Kommentatoren gehen mit EU-Klima-Beschlüssen ins Gericht

Aber auch Verständnis für europäische Zwänge – vier Beispiele/vier Ausschnitte

„Aufgabe der Vorreiterrolle beim Klimaschutz kein Zwang“ – „EU-Klimapolitik nur fauler Kompromiss“ – „Europa hat Vorreiterrolle verloren“ – „Vorreiter geht anders“ – so die Quintessens der Kommentare zu den Brüsseler Klimabeschlüssen. Solarify dokumentiert vier Beispiele in Auszügen.

Abschied von Zwei-Grad-Grenze

EU-Korrespondentin Annette Riedel vom Deutschlandfunk sieht in den Brüsseler Beschlüssen, den „Abschied vom international verabredeten Ziel, die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu beschränken“. Die Kritiker könnten „leicht die Vertreter der reinen Klimalehre geben“. Denn sie müssten nicht „aus einem dissonanten Haufen nationaler Befindlichkeiten ein wohl-temperiertes Orchester formen“, verweist Riedel auf den Zwang zur Einstimmigkeit.

Die beschlossene EU-Klima-Strategie ab 2020 liege denn auch zwischen den Vorstellungen der ambitionierten Klimaschützer und den Klima-Skeptikern unter den 28 EU-Ländern. „Zwischen denjenigen, die den Abschied vom Kohlezeitalter nahen sehen, und denjenigen, die noch auf absehbare Zeit auf fossile Energien angewiesen sein werden.“ Das „Ringen um Prozente, Rabatte, Boni, Solidaritätsmechanismen im Rahmen der Klimastrategie“ werde jetzt erst so richtig losgehen.

Riedel problematisiert, „dass die Staats- und Regierungschef sich bei der weitergehenden Arbeit an den Details der Klima-Strategie das letzte Wort vorbehalten wollen,“ das hält sie für den bedenklichsten Teil der Klima-Beschlüsse, „den Juncker nicht unwidersprochen lassen kann“, denn das bedeute: Es könne keine Mehrheitsbeschlüsse wie im Parlament geben – nur einstimmige Entscheidungen.

Positiv an den Beschlüssen wertet Riedel, „dass es sie überhaupt gibt“. Ein Scheitern in Brüssel wäre eine „Peinlichkeit“ gewesen. Und: Den Versuch, „eine halbwegs faire Lastenteilung zwischen schwächeren und stärkeren Volkswirtschaften zu organisieren, wenn es an die Umsetzung der [[CO2]]-Reduktionsziele geht“.  Schließlich hebt die Kommentatorin „das wunderbare Wörtchen ‚mindestens‘ hervor: „Mindestens 40 Prozent weniger Kohlendioxid produzieren. Mindestens 27 Prozent Energie einsparen. Mindestens 27 Prozent erneuerbare Energien im Energiemix bis 2030. Es zwingt ja niemand Deutschland und ein paar gleichgesinnte, ähnlich wirtschaftlich starke EU-Länder, ihre Vorreiterrolle beim internationalen Klimaschutz, ihren Vorsprung durch saubere Technik innerhalb der EU aufzugeben.“

Schlechter Scherz

Ralph Sina bezeichnet auf WDR5 die 40 Prozent als „schlechten Scherz“. Denn wenn Deutschland diesen Wert ernst nähme, könnte die Regierung „schon bald die Hände in den Schoß legen, dieses Minimalziel erreicht Deutschland bereits in sechs – und nicht erst in 16 Jahren, wie jetzt von der EU zugebilligt“.

Der EU-Klimagipfel war laut Sina „ein Fest für Entdecker der Langsamkeit“. Denn er schreibe an Treibhausgasreduktion, Energieeffizienz, und Ausbau der erneuerbaren Energien lediglich das fest, was ambitionierte Klimaschutzländer längst erreicht hätten. So erlaube der „Brüsseler Konsens auf niedrigem Niveau“ lediglich einigen osteuropäischen Ländern, „an ihrer Kohlefixierung festzuhalten“. Doch die Rücksichtnahme etwa auf Polen werde „sich nicht auszahlen“ – die meisten polnischen Kohlegruben seien „seit Jahren unrentabel“. Ebensowenig die „duckmäuserische EU-Rücksicht auf Großbritannien“.

Aber die EU werde „in puncto erneuerbare Energien kleinlauter“. Doch Kommentator Sina hält das Kalkül für eine Fehlkalkulation, „durch Nachgeben die Europa-Gegner auf der Insel besänftigen zu können. Wer die EU um jeden Preis verlassen will, der verlässt sie auch – und lässt sich nicht umstimmen. Schon gar nicht durch eine Klimapolitik, die sich feiert – obwohl sie nur ein fauler Kompromiss ist.“

EU verliert Vorreiterrolle

Im Deutschlandfunk sieht Jörg Münchenberg im Brüsseler Kompromiss eine „entscheidende Schwäche der künftigen europäischen Klimapolitik“, auch wenn die Einigung als solche „schon als Erfolg gewertet werden“ müsse. Aber: „Europa hat endgültig seine Vorreiterrolle in der globalen Klimapolitik verloren“.

Die Beschlüsse ließen „den Mitgliedsstaaten zu viele Freiräume“. Das wirke wie eine klimapolitische Bremse, denn der Langsamste werde das Tempo vorgeben. Münchenberg findet das umso bemerkenswerter, als die EU unabhängiger von ausländischen Energieimporten werden will – das hätte den Ausbau der Erneuerbaren und mehr Effizienz bedeuten müssen. „Stattdessen setzt Großbritannien trotz Fukushima verstärkt auf die Atomkraft, während Polen und andere osteuropäische Länder nicht vom Klimakiller Kohle lassen wollen“.

Den Kommentator überzeugt auch der Einwand nicht, die beschlossenen Zahlen könnten nach 2020 noch einmal nachjustiert werden. „Denn zunächst wird die Europäische Union mit diesem Paket am Verhandlungstisch bei der nächsten Klimakonferenz in Paris Ende 2015 sitzen. Die anderen maßgeblichen Akteure beim Kampf gegen die Erderwärmung, China etwa oder auch die USA, werden sich an den heute beschlossenen Kennzahlen orientieren.“

„Vorreiter geht anders“

Für Alice Thiel-Sonnen auf SWR2 ist das Glas nicht einmal halbvoll, mit dem die EU zum UN-Klimagipfel nach Lima reist. Beim Hochsprung liege die Latte vergleichsweise etwa „auf Hüfthöhe“, so „dass man fast aus dem Stand drüber kommt“. Für das Klima wäre aber mehr nötig und möglich. Die Kommentatorin sieht noch viel Luft beim Energieeinsparen und Ausbau der erneuerbaren Energien – aber ausgerechnet dafür lege man jetzt sozusagen gar keine Latte mehr: „Zu niedrige Ziele für Ökostromanlagen, und Energieeffizienz nur noch freiwillig, da wird für den Klimaschutz in Zukunft nicht sehr viel zusammenkommen“.

Das Regulierungssystem für weniger Treibhausgase, den Emissionshandel, lasse „man nun noch ein paar Jahre länger im Koma in der Ecke liegen und versetzt ihm sogar noch einen weiteren schwächenden Stoß“. Polen hätte ohne „Freifahrtschein“ die Verhandlungen blockiert; es habe damit „vor sechs Jahren schon einmal Erfolg“ gehabt, damals sei das Geld voll in die Kohleenergie investiert worden.

„Man könnte wohlwollend sagen“, so Thiel-Sonnen, der Klimakompromiss sei „besser als nichts“. Jedenfalls sei ert nicht so ambitioniert, „wie man ihn gerne verkaufen möchte, und er ist nichts, mit dem man sich zufrieden geben sollte“, denn alles in allem sei das Glas, das die Staats- und Regierungschefs hier auf den Klimaschutz gehoben hätten, „kaum gefüllt“ gewesen. „Damit lässt sich auf erfolgreiche Klimaschutzverhandlungen nicht anstoßen.“
->Quelle: cvd.bundesregierung.de