Energiewende digital:
Strom künftig (fast) umsonst

Megatrend Digitalisierung beschleunigt Entwicklung

Was das Szenario einer Null-Margen-Ökonomie des Energiemarktes wahrscheinlich macht und mit enormem Zukunftspotenzial auflädt, ist der Megatrend Digitalisierung. Die Digitalisierung hat vor knapp zehn Jahren begonnen, unsere gesamte Wirtschaft umzukrempeln. Der Energiesektor gehört eher zu den verspäteten Industriemärkten, die von der Digitalisierung erfasst und grundlegend verwandelt werden.

Die Voraussetzungen dafür: Erneuerbare Energien profitieren von dramatisch sinkenden Materialkosten und sie lassen sich effektiv in so etwas wie ein „Internet der Energie“ einspeisen. Rifkin ist beileibe kein Spinner, er zitiert eine Stanford-Studie, die davon ausgeht, dass die effektive Nutzung des weltweit verfügbaren Windes ausreichen würde, die gesamte Weltwirtschaft mit dem Siebenfachen an Strom zu versorgen, den sie momentan braucht.

Wind und Sonne ist überall auf der Erde vorhanden und ihre Energie kostet nichts. Wenn wir diese regenerativen Energien entschlossen nutzen, schreibt Rifkin, wird das Totenglöcklein für Energieversorger und Ölkonzerne geläutet. Sekundiert werden Rifkins Argumente mittlerweile von prominenter Seite, unter anderem von Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman.

Rifkin folgt der Einschätzung mehrerer Industrieanalysten, die davon ausgehen, dass die Technologien für Wind- und Solarstromgewinnung innerhalb der kommenden 15 Jahre das Preisniveau der Informationen im digitalen Zeitalter erreicht haben, die wir über Laptops oder Smartphones teilen.

Mit anderen Worten: die saubere Technologie wird bis 2030 den Haushalten fast umsonst frei Haus geliefert. Geothermie und Biomasse werden in ihrer technologischen Weiterentwicklung mit Verzögerung zu den „großen Erneuerbaren“ Wind und Sonne aufschließen. Das heißt, sowohl bei Wind als auch bei Solar haben wir die erste Phase der Grundlagenforschung, in der hohe Vorlaufkosten anfielen, definitiv abgeschlossen.

Wir befinden uns jetzt in der zweiten Phase, in einer, die von atemberaubender Entwicklungsdynamik gekennzeichnet ist und in der Unternehmen (siehe das deutsche Solardesaster) kaum richtig abschätzen können, wann sie mit der nächsten Innovation tatsächlich kommerziell landen können. Wir werden spätestens 2020 jedoch in beiden Technologien auf einem Plateau der Produktivität angekommen sein, dass die Kosten für die Erzeugung von Wind- und Solarstrom gegen Null gehen lässt.

Startschuss für das Energie-Internet

Eine weitere Voraussetzung hierfür ist, dass Solar- wie auch Windenergie als Mikro- und Endverbrauchertechnologie nutzbar ist, so dass potenziell jeder Haushalt, jedes Unternehmen, jede Behörde ihre eigene Energie produzieren kann.

Ein Drittel der Menschheit produziert schon jetzt eigene Informationen. Warum sollen dann nicht ebenso viele Menschen, Unternehmen und Organisationen im Jahr 2030 saubere Energie produzieren?!

Deutsche Forscher zeigen in einem Pilotprojekt, wie wir dank Erneuerbarer Energien und der Nutzung von „virtuellen Kraftwerken“ (die im Grunde nichts anderes als Rifkins Energie-Internet darstellen), im Jahr 2050 schließlich einhundert Prozent unserer Energie (Wärme und Strom) aus erneuerbaren Quellen gewinnen könnten. Es lohnt sich, den projektbegleitenden Film anzuschauen, der sehr anschaulich zeigt, wie wir in dieser neuen Energiewelt Leben werden.

Wir reden bei den ersten Ansätzen mit virtuellen Kraftwerken also nicht über 2040, sondern über unsere unmittelbare Gegenwart. Ein virtuelles Kraftwerk betreiben beispielsweise schon heute die Stadtwerke München. Dort wird Energie von mittelgroßen Anlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 20 Megawatt digital „eingesammelt“, vor allem aus eigenen Wasserkraftwerken an der Isar und fünf Blockheizkraftwerken.

Auch eine Windturbine, eine Photovoltaikanlage und mehrere Notstromdiesel sind dabei. Die kleinste Anlage leistet 30 Kilowatt. Als nächstes sollen eine Biogas- sowie eine Geothermieanlage dazu kommen, außerdem schaltbare Lasten wie Industriepumpen oder gar Kühlhäuser.