Die Chemie als strategischer Wegbereiter in der Energiewende

von Robert Schlögl

Während sich die japanische Reaktorkatastrophe noch entwickelt, wird weithin über energiepolitische Konsequenzen debattiert. Die umfassende Reaktion in Deutschland dürfte mehr dem latenten Unbehagen über unsere Energieversorgung und einer “gefühlten Unsicherheit”, als einer konkreten Bedrohung entsprungen sein. Vielfache Konzepte einer „Energiewende“ werden diskutiert. Der Beitrag beschreibt die Rolle der Chemie in dieser Wende. Diese Rolle trägt trotz ihrer strategischen Bedeutung nur einen Bruchteil zur vielschichtigen Problematik der Energieversorgung bei. Deutschland verbraucht etwa 2% des Weltenergieaufkommens. Trotz der damit regionalen Bedeutung unserer Energieversorgung kommt den nationalen Entwicklungen durch Exporte von Technologien und einer Vorbildfunktion allgemeine Bedeutung zu.

Zunächst sollte man die Gelegenheit nicht versäumen, wissenschaftliche Erkenntnisse über den Verlauf der japanischen Havarie zu gewinnen. Schon bald könnten die materiellen Strukturen der Reaktoren unzugänglich werden und somit keine Informationen mehr preisgeben über chemische Prozesse, die bei derartigen Geschehnissen ablaufen. Auch wenn der Auslöser der Katastrophe einzigartig war, dürften viele Folgeprozesse nicht einzigartig gewesen sein und können wertvolle Einblicke von allgemeiner Bedeutung geben.

Der gegenwärtige Ruf nach dem Einsatz regenerativer Energien als Ersatz für Kernenergie bringt in seinen Konsequenzen einige Fragen grundsätzlicher Art für die Chemie als Wissenschaft mit sich.  Zunächst sollte man sich klar machen, dass die Chemie die Basiswissenschaft für die Energieumwandlung insgesamt ist. Es geht um die Kontrolle von molekularen Energiebarrieren. Meist ist der Chemiker an deren stofflichen Konsequenzen interessiert, der Ingenieur dagegen befasst sich mit den energetischen Folgen der Umwandlung stofflicher Energieträger in typischerweise Prozessen der Totaloxidation. Die Kontrolle chemischer Reaktionen[1] geschieht über die Beeinflussung molekularer Energiebarrieren. Die Gesetze der Thermodynamik bestimmen die Einsatzmöglichkeiten der gewonnen Energiebeträge. Somit können wir feststellen, dass die Chemie von zentraler Bedeutung für den überwiegenden Teil unserer Energieversorgung ist. Dies gilt bereits heute aber in weit größerem Masse für die zukünftige breite und nachhaltige Nutzung regenerativer Energie.

Dies ergibt sich aus dem Ungleichgewicht von Energiebereitstellung regenerativer Quellen zum Bedarf, welches trotz der moderierenden Wirkung von intelligenten Netzen nicht ohne stoffliche Speicherung[2] auszugleichen ist. Hinzu kommen stoffliche Energieträger, die langfristig mit regenerativen Quellen synthetisiert werden müssen. Die Katalyse ist die grundlegende Wissenschaft und Technologie  für die Manipulation von Energiebarrieren. Sie ist noch nicht weit genug entwickelt, um durch einen Entwurf mit einem Minimum an Experimenten[3] Prozesse und Materialen bereit zu stellen, welche die notwendigen Energieumwandlungen effizient und nachhaltig bewerkstelligen. Wieder einmal wird eine empirische Entwicklung einsetzen, deren wissenschaftliche Begründung zu spät für die technologische Entwicklung nachgeliefert werden wird. Es wäre daher im Interesse einer raschen und bestmöglichen Entwicklung sehr zu wünschen, wenn im Rahmen der Anstrengungen zu Forschung und Entwicklung an Energieprozessen die Grundlagenforschung so schnell entwickelt würde, dass sie rechtzeitig in die Entstehungsprozesse der Technologien eingreifen kann.