Deutscher Strom – nein danke!

Nachbarn wollen keine überschüssige deutsche Energie

Die von Deutschland in die Nachbarländer exportierten Strommengen schlagen ständig neue Rekorde. Doch diese Energie ist im Ausland zunehmend unerwünscht. Immer mehr Nachbarstaaten ergreifen Maßnahmen, um den Zufluss zu blockieren – schreibt das Naturstrom-Webportal energiezukunft.eu.

Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Deutschlands neues Massenexportgut Strom stößt bei unseren Nachbarländern Frankreich, Tschechien, Polen oder den Niederlanden zunehmend auf Unmut. Aus Sorge um die Stabilität der eigenen Stromnetze und zum Teil auch, weil die Länder ihre Elektrizität selbst herstellen und so ihre heimische Industrie stärken möchten, wollen sie die aus Deutschland in das eigene Stromnetz fließenden Strommengen künftig besser kontrollieren. Frankreich, die Niederlande und Belgien haben bereits grenznah zu Deutschland Phasenschieber installiert. Polen will noch in diesem Jahr entsprechend Blockaden an den Grenzen fertigstellen. Auch Tschechien kündigte Maßnahmen an.

Im ersten Halbjahr 2015 hat Deutschland 25 Terawattstunden ins Ausland geleitet – das entspricht rund acht Prozent des hierzulande von Januar bis Juni erzeugten Stroms. Im ersten Halbjahr 2014 waren es noch 19 TWh (36 im ganzen Jahr), ein Jahr zuvor 15. Das zeigt eine Auswertung des Berliner Think Tanks Agora Energiewende.

Der Grund: Immer mehr Ökostrom drängt in das deutsche Netz, der Anteil am deutschen Stromverbrauch wuchs im ersten Halbjahr 2015 aufgrund deutlich gestiegener Windstromproduktion auf den neuen Rekordwert von 31,4 Prozent (von 81 auf 92 TWh). Gleichzeitig wird der Kohlestrom zunehmend in die Nachbarländer abgegeben – um die Vielzahl an deutschen Kohlekraftwerken weiter am Laufen halten zu können und nicht abschalten zu müssen. „Vor allem die älteren Steinkohlekraftwerke geraten durch die stark gestiegene Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien zunehmend unter Druck und müssen ihre Produktion immer öfter drosseln. Sie suchen ihr Heil aber auch im verstärkten Export“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende.

„Unglücklicherweise verdrängt der Kohlestrom-Export in unseren Nachbarländern vor allem Strom aus klimafreundlicheren Gaskraftwerken, so in den Niederlanden oder – über die Transitländer Österreich, Frankreich und Schweiz – auch in Italien“, sagt Graichen. Im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr ist der Stromexport besonders nach Frankreich und in die Schweiz deutlich gestiegen und in Richtung Österreich und Niederlande auf konstant hohem Niveau verblieben.

Dem wollen die Nachbarstaaten nun ein Ende bereiten. Ein maßgebliches Problem sind die künftigen deutschen Stromtrassen, denn die Elektrizität fließt mangels geeigneter Wege in das Netz anderer Staaten ab. Der Druck auf Deutschland steigt, seine Nord-Süd-Netze auszubauen: „Wenn wir mehr Erneuerbare Energie nutzen wollen, müssen wir das Netz ausbauen“, sagte Walter Boltz, Vizepräsident der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), gegenüber der Welt.

Allerdings ist Deutschland nicht das einzige europäische Land, das seinen Strom den Nachbarn zuschiebt. Auch Tschechien und Frankreich beispielsweise exportieren große Mengen an Strom – und zwar nach Süddeutschland. Würden sie ihren Export reduzieren, könnte mehr deutscher Strom nach Bayern abfließen – und müsste nicht in solchen Mengen in andere Länder verkauft werden. Die EU jedenfalls wünscht sich im Rahmen der Energieunion ein zusammenwachsendes Stromnetz Europas. Es gilt also zu klären, wie erwünscht ein Stromnetz ohne Grenzen ist. (rr)

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