Atom-Konzerne erringen Teil-Sieg in Karlsruhe

Gemeinwohlbelange von hohem Wert und großem Gewicht

Demgegenüber sind die mit der 13. AtG-Novelle verfolgten Gemeinwohlbelange (Leben und Gesundheit der Bevölkerung, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) von hohem Wert und in der konkreten Umsetzung der Rücknahme der Laufzeitverlängerung von 2010 von großem Gewicht. Der Gesetzgeber wollte den 2002 beschlossen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie beschleunigen, indem er feste Abschalttermine einführte und die Ende 2010 erfolgte Verlängerung der Laufzeiten rückgängig machte. Hierdurch wurde eine Risikominderung von ganz erheblichem Ausmaß erreicht. Dabei ist auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber auf die Ereignisse in Fukushima reagierte, obwohl hieraus keine neuen Gefährdungserkenntnisse abgeleitet werden konnten. Wie weit allein geänderte politische Wertungen oder gewachsene Befürchtungen und Ängste in der Bevölkerung auch Maßnahmen tragen können, die – wie die Beschleunigung des Atomausstiegs – erheblich in Grundrechte der Betroffenen eingreifen, und welches Gewicht ihnen beigemessen werden kann, lässt sich allerdings nicht allgemein bestimmen. Jedenfalls bei der Beurteilung einer Hochrisikotechnologie, deren Schadensrisiken in besonderem Maße von einer politischen Bewertung und einer öffentlichen Akzeptanz abhängig sind, kann auch Ereignissen ein eigenes Gewicht beigelegt werden, die allein das Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Risiken ändern, obwohl neue Gefährdungen nicht erkennbar sind.

d) Die Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums durch die 13. AtG-Novelle ist allerdings unzumutbar, soweit sie dazu führt, dass zwei Beschwerdeführerinnen angesichts der gesetzlich festgelegten Restlaufzeiten ihrer Anlagen substantielle Teile ihrer Reststrommengen von 2002 nicht konzernintern ausnutzen können. Zwar haben die Beschwerdeführerinnen, die Bundesregierung und auch andere Beteiligte der Prognose, ob und inwieweit die Reststrommengen innerhalb der nunmehr fest befristeten Laufzeiten verbraucht werden könnten, unterschiedliche Annahmen hinsichtlich der realistisch zu erwartenden Auslastungsgrade der einzelnen Kernkraftwerke zugrunde gelegt. Im Ergebnis bestand allerdings Übereinstimmung, dass zwei Beschwerdeführerinnen ein im Wesentlichen vollständiger Verbrauch der Reststrommengen in konzerneigenen Kernkraftwerken innerhalb der verbleibenden Laufzeiten nicht möglich sein werde. Auf die Möglichkeit der konzerneigenen Verstromung kommt es jedoch an, da für diese Beschwerdeführerinnen eine konzernüberschreitende Übertragung von Reststrommengen keine uneingeschränkt zumutbare Verwertungsoption darstellt.

Die Eigentumsbeeinträchtigung ist quantitativ erheblich und wiegt vor allem wegen des rechtlichen Hintergrundes der 2002 zugesprochenen Reststrommengen schwer. Die 2002 zugewiesenen Reststrommengen sind Teil einer Übergangsregelung, die nach Entstehung, Begründung und Konzeption des Ausstiegsgesetzes von 2002 einen besonderen Vertrauensschutz bezweckte. Den Eigentümern und Betreibern der Kernkraftwerke sollte mit der getroffenen Regelung, insbesondere mit der Konzeption der Reststrommengenkontingentierung, eine verlässliche Grundlage für die Restlaufzeit der Anlagen zur Verfügung gestellt werden. Das Vertrauen in die zeitlich grundsätzlich ungebundene und im Wesentlichen ungeschmälerte Verwertungsmöglichkeit der Reststrommengen aus dem Jahr 2002 ist auch wegen ihres Kompensationscharakters besonders schutzwürdig. Diese Reststrommengen sollten den durch das Ausstiegsgesetz herbeigeführten Verlust der bis dahin unbefristeten Nutzungsmöglichkeit der Kernkraftwerke ausgleichen und so die Verhältnismäßigkeit der Ausstiegsentscheidung wahren helfen. Dass ein Teil der Reststrommengen aus dem Jahr 2002 wegen der festen Abschaltfristen konzernintern nicht mehr verstromt werden kann, belastet zwei Beschwerdeführerinnen auch deshalb, weil sie insofern gegenüber den konkurrierenden Unternehmen benachteiligt werden, die ihre Reststrommengen innerhalb der Laufzeit ihrer Kraftwerke vollständig verwerten können, ohne dass dafür ein ausreichender Rechtfertigungsgrund vorliegt. Den Belastungen der Beschwerdeführerinnen stehen zwar gewichtige Gemeinwohlbelange gegenüber. Diese wären jedoch durch eine Regelung, die die Verstrombarkeitsdefizite vermiede, nur in relativ geringem Maße belastet. Der Gesetzgeber hat in der 13. AtG-Novelle durch die Summe der Restlaufzeiten selbst einen Rahmen für das von ihm angestrebte Gemeinwohlziel gesetzt. Aufgrund der gestaffelten Restlaufzeiten und der noch vorhandenen konzerneigenen Reststrommengen dürfte einigen Anlagen aller Voraussicht nach eine ungenutzte Verstromungskapazität verbleiben. Die Verstrombarkeitsdefizite hätten, auch ohne das erstrebte Gesamtausstiegsdatum in Frage zu stellen, durch eine andere Staffelung der kraftwerksbezogenen Endzeitpunkte vermieden werden können.

Folgt: AtG-Novelle verstößt gegen Art. 14 Abs. 1 GG