CO2-Blase: Die Wette auf den Klimaschock

Reserven um zwei Drittel überbewertet

Die Blase bläht sich also weiter auf. Was passiert, wenn sie platzt? Dass Reserven nachgewiesen sind, bedeutet auch: Sie stehen in den Büchern. An der Börse bestimmen die ungehobenen Schätze den Marktwert mit. Das zeigte sich etwa, als Shell 2004 sie buchhalterisch um ein Fünftel reduzieren musste. Der Kurs brach um zehn Prozent ein, der Energiemulti war plötzlich um 4,4 Mrd. Euro weniger wert. Nun geht es aber um andere Dimensionen: Nach der Logik von Carbon Tracker sind die Reserven um zwei Drittel überbewertet. Die Großbank HSBC schätzt: Müssen die Konzerne so massiv abwerten, bricht ihre Börsenwert um 40 bis 60 Prozent ein.

Die Folgen dürften kaum auf die Branche beschränkt bleiben. Im britischen Aktienindex FTSE haben Rohstoff- und Bergbaufirmen ein Gewicht von etwa einem Drittel. Kracht die Branche, wäre sie wohl nur das Epizentrum eines globalen Erdbebens. Die britische Notenbank hat die Gefahr im Visier. Und Standard & Poor’s entwirft Szenarien, nach denen fossile Energiekonzerne im Rating abstürzen.

Die Analysten und Händler aber zucken mit den Schultern. Die einfache, beruhigende Erklärung dafür wäre: Sie wissen es besser. Die Blase ist ein Hirngespinst. Oder der nette Versuch von Öko-Fuzzis, über aufgeschreckte Investoren ein wenig Druck auf die Energiemultis auszuüben. Freilich: An die vollkommene Information auf den Märkten glauben seit der Finanzkrise nicht mehr viele. Man kann die Gelassenheit aber auch als Wette deuten: darauf, dass die Politik keine scharfen Maßnahmen beschließt. Die so zahl- wie zahnlosen Klimagipfel legen nahe, dass diese Wette wenig riskant ist. Heisenberg aber sieht voraus: „Der heutige Energiemix wird durch seine Folgekosten so ineffizient, dass an einer hohen, weltweiten CO2-Steuer kein Weg vorbeiführt.“ Sobald der Markt damit ernsthaft rechnet, droht eine Panikreaktion: Alle wollen zugleich ihre BP- und Rio-Tinto-Aktien loswerden. Aus den Wertpapieren werden rasend schnell Papiere ohne Wert.

Umweltschützer und Energieanbieter reden aneinander vorbei

Diese Aussicht macht Investoren nervös. So sahen sich Exxon Mobil und Shell unlängst gezwungen, ihre Aktionäre in ausführlichen Stellungnahmen zu beruhigen. Auf die Erderwärmung und ihre Folgen lassen sie sich nicht ein; das sei Aufgabe der Klimaforscher. Dafür zeigen sie eindrücklich, wie unersättlich der Hunger der Schwellenländer nach Energie ist. Sollten die reichen Staaten diese Nachzügler durch strenge CO2-Regimes einbremsen, würden schwere Unruhen drohen. Umweltschützer und Energieanbieter reden also aneinander vorbei: Die einen warnen vor Naturkatastrophen, die anderen vor sozialen Konflikten.

Doch Shell sieht im Konzept der Carbon Bubble auch „grundsätzliche Mängel“. Beide Konzerne beteuern, dass sie intern hohe Folgekosten einkalkulieren: das Zehnfache des aktuellem Preises für CO2-Zertifikate. Das zeigt aber nur, wie groß die Margen bei den Projekten immer noch sind.

Fokus auf Staaten. Zwei Einwände haben Gewicht. Der erste: In den Büchern der Konzerne reichen die Öl- und Gasreserven nur für 10-15 Jahre. Eine wichtige Kennzahl setzt neue Reserven eines Jahres in Bezug zur Produktion. Liegt diese Erneuerungsrate unter 100 Prozent, läuten bei Analysten die Alarmglocken: Die Firma lebt von der Substanz. Ihr bleibt also nichts anderes übrig, als auf Teufel komm raus weiter zu explorieren.