für die tiefengeologische Lagerung von Atommüll. Buser hat als Vorsitzender einer Schweizer Expertenkommission das dortige Endlagerkonzept mitentwickelt und war jahrzehntelang ein starker Fürsprecher der tiefengeologischen Lagerung. In der nun vorgelegten Studie „Endlagerung radio- und chemotoxischer Abfälle im Tiefuntergrund“ analysiert er jedoch die Gründe für das Scheitern vier ausgewählter Projekte – sowohl für Atommüll als auch für Sondermüll in Deutschland (Asse II), der Schweiz (DMS), Frankreich (Stocamine) und den USA (WIPP). Ursachen des Scheiterns waren laut Buser in allen Fällen vor allem der Kostendruck und mangelnde Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen.

Große Schwachstelle Grubenbau

Drei der vier von Buser betrachteten Projekte lagen wie der umstrittene Standort Gorleben in einem Salzstock. Buser stellt fest, dass das Konzept mehrerer Barrieren („Multibarrierenkonzept“), die einen Austritt schädlicher Stoffe in die Umgebung verhindern sollen, bereits früh im Lagerprozess versagte. Die größte Schwachstelle ergab sich dabei aus dem Grubenbau selbst. „Die Studie belegt: Das Verdrücken und Verreißen von Atommüll im Salz kann nicht als geordnete Abfallbeseitigungsmethode gelten. Eine Endlagerung in Salz steht vor dem Aus“, sagt Münchmeyer. „Diese Erkenntnis sollten Bundesregierung und Endlagerkommission nicht länger totschweigen.“

[note Marcos Buser, geb. 1949, Geologe und Sozialwissenschaftler, ist seit mehr als 40 Jahren auf dem Gebiet der Kernenergie und der Entsorgung chemotoxischer Sonderabfälle tätig. Er betreut große Abfallprojekte in der Schweiz und den Nachbarländern, und arbeitet eng mit Universitäten, Forschungsinstituten, internationalen Institutionen, Regierungsbehörden und privaten Ingenieurbüros zusammen. Marcos Buser war oder ist Vorsitzender/Mitglied von Expertenkommissionen, wie die EKRA-Expertenkommission für das Schweizer Endlagerkonzept (1999-2002), die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit (2008 – 2012) oder mehrere Experten-Kommissionen im Bereich der Sanierung von Industrie-Deponien. Er war Präsident der Überwachungs- und Begleitkommission des internationalen Forschungslabor Mont Terri für hochradioaktive Abfälle und ist an Projekten im Bereich der unterirdischen Lagerung/Entsorgung von gefährlichen chemisch-toxischen Abfällen in ehemaligen Bergwerken beteiligt. Seit 2008 hat Marcos Buser mehrere Studien über die langfristige Kennzeichnung von Endlagern und die Folgen der Giftmüllentsorgung für zukünftige Gesellschaften veröffentlicht. Seine früheren soziologischen Studien beschäftigten sich mit dem Einfluss von Wirtschaftsinteressen auf die Gestaltung der Umweltgesetzgebung und Fragen der Regulierung und des Vollzugs. Zurzeit arbeitet er an einem Synthesebericht der Organisationsstrukturen im Bereich der Entsorgung radioaktiver Abfälle in der Schweiz sowie an verschiedenen Büchern über die nukleare Entsorgung.]

Folgt: Auch Göttinger Geobiologe ist überzeugt, dass es keine sichere Endlagerung für Atommüll geben kann