Kraftwerk Erde

DIE SONNE STRAHLT GEORDNET, DIE ERDE UNGEORDNET

Lego eignet sich also wunderbar, um die Natur der Entropie zu begreifen. Die Gesetze der Thermodynamik besagen, dass die Entropie alle natürlichen Systeme in Richtung maximaler Unordnung treibt. Wie immer ist auch hier Widerstand gegen das Gesetz durchaus möglich. Das Leben leistet ihn, indem es unter Einsatz von Energie geordnete Strukturen herstellt: Das fotosynthetische Reaktionszentrum in Pflanzenzellen etwa ist ein hoch geordnetes molekulares Lego, das Sonnenlicht sammelt, um daraus verwertbare Energie in Form von Zucker herzustellen.

Doch der Gesetzesbruch, der im Endeffekt gar keiner ist, hat seinen Preis: Anderswo muss zum Ausgleich unweigerlich die Entropie anwachsen. Diesen Überschuss an Entropie deponiert die Erde einfach im Weltall.

Axel Kleidon erklärt den Exportmechanismus so: „Die Strahlung von der Sonne ist hoch geordnet im Vergleich zur Strahlung von der Erde.“ Die solare Strahlung ist sogar in zweifacher Hinsicht schön sortiert. Zum einen kommen alle solaren Lichtquanten räumlich sauber geordnet aus einer Richtung, eben von der Sonne. Die Erde strahlt dagegen diffus in alle Richtungen ab, also räumlich wesentlich ungeordneter. Zum anderen besteht die Solarstrahlung aus vergleichsweise wenigen Lichtquanten, die relativ viel Energie in sich tragen.

Die kühle Rückstrahlung der Erde ins All dagegen enthält viel mehr Lichtquanten, die relativ energiearm sind. Im Legobild kann man sich das hilfsweise so vorstellen: Während die Lichtquanten von der Sonne zusammengebauten Legoautos entsprechen, repräsentieren deren kaputt gespielte Trümmer aus Einzelsteinen die Strahlung von der Erde als Endzustand. Kleidons Fazit: „Das Erdsystem gewinnt seinen Antrieb daraus, dass es die Entropie der Strahlung erhöht.“

NUR EIN KLEINER TEIL DER WINDENERGIE IST NUTZBAR

Die Sonnenstrahlung treibt auf der Erde eine Hierarchie vieler Kreisläufe an. Sie wärmt zum Beispiel die Erdoberfläche an Land auf, und diese erhitzt wiederum wie eine Herdplatte die Luftschicht darüber. Die bodennahe Warmluft steigt nun wie ein Heißluftballon auf, nimmt Feuchtigkeit mit hinauf auf Wolkenhöhe.

Dafür sinkt Kaltluft zum Boden hinunter, um sich dort zu erwärmen. Läuft dieses Konvektionskarussell am Tag, kurbelt es den globalen Wind- und Wasserkreislauf im Wettersystem an. Die Jenaer Forscher können diese wesentlichen, großen Kreisläufe im Erdsystem modellieren und realistisch abschätzen, wie viel von der solaren Leistung in jeden Kreislauf fließt. Aus den Ergebnissen können sie sehr konkrete, verblüffende Schlüsse ziehen.

Das betrifft auch die Frage, wie viel Leistung wir in Form erneuerbarer Energie aus dem Erdsystem abzapfen können, ohne es nachhaltig zu verändern. Ein Beispiel ist die Nutzung der Windenergie über Land. Sie steht am Ende einer Kette, die mit 1000 Terawatt beginnt. So viel Leistung fließt durch die solare Erwärmung in die globale Erzeugung von Wind. Etwa die Hälfte davon trägt der Wind nahe der Erdoberfläche in sich, ist also für Windkraftanlagen erreichbar. Da die Landflächen kleiner als die Ozeanflächen sind, bleiben davon 125 Terawatt übrig. Turbulenzen in der Atmosphäre, also schlicht Reibung in der Luft, fressen davon allerdings nochmals 77 Terawatt weg. So bleiben rund 50 Terawatt an Windleistung übrig, die im Prinzip über Land technisch nutzbar ist.

Würde man diese Leistung jedoch voll ausschöpfen, käme die weltweite Wettermaschine ins Stottern. Nachhaltig nutzen ließen sich maximal zehn Prozent davon, schätzt Axel Kleidon. Diese fünf Terawatt entsprächen demnach knapp einem Drittel des gesamten Energiebedarfs der Menschheit.

Kleidons gute Nachricht ist, dass wir die Windenergienutzung an Land – und offshore – im Vergleich zu heute noch kräftig ausbauen können. Sie unterliegt aber überraschend engen natürlichen Grenzen. So berechneten die Jenaer Forscher kürzlich, dass die schnellen Strahlströme des Windes in der oberen Atmosphäre etwa 200-mal weniger Energie hergäben – wenn man sie bereits nutzen könnte –, als bisher gedacht. Damit platzt manch hochfliegende Vision schwebender Windenergieparks in der Stratosphäre.

Solarenergie ist dagegen im Überfluss vorhanden. Das betrifft die Produktion von Solarstrom ebenso wie von Nahrung, die ja auch umgewandelte Solarenergie ist. „Deshalb bringt es aber auch in der Gesamtbilanz nichts, bestehende Äcker einfach in Solarparks umzuwandeln“, erklärt der Wissenschaftler.

Dafür müssen unproduktive Wüstenböden, die derzeit Solarstrahlung ungenutzt in Abwärme verwandeln, urbar gemacht werden. Die Desertec-Initiative, die im großen Stil Solarkraftwerke in der Sahara plant, geht also grundsätzlich in die richtige Richtung.