Kein Grund zum Feiern

Brüsseler Spitzen

…Um die schlimmsten Auswirkungen der Klimakatastrophe zu verhindern, müsste der Treibhausgasausstoß bis 2050 weltweit etwa halbiert, in den Industriestaaten sogar um 80 Prozent gesenkt werden. Angesichts dieser Herausforderung ist die gegenwärtige Abmachung nicht mehr als ein erster winziger Schritt. Laut Vertrag müssen die Treibhausgasemissionen der Industrieländer … unter denen von 1990 liegen, die EU hat sich freiwillig …verpflichtet. Das aber wird schwer: Sollte sich der Trend der letzten …Jahre fortsetzen, wird der Treibhausgasausstoß … die Werte von 1990 deutlich überschreiten.

Um diesen Trend umzukehren, benötigt Europa eine koordinierte Energiepolitik, die mit den Bedürfnissen des Klimaschutzes zusammenpasst. Die Steigerung der Energieeffizienz müsste an erster Stelle stehen. Europa könnte gut ein Fünftel seines Energieverbrauchs ohne zusätzliche Kosten einsparen. Die zweite Säule einer zukunftsfähigen Energiepolitik müsste der massive Ausbau der erneuerbaren Energien sein. … Das Potenzial ist gewaltig: Windenergie aus der Nordsee könnte das Fünffache des gesamten Stromverbrauchs der Anrainerstaaten erbringen.

Auch der Verkehrssektor muss dringend in die Energiepolitik einbezogen werden. 80 Prozent der Erdölimporte werden auf den Straßen Europas verfahren, und schon jetzt liegen die Verkehrsemissionen trotz Kyoto-Protokolls fast ein Drittel über denen von 1990. Eine zukunftsfähige Energiepolitik müsste auch Schluss machen mit den etwa 20 Milliarden Euro, die jedes Jahr an Steuergeldern als direkte oder indirekte Subventionen für die fossilen Energieträger fließen – gegenüber 5 Milliarden für erneuerbare Energien. Ausrangiert schließlich gehört die Atomkraft, die bei weitem gefährlichste Form der Energieerzeugung. Das vorgeschobene Klimaargument kann weder über das nukleare Restrisiko noch über das ungelöste Problem der Entsorgung radioaktiven Mülls hinwegtäuschen.

Und was machen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten? Am … steht …in Brüssel die Energiepolitik auf der Tagesordnung, doch leider unter falschem Vorzeichen: Paris und London werden vorschlagen, der Atomkraft eine neue Chance zu geben; Warschau wird die Rolle der einheimischen Kohle unterstreichen; Helsinki wird gegen Klimapolitik überhaupt polemisieren und Berlin wird wie üblich über die milliardenschweren Subventionen hinwegsehen, mit denen alljährlich die heimische Steinkohle künstlich billig gehalten wird.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt die Zahl der Opfer des Klimawandels auf jährlich 150 000. Auch in Europa haben Fluten, Stürme oder Hitzewellen zunehmend katastrophale Auswirkungen. Eine nachhaltige, zukunftsfähige Energiepolitik der Europäischen Union könnte dem Klimawandel Einhalt gebieten. Sie könnte Entwicklungsmotor sein für saubere und effiziente Technologien, die in einer Welt der knapper werdenden Ressourcen zunehmend gefragt sind. Welch eine Chance für Europa!

Liebe Leser, was meinen Sie, wie alt dieser Text ist? 8  1/2 (in Worten achteinhalb) Jahre. Angelika Zahrnt, heute Ehrenvorsitzende des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland), schrieb ihn als Vorschau und Vorausforderung auf den Brüsseler Gipfel vom 23. und 24. März 2006 für Neues Deutschland. Solarify fragt – ganz unaufgeregt: – Was ist seither wirklich geschehen? Wann wachen wir, wann wacht Europa auf?

->Quellen: