Günstige Zeiten für arbeitnehmerfreundlichen Braunkohle-Ausstieg

Kommentar von Luke Haywood, DIW Berlin – mit freundlicher Genehmigung

Der Kampf um die Klimapolitik in Deutschland ist zurzeit ein Kampf um die Braunkohle. Dabei geht es inzwischen nur noch um eine Frage: Wann ist Schluss? Den Klimaaktivisten, die sich am 13.05.2016 in der Lausitz versammelten, um für einen schnellen Braunkohleausstieg zu werben, stehen die Landesregierungen und Gewerkschaften entgegen. Diese kannten im Rahmen des geplanten Verkaufs von Vattenfalls Braunkohleaktivitäten nur ein Mantra: Möglichst lange die Beschäftigung in der Braunkohle retten! Wichtiger für die Beschäftigten ist jedoch eine geregelte Verkleinerung der Braunkohlewirtschaft zur rechten Zeit. Die Zeiten für einen Strukturwandel waren noch nie so günstig, und der größte Teil ist schon geschehen – 90 Prozent der Arbeitsplätze in der Lausitzer Braunkohle sind bereits weggefallen.

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Die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes ist verständlich. Angesichts des unvermeidbaren Endes der Braunkohle sollten sich Industriepolitik und Gewerkschaften jedoch auf eine Frage besinnen: Wann werden die Beschäftigten in der Braunkohle (und die indirekt abhängigen) am ehesten eine Chance haben, in nachhaltigere Sektoren umzusteigen? Aus Studien zur Dynamik des Arbeitsmarktes kann man zwei Lehren ziehen: Erstens entstehen neue Arbeitsplätze langsamer, als alte zerstört werden können. Daher kann der Arbeitsmarkt gut mit vielen kleinen, aber weniger gut mit Massenentlassungen umgehen. Ein Grund dafür ist, dass bei einem langsamen Umstieg genügend Kaufkraft in der Region bleibt. Wenn der gesamten Belegschaft schnell gekündigt wird, sind nicht nur direkte Zulieferer, sondern auch allgemeine Dienstleister in der Region stark betroffen.

Zweitens zeigen Studien immer wieder die Bedeutung der Konjunktur bei der Arbeitsplatzsuche: Wenn es der Wirtschaft gutgeht, bestehen viel größere Chancen, wieder schnell in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Seit 1999 hat sich die Arbeitslosenrate in Brandenburg und Sachsen auf nun rund neun bis zehn Prozent halbiert, und die Zinsen liegen auf dem bisher niedrigsten Stand. In der Lausitz wird über Fachkräfte­mangel, unbesetzte Planstellen und Lehrermangel berichtet. Kein schlechtes Ausgangsszenario für einen sanften Übergang aus der Braunkohlewirtschaft in andere Branchen.

Wie kann man eine solche Transformation gestalten? Green­peace hatte Vattenfall die Gründung einer Stiftung vorgeschlagen, die konkrete Schritte zum Strukturwandel in der Lausitz erarbeiten und dafür zwei Milliarden Euro von Vattenfall erhalten sollte. Das Angebot wurde nicht angenommen. Nun, einige Monate später, plant Vattenfall, seine Braunkohleaktivitäten an den tschechischen Energiekonzern EPH zu übertragen und diesem noch 1,7 Milliarden Euro mitzugeben – also fast dieselbe Summe, die Greenpeace gefordert hatte. Das heißt, wenn der geplante Verkauf so umgesetzt wird, bekommt EPH von Vattenfall erhebliche Summen, ohne dass die Beschäftigten eine erkennbare Perspektive auf einen sanften Strukturwandel haben. Die geplante Beschäftigungsgarantie nur bis 2020 erscheint nicht sehr beruhigend. Und wenn die Strompreise weiter niedrig bleiben, ist die Gefahr für die Beschäftigten mit EPH ungleich höher: Als schwedischer Staatskonzern verfügt Vattenfall über weitaus bessere Sicherheiten (besonders relevant angesichts der Kosten der Renaturierung, die auf den Steuerzahler zurückfallen könnten).

Wie also möglichst arbeitnehmerfreundlich aus der Braunkohle aussteigen? Politik und Gewerkschaften sollten aufhören, die Illusion einer Zukunft für die Braunkohle aufrechtzuerhalten, und für einen Strukturwandel mit möglichst wenig Leid sorgen. Das größte Risiko ist nicht ein möglicher Verlust von Arbeitsplätzen in der Braunkohleverstromung – dieser ist laut Plänen des Bundesumweltministeriums spätestens 2040 vorprogrammiert. Das größte Risiko ist, dass der neue Käufer möglichst lange die Maschinen laufen lässt und eine plötzliche Insolvenz dann zur Massenentlassung führt. Der Einstieg in den Ausstieg sollte also schnell beginnen.

Luke Haywood studierte an der Universität in Oxford Politische Wissenschaften, Philosophie und Wirtschaft und machte an der Paris School of Economics seinen PhD. Haywood ist heute wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Staat am DIW Berlin.

->Quelle:  diw.de