Die Hockeyschläger-Debatte

Angriff der Klimaskeptiker: Rufmord, Klagen und Drohungen
von Stefan Rahmstorf

Die neue Klimarekonstruktion des PAGES 2k-Projekts hat einmal mehr den Hockeyschläger-Verlauf der Klimageschichte der letzten tausend Jahre bestätigt. Man kann über die Hockeyschläger-Kurve kaum sprechen, ohne auch auf die in der Wissenschaftsgeschichte wohl einzigartige Kampagne zu ihrer Diskreditierung und zur Diffamierung und Einschüchterung der beteiligten Forscher einzugehen, die bis zu Todesdrohungen reichte. Dies tun wir deshalb hier unserer kleinen Paläoklima-Serie. (Grafik: Hockeyschläger-Kurve – Grafik © SciLog.png)

Hier zunächst noch einmal die Hockeyschläger-Kurve von 1999 (blau) im Vergleich mit der neuen Kurve aus dem PAGES 2k-Projekt.

Hockeyschläger-Kurve – Grafik © SciLog.png – Grüne Punkte zeigen die 30-Jahresmittel (flächengewichteter Mittelwert über die Kontinente) der neuen PAGES 2k-Rekonstruktion. Die rote Kurve zeigt die globale Mitteltemperatur laut HadCRUT4 Messdaten ab 1850 (mit einem 30-Jahresfenster geglättet). Dazu in blau der ursprüngliche hockey stick von Mann, Bradley und Hughes (1999) mit seinem Unsicherheitsbereich (hellblau). Grafik: Klaus Bittermann.

Mike Mann hatte als junger Postdoc zusammen mit Ray Bradley und Malcolm Hughes diese frühe Rekonstruktion Ende der 90er Jahre in Nature und Geophysical Research Letters publiziert; zunächst erregte sie nicht viel Aufmerksamkeit. Doch nachdem der dritte IPCC-Bericht von 2001 die Kurve prominent präsentiert hatte, begann eine massive Kampagne dagegen – mit Rufmord, juristischen Klagen und Drohungen1. Es ging bis zu einem Brief mit weißem Pulver, der Mike Mann per Post zugeschickt wurde und der zur Evakuierung des Uni-Gebäudes durch die Polizei führte.

Sowohl Mike Mann als auch Ray Bradley haben später Bücher darüber geschrieben (Bradley 2011: Global Warming and Political Intimidation; Mann 2012: The Hockey Stick and the Climate Wars). Wer eine Kurzfassung will, dem empfehle ich das exzellent recherchierte ZEIT-Dossier vom Dezember 2012. Eine etwas ausführlichere und weniger journalistische (dafür genauer auf die fachlichen Argumente eingehende) Chronik liefert Wikipedia. Oder man hört sich aus erster Hand an, wie Ray Bradley hier seine Erlebnisse schildert.

Von der Wissenschaft glänzend bestätigt, von der “Klimaskeptiker”-Lobby verunglimpft

In der Fachwelt gelten die Arbeiten von Mann et al. als hoch respektierte Pionierleistung (die Forscher erhielten eine Reihe von Preisen, Mann und Bradley z.B. beide die Oeschger-Medaille der European Geosciences Union). Einem normalen deutschen Zeitungsleser kann man es dennoch nicht verdenken, wenn er den Hockeyschläger von Mann et al. für irgendwie anrüchig hält. Denn auch in einigen deutschen Medien wurde die Kurve immer wieder für tot erklärt oder gar in die Nähe des Betrugs gerückt.

Als Mann et al. im Juli 2004 in Nature ein unbedeutendes Corrigendum publizierten, in dem lediglich die Liste der verwendeten Datensätze in der Supplementary Information des Papers korrigiert wurde – ohne jeden Einfluss auf die Kurve selbst –  schrieb Die Welt von einem „demolierten Hockeyschläger“ und weckte den falschen Eindruck, Mann und Kollegen hätten ihre Kurve korrigiert, sodass es nun im 15. und 16. Jahrhundert (ausgerechnet am Anfang der „kleinen Eiszeit“!) wärmer gewesen sei als im 20. Jh. Die dazu abgebildete „korrigierte“ Kurve (sie fehlt in der Online-Fassung) stammte allerdings nicht von Mann und auch nicht von anderen Klimaforschern, sondern von zwei kanadischen „Klimaskeptikern“: Steve McIntyre, der bis dahin 30 Jahre in der Bergbauindustrie gearbeitet hatte, und Ross McKitrick, der als Ökonom für einen neoliberalen Think Tank tätig war. Sie beruhte auf der Fehlanwendung einer statistischen Methode und ist nie in der seriösen wissenschaftlichen Fachliteratur erschienen und (anders als der „Hockeyschläger“) auch später nie reproduziert worden. Ob der Welt-Autor nur etwas verwechselt hatte? Eigentlich sagt das Corrigendum in Nature klipp und klar, dass die Korrektur keinen Einfluss auf die Ergebnisse hat. Das Fazit der Welt, Klimapolitiker „werden die Hockeyschläger-Kurve vermissen“, war jedenfalls ein wenig voreilig.

Die Quatschkurve

„Die Kurve ist Quatsch“, betitelte der Spiegel einige Monate später ein Interview mit Hans von Storch.

„This was shocking, arguably unprofessional language coming from a fellow scientist,“

schreibt Mann dazu in seinem Buch. Vor allem war die Aussage falsch. Anlass war der schärfste Angriff auf den Hockeyschläger aus Kreisen der Wissenschaft: Von Storch wollte zusammen mit seinem engen Mitarbeiter Eduardo Zorita (jetzt unter den PAGES 2k-Autoren) durch Modellsimulationen gezeigt haben, dass die von Mann et al. benutzte Rekonstruktionsmethode nicht funktioniert. Rasch merkten allerdings andere Forscher, dass Storch und Zorita gravierende Fehler gemacht hatten: sie hatten die Methode von Mann falsch implementiert, und ihre Modellrechnung wies aufgrund untauglicher Initialisierung eine starke Klimadrift auf (sie ist deshalb – rot gestrichelt – in Abb. 6.13 des IPCC-Berichts deutlich als Outlier zu erkennen). Diese Dinge sind keine Blogmeinung, sondern in der begutachteten Fachliteratur belegt; eine ausführliche Dokumentation mit den Quellenangaben findet man im damaligen Realclimate-Artikel dazu.

Umso bemerkenswerter ist es, dass Storchs Mitarbeiter Zorita nun als Autor der PAGES 2k-Studie einen Zwilling des hockey stick präsentiert. Zorita ist selbst nicht gerade ein Freund Manns: er nutzte die Affäre um gestohlene Klimaforscher-Mails 2009, um über eine populäre US-Klimaskeptikerwebsite mit der abwegigen (und nicht weiter begründeten) Forderung an die Öffentlichkeit zu treten, Mike Mann solle von jeder Mitarbeit an IPCC-Berichten ausgeschlossen werden. (Was von dem für unseriöse Klimaskeptikerthesen bekannten Wall Street Journal gerne aufgegriffen wurde). Hans von Storch würde Mike Mann am liebsten ganz vom peer review der Fachjournale ausschließen.

Auch weitere Fachpublikationen waren von den genannten Fehlern betroffen – peer review ist nicht perfekt, das kennen auch Forscher aus anderen Gebieten. Dennoch wundert man sich, wie viele vermeintliche Widerlegungen des Hockeyschlägers es durch den peer review geschafft haben, die sich als methodisch fehlerhaft erwiesen2. Prominentestes Beispiel: Im Jahr 2003 erschien im Journal Climate Research ein Paper von Willie Soon und Sally Baliunas, das ein angeblich wärmeres Mittelalter nachweisen wollte und von der Bush-Administration in Washington im politischen Abwehrkampf gegen Klimaschutzmaßnahmen nach Kräften genutzt wurde. Das Paper beruhte nicht auf eigener Forschung sondern war eine Meta-Analyse früherer Studien. Mehrere von deren Autoren wehrten sich allerdings gegen fehlerhafte Verwendung und Umdeutung ihrer Daten. (Soon wurde später überführt, mehr als eine Million Dollar von Ölgesellschaften erhalten zu haben, u.a. Exxon Mobil.) Es war nur der Höhepunkt einer Serie fragwürdiger Papers bei Climate Research, die schließlich mit dem Rücktritt von sechs Editoren endete3.

Politischer Druck auf Forscher

Als Senator James Inhofe am 04.01. 2005 im US-Senat den Klimawandel als „greatest hoax ever perpetrated on the American people“ bezeichnete, zitierte er auch den Storch-Artikel als Beleg. Inhofes extreme Thesen wurden später durch die radikale Tea Party Bewegung zum Mainstream in der Republikanischen Partei, was bis heute Fortschritte in der amerikanischen Klimapolitik behindert.

Wie von Bradley im Video oben geschildert, wurden er, Mann und Hughes vom Vorsitzenden des Energie-Ausschusses im US-Repräsentantenhaus, dem republikanischen Hardliner (und Empfänger von Millionenspenden aus der Ölindustrie) Joe Barton, massiv unter Druck gesetzt. Barton bestellte 2005 ein dubioses Gefälligkeitsgutachten gegen Mann und Kollegen, das sich später in weiten Teilen als Plagiat erwies: dessen Autoren hatten Kompetenz in der Paläoklimatologie vorgegaukelt, indem sie zum Paläoklima ungekennzeichnet lange Passagen aus Wikipedia und einem einschlägigen Lehrbuch – ausgerechnet von Ray Bradley – übernommen hatten. Einige Passagen hatten sie dabei strategisch verändert, weil sie nicht zu ihrem Narrativ passten. (Wegman wurde später von seiner Universität dafür gerügt, und ein Artikel auf Basis seines Berichts in Computational Statistics & Data Analysis wurde von der Fachzeitschrift zurückgezogen). Der Vorsitzende des Wissenschafts-Ausschusses, Sherwood Boehlert (ebenfalls Republikaner), wies die Einschüchterungsversuche von Barton scharf zurück und kam den Forschern zu Hilfe, indem er eine unabhängige Untersuchung des Sachverhalts durch die renommierte National Academy of Sciences der USA (NAS) anregte, die Mann und Kollegen völlig rehabilitierte.

Die New York Times berichtete im Juni 2006 unter der Überschrift Science Panel Backs Study on Warming Climate sachlich, differenziert und korrekt über den gerade erschienenen NAS-Bericht. Spiegel Online dagegen begann seinen voller Fehler steckenden Bericht Rüpeleien unter Klimaforschern mit dem Satz: „Eine Untersuchung des US-Kongresses geißelt unsaubere Arbeit von Klimaforscher-Star Michael Mann“, und warf Mann dazu „Türstehermethoden“ vor (als Zitat von Storchs). Ausgiebig wurde Mann-Kritik aus dem fragwürdigen Wegman-Bericht zitiert und dabei der Eindruck erweckt, es sei der NAS-Bericht. Ob der Autor einfach nur die Berichte verwechselte? Ich habe seinerzeit einen offenen Brief an den Chefredakteur geschrieben, den dieser aber keiner Antwort für würdig befand.

Griff in die Mottenkiste

Spätestens 2007 war die Kritik von McIntyre und McKitrick an Mann’s Methodik umfassend widerlegt. Dennoch rückte noch im Jahr 2010 der Spiegel die Mann-Kurve in seinem Artikel Die Wolkenschieber („Schlampereien, Fälschungen, Übertreibungen“) erneut in die Nähe von Schiebung (den Artikel haben wir seinerzeit in einem der meistgelesenen KlimaLounge-Artikel seziert). Der Spiegel behauptete, McIntyre habe die Mann-Kurve „als Mogelei entlarvt“. Der Spiegel macht sich damit Klimaskeptiker-Propaganda zu eigen – um sie als falsch zu erkennen, muss man kein Experte sein sondern hätte nur bei Wikipedia nachschauen müssen.

Generell muss man feststellen, dass der Spiegel leider seit mehr als einem Jahrzehnt in die Klimaskeptiker-Ecke abgedriftet ist – der Artikel Die Launen der Sonne (2001) präsentierte eine falsche, in der Fachliteratur längst von ihrem Autor korrigierte Sonnenkurve wie eine neue Erkenntnis und war einer der Anlässe, weshalb ich mich nach der Elbeflut 2002 erstmals öffentlich zum Thema unseriöse Klimaskeptikerthesen geäußert habe (siehe meinen damaligen Artikel in der ZEIT).  Schon die Titel der Spiegel-Artikel senden eine klare Botschaft. Die Klimaforscher sind schlimm, der Klimawandel weniger: Wir werden das wuppen! Der Spiegel diskreditiert regelmäßig die renommiertesten Forscher wie Michael Mann oder Phil Jones und setzt dafür auf Außenseiterthesen wie die von Hans von Storch, der den Mainstream der Klimaforscher (wie den eigentlich eher konservativen Weltklimarat IPCC, bei dem Hunderte Forscher mitarbeiten) für „alarmistisch“ hält, für Propheten des Untergangs, die ein Klima inszenierter Angst erzeugen, oder womöglich gar für Stalinisten. (In  seinem Blog publizierte er zum Beispiel den lesenswerten 10-Punkte-Vergleich von Klimaforschung und Stalinismus seines Freundes Dennis Bray, der u.a. den IPCC mit Stalins Geheimpolizei Tscheka vergleicht – und zwar nicht am 1. April).

Eine Daten-Auswertung für 2006/2007 hat gezeigt, dass Storch der im Spiegel am häufigsten zum Klima zitierte Wissenschaftler war – gefolgt von den dezidierten „Klimaskeptikern“ Josef Reichholf und Richard Lindzen (mehr dazu in SPIEGEL vs ZEIT). Das Magazin hat beim Jahrhundertthema Klimawandel längst seine Glaubwürdigkeit verloren – wie beim Thema Energiewende, wo die kompetentesten Fachjournalisten (Gerd Rosenkranz, Harald Schumann) schon vor Jahren entnervt das Handtuch geworfen haben.

Natürlich muss eine Außenseiterthese nicht falsch sein. Sie gewinnt aber nicht an Glaubwürdigkeit durch markige, populistische Interviewzitate, sondern allein durch nachvollziehbare wissenschaftliche Sachargumente. Kritische Nachfragen nach konkreten und belastbaren Belegen sind erlaubt.

PAGES 2k im Spiegel

Angesichts dieser Vorgeschichte war ich gespannt, wie der Spiegel über die aktuelle Studie des PAGES 2k-Projekts berichtet, die den hockey stick so glänzend bestätigt. Nun: in dem Bericht dazu (Klimadaten erklären Niedergang von Hochkulturen) wird gar nicht erwähnt, dass der Hockeyschläger bestätigt wurde. Es wird auch keine der Grafiken aus dem Paper selbst gezeigt (das könnte ja wie ein Hockeyschläger aussehen), dafür aber eine Grafik mit regionalen Jahresdaten aus der Supplementary Information, die für Laien vor allem nach viel „Rauschen“ aussieht (die Forscher zeigen im Paper ausdrücklich nur 30-Jahresmittel). So etwas habe ich im Wissenschaftsjournalismus noch nie gesehen.

Dafür ist der Artikel voll von Sätzen wie „Blütezeiten des Römischen Reiches und des Deutschen Reiches fielen in regenreiche Warmzeiten“, „Auch in Nordamerika ließ die mittelalterliche Warmphase, in der es ähnlich mild war wie derzeit, das Leben erblühen“, und „Zur gleichen Zeit wurde es im Süden wärmer. Im 13. Jahrhundert erstarkte in Südamerika das Inka-Reich“. Warm = gut. Dieser Eindruck bleibt hängen, auch wenn später pflichtschuldig einmal gesagt wird: „Doch die Gleichung ‚höhere Temperatur gleich besseres Klima‘ wäre voreilig.“

Mit dem PAGES 2k-Paper, über das ja eigentlich berichtet wird, hat der größte Teil des Artikels nichts zu tun. Denn über die Auswirkungen des Klimas auf menschliche Gesellschaften steht in dem Paper – nichts. Das Thema wird gar nicht erwähnt.

Die SpON-Leserkommentare verstehen die neue Studie denn auch durchweg als Widerlegung der CO2-Wirkung auf das Klima („Wieder mal wurden die grünen Klimakatastrophenpropheten als Scharlatane entlarvt“), was sicher nicht an der PAGES 2k-Studie sondern an deren geschickten Umdeutung durch Spiegel Online liegt. Während der „Hockeyschläger“ früher, als man ihn noch als Fälschung hinstellen konnte, noch zum entscheidenden Beleg für die anthropogene Erwärmung hochstilisiert wurde, sagt der fast identische neue Hockeyschläger („unerreichte Genauigkeit“) nun laut SpON „wenig“ über den Einfluss des Menschen. „Anstatt der aufgeregten Klimadebatte Futter zu liefern, hoffen die 78 Experten auf Anerkennung ihrer aufwendigen Arbeit“, heißt es am Schluss. Der Link dabei geht zu einem Artikel desselben Autors (Wahn der Weltverbesserer), in dem er sich über das oben erwähnte ZEIT-Dossier mokiert, es habe Mike Mann „als Helden gefeiert“, und in dem er stattdessen lieber seinen Helden Hans von Storch feiert und dessen übliche schrille Kollegenschelte („Dummheit“! „Heimliche Advokaten“! „Korpsgeist“!).

Dass sich der Spiegel, Zorita oder von Storch bei Michael Mann für die erlittenen Diffamierungen entschuldigen, darauf wird man wohl auch nach dem neuen PAGES 2k-Hockeyschläger vergeblich warten müssen.

Update 3. Juni: Die britischen Kollegen Tim Osborn, Tom Melvin und Keith Briffa haben bei Realclimate einen Kommentar zu ihren Baumringrekonstruktionen im nördlichen Sibieren publiziert, aus Anlass ihres neuen Papers bei Quaternary Science Reviews. Auch sie waren – ähnlich wie Mann et al. – Zielscheibe einer Reihe unterirdischer Attacken seitens McIntyre und seinem ClimateAudit Blog geworden. Und auch hier zeigt sich, dass McIntyre nicht nur in der Wahl seiner Methoden, sondern auch in der Sache völlig daneben lag. Die drei Forscher schließen Ihren Beitrag mit den Worten:

„That the critics have promoted a series of results that have turned out to be flawed is unfortunate but not in itself reason to complain – as science progresses it is usual for results to be improved and superseded. What can be condemned, however, is the long campaign of allegations of dishonesty and scientific fraud made against us on the basis of these false claims. That is the most disquieting legacy of Steve McIntyre and ClimateAudit. The real Yamal deception is their attempt to damage public confidence in science by making speculative and scandalous claims about the actions and motivations of scientists while cloaking them in a pretense of advancing scientific knowledge.“

Ergänzende Anmerkungen

1 Schmäh- und Drohbriefe gehören leider zum Alltag von Klimaforschern, sicher ermuntert auch durch die Darstellung von Wissenschaftlern als Betrüger im Internet und manchen Medien. Meine australischen Kollegen in Canberra arbeiten inzwischen in einem durch elektronische Schlösser abgeriegelten Sicherheitstrakt der Universität. Ich habe Drohungen bislang nicht weiter ernst genommen; ich war aber erschüttert als herauskam, dass der Oslo-Attentäter Anders Breivik in seinem bizarren Manifest auch seitenweise Klimaskeptikerthesen referiert. (Mehr dazu in Die Ausgewogenheitsfalle.)

2 Von Fachgutachtern mancher Journals sind kritische Papers zum hockey stick anscheinend auch negativ beurteilt worden. Hans von Storch erklärt das mit einer Verschwörungstheorie, die Wegmans politischem Gefälligkeitsgutachten für Joe Barton entstammt: das liege an einem „Kartell“ der Mann-Freunde.

3 Aktuell gibt es ähnliche Probleme beim Journal Climate of the Past (CP), das einen methodisch unsinnigen Artikel des Hobby-Klimaforschers Horst-Joachim Lüdecke publiziert hat. Dort wird gezeigt, dass man die globale Temperaturkurve durch eine Fourierreihe darstellen kann – was bekanntlich mit jeder Kurve geht. Dann wird aber daraus gefolgert, dass sich die Klimaentwicklung durch interne Zyklen erklärt – und nicht durch den Anstieg der Treibhausgase. Der renommierte Klimastatistiker Manfred Mudelsee (Autor des Lehrbuchs Climate Time Series Analysis) vom Alfred-Wegener-Institut zog sich aus Protest als Gutachter zurück, weil seine Kritik an dem Paper übergangen worden war. Er schreibt:

„One may speculate about (I exaggerate for clarity) the hijacking of CP for promoting ‘skeptical’ climate views.“

Lüdecke ist Pressesprecher des Klimaskeptiker-Vereins EIKE. Der für die Publikation seines kuriosen Artikels verantwortliche Editor ist Eduardo Zorita. Man kann nur hoffen, dass dies bei dem an sich reputierten Journal ein Einzelfall bleibt.

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor an der Universität Potsdam. Er ist Mitautor des 4. IPCC-Klimaberichts und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für „Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) an. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte.
->Quelle: scilogs.de