Tokamak vs Stellarator

Kernfusion – Der Spätstarter

Wendelstein 7-X ist die weltweit größte und modernste Kernfusionsanlage vom Typ Stellarator. Mit ihr soll getestet werden, ob aus der Verschmelzung leichter Atomkerne eine neue Energiequelle für die Menschheit entstehen kann. Rainer Klüting auf helmholtz.de.

„Wendelsteinstraße 1“ lautet die Adresse, an der man die „größte Thermoskanne Norddeutschlands“ findet. Auf der einen Straßenseite dehnt sich weites Ackerland. Auf der anderen fließt das Hauptgebäude des Max-Planck- Instituts für Plasmaphysik (IPP) in langen Wellen direkt auf eine große Experimentierhalle zu. Am Rand der 58.000-Einwohner-Stadt Greifswald, sind Forscher des IPP dabei, der Kernfusionsforschung neue Perspektiven zu eröffnen – mit Hilfe einer Anlage, der sie diesen anschaulichen Spitznamen gegeben haben.

Hier oben in Mecklenburg-Vorpommern geht es um ein atemberaubendes Vorhaben, das nach einigen Jahrzehnten des Schattendaseins jetzt einen Durchbruch erleben könnte – die Kernfusionsforschung. Und es geht um den Wettlauf zweier Ansätze: Wendelstein – das ist in Deutschland der Name für den sogenannten Stellarator. Sein großer Konkurrent ist der Tokamak.

Die Namen stehen für unterschiedliche Konzepte, die das atomare Feuer der Sonne auf der Erde zur Energiegewinnung nutzen wollen. Bei der Kernfusion verschmelzen zwei leichte Atomkerne zu einem neuen schwereren Kern. Dabei wird viel Energie freigesetzt. Auf der Sonne ist dies ein Dauerzustand. Das Brodeln vieler Millionen Grad heißer Teilchen, das die Physiker als Plasma bezeichnen, lässt sich auf der Erde allerdings nur mit Magnetfeldern festhalten. Das geschieht im Tokamak anders als im Stellarator: Der Stellarator entstand einst parallel zum Tokamak, wurde aber in der Weiterentwicklung bald abgehängt: Der Tokamak schien in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgversprechender.

Seit Ende 2015 erste Ausbaustufe von Wendelstein 7-X einsatzfähig

Jetzt allerdings setzen die Anhänger des Stellarators zur Aufholjagd an. Zum Beispiel in Greifswald: Seit Ende 2015 ist die erste Ausbaustufe von Wendelstein 7-X einsatzfähig. Sie steht in der großen Experimentierhalle, der sogenannten Torushalle. Niemand kennt sich hier so millimetergenau aus wie Torsten Bräuer, der Leiter des Vermessungsteams. Mit seinen Kollegen hat er die dreieinhalb Meter hohen Hauptspulen, 50 an der Zahl, auf einen bis eineinhalb Millimeter genau aufgestellt – in einem Kreis, in dem später das Plasma strömen wird und dessen Durchmesser „auf der Seele des Plasmas“, wie Bräuer es sagt, elf Meter beträgt.

Mit einem gelben Schutzhelm bewehrt, führt Bräuer seine Besucher durch zwei Montagehallen hindurch zur Torushalle. Das Hallentor aus 1,8 Meter dickem Beton ist derzeit offen, die Maschine ist abgeschaltet. Mit dem verhaltenen Stolz des Technikers tritt Bräuer unter das mächtige Portal und breitet die Arme aus. „Was sie sehen, ist die Maschine“, ruft er gegen den Lärm von Lüftern und Motoren und fragt dann: „Aber sie sehen gar nichts, oder?“

Zumindest sieht man nicht die berühmten Spulen. Sie sind verschwunden hinter viel stählerner Abschirmung und unzähligen Anschlüssen und Kabeln. Die Magnete aus Niob-Titan sind, zusammen mit Teilen der Plasmakammer, eingefasst in eine gewaltige Kältekammer. Daher stammt der Spitzname „größte Thermoskanne“. In der Kältekammer werden die Spulen und ihre Befestigungen, insgesamt rund 425 Tonnen Stahl, auf eine Temperatur von etwa 270 Grad Celsius unter null abgekühlt. Bei dieser Temperatur fließt der Strom ohne Widerstand – supraleitend. Nur so können die Spulen ausreichend starke Felder entwickeln.

Die Kühlkammer selbst besitzt etwa 255 sogenannte Ports – Zugänge, über welche Messfühler, elektrische Anschlüsse, Sensorsignale oder Kühlwasser in die Plasmakammer geführt werden. So liegt er da, Wendelstein 7-X, ein Gigant im Kühlmantel, verdrahtet und verrohrt wie auf der Intensivstation. Diagnose: kerngesund.

[note Folgt: Mission des Wendelstein 7-x