Handfeste ökonomische Motive
Der VW-Vorstandschef warb darüber hinaus für die Einführung von blauen Umweltplaketten in Städten. Die Vergabe sollte an einen bestimmten Stickoxid-Wert gebunden werden. „Nur wer darunter liegt, dürfte dann auch künftig in Städte fahren“, sagte Müller dem Handelsblatt. Nach seiner Einschätzung müssten Politik und Automobilhersteller „alles unternehmen, um großflächige Fahrverbote zu verhindern“.
Laut Müller könnten die Diesel-Milliarden „sinnvoller in die Förderung umweltschonender Antriebstechniken investiert werden. Abstriche bei den Dieselsubventionen, dafür Anreize für Elektroautos wären das richtige Signal. Das würden wir aushalten, ohne gleich Existenzängste haben zu müssen.“ Angesichts der horrenden Ausfallsummen kritisieren nicht nur Umweltschützer sondern auch Bundesrechnungshof und Umweltbundesamt seit langem das Dieselprivileg.
[note Der Berliner Tagesspiegel: „Auch bei Greenpeace kam man aus dem Staunen kaum heraus. ‚Die Bundesregierung wird ausgerechnet vom größten Dieselbetrüger zum Subventionsabbau angehalten‘, wunderten sich die Umweltschützer. Das sei in etwa so, als würde der Schwarzfahrer den Schaffner bitten, das Ticket zu kontrollieren. Der Schwarzfahrer, um im Bild zu bleiben, ist in diesem Fall VW-Vorstandschef Matthias Müller.]
Doch dass der VW-Häuptling selbst jetzt so plötzlich den Vorteil des Diesel in Frage stellt (Überschrift: „Dieser Wahnsinn ist vorbei“), hat knallharte ökonomische Gründe: Nach dem Dieselskandal muss Müller das ramponierte Image von VW wieder aufzupolieren versuchen, vor allem gegenüber strengen Behörden in den USA, wo erst vor kurzem einer seiner Manager zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Und: Der VW-Boss denkt nicht einfach laut über einen Abbau der Subvention nach, sondern will sie auf Elektro-Autos verlagert wissen. Das alles ist leicht erklärt: Müller wird die Sorge umtreiben, dass der Diesel-Geld-Zapfhahn plötzlich zugedreht werden könnte, während VW immer noch in eine überholte Technologie investiert, und die Zeichen der Zeit verschläft. Siemens-Löscher lässt grüßen. Die Nach-und-nach-Umschichtung der Subvention käme dem elektro- und e-fuel-zögerlichen VW-Konzern entgegen. Der mächtige VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh betonte denn auch laut Spiegel, Müller habe nicht von einem sofortigen Stopp der Dieselsubventionen gesprochen. „Das wird wie gesagt nicht von heute auf morgen passieren,“ so Osterloh. „Das ist nicht das Ende des Diesels.“
[note „Stillstandsrepublik“
Handelsblatt-Herausgeber Steingart ätzte in seinem Morning Briefing am 11.12.2017: „Die von VW-Chef Matthias Müller im Handelsblatt-Interview vorgestellte Idee, die jährliche Dieselsubvention von acht Milliarden Euro zugunsten der Elektromobilität umzupolen, hat die Autoindustrie verblüfft, die Umweltschützer erfreut und die Kanzlerin sprachlos gemacht. Über einen Regierungssprecher ließ sie mitteilen, dass sie nicht vorhabe, an der gegenwärtigen Dieselbestellung etwas zu ändern. Die Stillstandsrepublik Deutschland hat gesprochen. Angela Merkel muss aufpassen, dass sie nicht das politische Gegenstück zum Dieselmotor wird. Denn auch der war einst mit großen Erwartungen gestartet und wird in absehbarer Zeit als Auslaufmodell enden. Unklar ist nur noch die Restlaufzeit.]
Der Diesel ist für die deutschen Automobilhersteller extrem wichtig: 2016 hatten ihn etwas mehr als die Hälfte aller neu zugelassenen VW-Autos. Bei der Premium-Tochter Audi waren es sogar zwei Drittel, BMW und die Daimler-Kernmarke Mercedes-Benz kamen auf ähnliche Werte. Allerdings brach der Dieselabsatz in Folge des Skandals um manipulierte Abgassysteme ein.
Folgt: Neue – „erschreckende“ – Werte für Berlin – Fahrverbote gefordert