Atom-Konzerne erringen Teil-Sieg in Karlsruhe

Keine Enteignung an den Eigentumsrechten

3. Die angegriffenen Bestimmungen der 13. AtG-Novelle führen nicht zu einer Enteignung der Beschwerdeführerinnen an den genannten Eigentumsrechten.
a) Die Enteignung ist auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Eigentumspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet. Die Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG setzt weiterhin zwingend voraus, dass der hoheitliche Zugriff auf das Eigentumsrecht zugleich eine Güterbeschaffung zugunsten der öffentlichen Hand oder des sonst Enteignungsbegünstigten ist. Das Erfordernis einer Güterbeschaffung als konstitutives Merkmal der Enteignung war bisher umstritten. Für dieses Merkmal spricht vor allem, dass ein praktischer Bedarf für den bloßen Eigentumsentzug, der nicht zugleich mit einem Übergang des Eigentums auf den Staat oder einen Drittbegünstigten verbunden ist, gerade dann besteht, wenn das Eigentumsrecht im weitesten Sinne bemakelt ist. In solchen Fällen hat der Staat typischerweise kein originäres Interesse an der Beschaffung des betroffenen Gegenstands aus Gründen des Gemeinwohls. Es entspricht der grundsätzlichen Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG), den Eigentumsentzug in solchen Fällen nicht als entschädigungspflichtige Enteignung zu qualifizieren, sondern als Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Mit der Begrenzung der Enteignung auf Fälle der Güterbeschaffung werden auch Eigentumsbelastungen aus dem Bereich der entschädigungspflichtigen Enteignung ausgenommen, mit denen der Staat konkrete Eigentumspositionen nur entzieht und die damit ein besonderes Eingriffsgewicht haben. In diesen Fällen hat der Gesetzgeber besonders sorgfältig zu prüfen, ob ein solcher Entzug nur dann mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn für den Eigentümer ein angemessener Ausgleich vorgesehen ist.
b) Durch die Einführung fester Abschalttermine werden den Beschwerdeführerinnen keine selbständigen Eigentumsrechte entzogen. Die im Jahr 2002 und 2010 gewährten Reststrommengen sind keine gegenüber dem Anlageneigentum selbständig enteignungsfähigen Eigentumspositionen.  Jedenfalls fehlt es für beide Eingriffsregelungen an dem für eine Enteignung unverzichtbaren Güterbeschaffungsvorgang. Weder die Befristung der Kraftwerkslaufzeiten noch die Streichung der im Jahr 2010 zusätzlich gewährten Reststrommengen führen zu einem Übergang der betroffenen Positionen auf den Staat oder einen Dritten.

4. Die angegriffenen Bestimmungen der 13. AtG-Novelle genügen im Wesentlichen den Anforderungen an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums.
a) Der Gesetzgeber hat bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Gestaltet der Gesetzgeber Inhalt- und Schranken unternehmerischen Eigentums durch Änderung der Rechtslage, muss er die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes und des Gleichheitssatzes achten. Soweit es um den Investitionsschutz von Unternehmen geht, gewährt Art. 14 GG die gleichen Garantien wie anderen Eigentümern. Dabei hat der Gesetzgeber den Bestand von Betrieben und die im Vertrauen auf die Gesetzeslage getätigten Investitionen angemessen zu berücksichtigen.
b) Der Gesetzgeber verfolgt mit der Beschleunigung des Atomausstiegs und seinem dahinter stehenden Wunsch, das mit der Nutzung der Kernenergie verbundene Restrisiko nach Zeit und Umfang zu minimieren und so Leben und Gesundheit der Bevölkerung und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, ein legitimes Regelungsziel. Die Festlegung fixer Abschalttermine und die Streichung der 2010 zugewiesenen Zusatzstrommengen sind auch geeignet, die endgültige Beendigung der Kernenergienutzung schneller als nach der bisherigen Rechtslage gesichert herbeizuführen.
c) Die Streichung der 2010 gewährten Zusatzstrommengen erweist sich als verhältnismäßig. Der Eingriff in Art. 14 GG ist in quantitativer Hinsicht allerdings äußerst umfangreich; der Gesetzgeber hat eine Stromproduktion von im Durchschnitt rund 12 Jahresleistungen je Kernkraftwerk gestrichen. Die Schutzwürdigkeit der betroffenen Eigentumspositionen ist aber mehrfach eingeschränkt, so dass sich der Eingriff in der Gesamtabwägung mit den dafür sprechenden Gemeinwohlbelangen als verhältnismäßig erweist. Über den ohnehin bestehenden starken Sozialbezug des Eigentums an den Kernenergieanlagen hinaus, ist der Eigentumsschutz in Bezug auf die Nutzung der Atomanlagen, soweit es die durch die 11. AtG-Novelle zugewiesenen Zusatzstrommengen betrifft, gegenüber staatlichen Einflussnahmen weiter eingeschränkt, weil die Zuweisung der Zusatzstrommengen nicht auf einer Eigenleistung der betroffenen Unternehmen beruht. Diese Zusatzstrommengen stellen, anders als die 2002 zugewiesenen Reststrommengen, keine Kompensation für anderweitige Einschränkungen des Eigentums der Beschwerdeführerinnen dar. Vielmehr waren diese das Ergebnis einer energie-, klima- und wirtschaftspolitischen Entscheidung von Bundesregierung und Gesetzgeber. Als politisch motivierte Gewährung durch den Gesetzgeber haben sie daher nur in geringem Maße Teil am eigentumsrechtlichen Bestandsschutz. Darüber hinaus ist der Zeitraum zwischen der 11. AtG-Novelle und der 13. AtG-Novelle zu kurz, um die generelle Annahme begründen zu können, dass die Kernkraftwerksbetreiber sich bereits nachhaltig auf die durchschnittlich zwölfjährige Laufzeitverlängerung eingerichtet hätten.

Folgt: Gemeinwohlbelange von hohem Wert undgroßem Gewicht