Elektromobilität und die Rettung der Staatsfinanzen

Kommentar von Björn Peters – mit freundlicher Genehmigung

Im Oktober 2017 ließ eine längst fällige Verordnung aus dem Bundesfinanzministerium die juristische Fachwelt aufhorchen. Sie könnte dazu geeignet sein, die Finanzierungsprobleme des Staates endgültig in den Griff zu bekommen. Zumindest in der fünften Jahreszeit.

[note Kommentare geben Meinung und Informationen der Kommentierenden wieder, nicht in jedem Fall die von Solarify.]

Es geschah im Oktober. Die Bundestagswahl hatte unliebsame Ergebnisse erbracht, der amtierende Finanzminister wurde als Parlamentspräsident gebraucht und für die Beamten im Finanzministerium begann eine Phase der Neuorientierung („Sedisvakanz“). Denn wenn ein Chef abberufen wird und der neue noch nicht fest im Sattel sitzt, ergibt sich Raum für Kreativität, um durch konstruktive Vorschläge auf sich aufmerksam zu machen. Und tatsächlich fanden sich ein paar Beamte, die einen bahnbrechenden Anwendungserlass veröffentlichten: Zwei Tage nach dem Amtsantritt von Peter Altmaier von den ‚Grünen‘ oder so, also lange Wochen, bevor er überhaupt wusste, wo im Ministerium die Sanitäranlagen zu finden sind, wurde er in Umlauf gebracht.

In der Verordnung, die sich an die obersten Finanzbehörden der Länder richtet und verbindlichen Charakter hat, werden zwei Ziele miteinander auf geniale Weise verknüpft, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben: Die Sicherung der Staatsfinanzen und die Elektromobilität. Um die Genialität des Vorhabens überhaupt erfassen zu können, müssen wir das Thema aus etwas weiterer Ferne betrachten.

In Paragraph 3 des Einkommensteuergesetzes sind Normen hinterlegt, welche Zuwendungen an Privatpersonen sich dem Zugriff des Staates entziehen, also etwa Leistungen als Arbeitslosengeld, Wehrsold, Ehrenamtspauschale, Berufskleidung und so weiter und so fort. Die Liste umfasst 76 Ziffern mit verschiedensten Dornen in den Augen von Finanzministerialen. Ziffer 46 regelt beispielsweise folgendes: „Steuerfrei sind […] zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber gewährte Vorteile für das elektrische Aufladen eines Elektrofahrzeugs oder Hybridelektrofahrzeugs im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 4 Satz 2 zweiter Halbsatz1 an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers oder eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) und für die zur privaten Nutzung überlassene betriebliche Ladevorrichtung.“

Das Aufladen von Elektrofahrzeugen jedweder Art beim Arbeitgeber ist also, ins Deutsche übersetzt, ganz einfach steuerfrei und der Zweck der Regel einfach zu erklären: Der Elektromobilität soll damit zum Durchbruch verholfen werden, schließlich sollen bis 2020 allein eine Million Elektroautos Deutschlands Ladeinfrastruktur zum Glühen bringen. (Auch wenn damit eine bereits heute veraltete Batterietechnik zur Anwendung käme mit Materialien, die unter höchst zweifelhaften Bedingungen gewonnen werden, aber das ist hier eine belanglose Nebensächlichkeit.) Hinzu kämen Hybridfahrzeuge, Elektroroller und -fahrräder. Eine solch groß angelegte Steuerbefreiung, so einfach sie auch für den Laien zu verstehen ist, kann von einem karriereorientierten Beamten natürlich nicht einfach hingenommen werden. Also wurden bereits am 14. Dezember 2016 Ausführungsbestimmungen erlassen, die die steuerzahlerfreundliche Regelung von §3 Nr. 46 EStG ins Gegenteil verkehren. Hierzu wurden zahlreiche Einzelfälle, in denen Unternehmer – ganz im Sinne des Gesetzgebers – Kunden, Geschäftspartner oder Mitarbeiter durch kostenloses Aufladen ihrer Elektrofahrzeuge unterstützen möchten, nun doch wieder der Besteuerung unterworfen.

Was für den juristischen Laien wie ministeriale Rechtsbeugung klingt, hat dennoch Methode. Die Abgeordneten, die solch großzügigen Gesetze beschließen, müssen schließlich auf den Weg der Finanztugend zurückgeführt werden. Und wer eignet sich dafür besser als ein Bürokrat, der eigenmächtig so herrlich komplexe Regelungen erlassen kann, die das Gegenteil bewirken, was der Gesetzgeber will? Die Abgeordneten werden die Anwendungserlässe schon nicht lesen, geschweige denn verstehen! Und dass mit solch gegensätzlichen Regeln auch der Anarchie Tür und Tor geöffnet werden, dürfte gegenüber einem ‚grün‘ inspirierten Ministerchef nach dessen langem Marsch durch die Institutionen die Chancen auf Beförderung erhöhen. War doch bereits in den 1970ern das Sponti-Lebensmotto „legal, illegal, sch…egal“ und heute eben das Motto derer in den Amtsstuben.

In der Verordnung vom 26. Oktober 2017² wurde nun klargestellt, dass es zwei Arten von Elektrofahrrädern gibt, die vom Unternehmer gewissenhaft unterschieden werden müssen. Während in den Ausführungsbestimmungen von Ende 2016 noch das Aufladen wenigstens aller Elektrofahrräder an der Steckdose des Unternehmers steuerfrei gestellt wurde, ist es dem heldenhaften Kampf der Finanzministerialen zu verdanken, dass seit Oktober letzten Jahres dies nunmehr nur noch für Elektrofahrzeuge gilt, die bauartbedingt weniger als 25 km/h elektrisch fahren und daher kein grünes Nummernschild haben. Ist doch klar nachzuvollziehen, dass Elektrofahrräder mit grünem Nummernschild eigentlich Mofas, also Kraftfahrzeuge sind und grässlich stinken, … äh …, auch wenn sie elektrisch betrieben sind – oder so?

Die Last der Unterscheidung zwischen Ladestrom für Elektrofahrzeuge mit oder ohne grünem Nummernschild bleibt wieder mal beim Unternehmer hängen. Er muss also einen Wächter neben seine Steckdose stellen, der genauestens darüber Buch führt, welche Art von Elektrofahrrad sich ihm gerade nähert. Im einen Fall misst er die Strommenge, berechnet die Kosten hierfür und addiert sie dem Arbeitnehmer für die Zwecke der Steuerberechnung auf den Bruttolohn, im anderen Fall tut er dies nicht. Dieser kleine Schönheitsfehler der Verordnung wird aber die Begeisterung fürs Einhalten wirklich aller staatlichen Regeln nicht trüben können, werden doch so Mehreinnahmen für den Staatshaushalt in unbeschreiblich großer Höhe erwartet, für die jedes Mittel recht ist. Bestimmt kommen so jährlich fast hunderttausend Euro zusammen, und wer könnte darauf schon verzichten?

¹ Pauschale Besteuerung von Dienstwagen mit monatlich einem Prozent des Bruttolistenpreises; bei Elektrofahrzeugen werden die Kosten der Batterien aus dem Bruttolistenpreis nach einem nahezu völlig bürokratiefreien, zehnzeilig beschriebenen Verfahren herausgerechnet. Nur wenige hundert Finanzgerichtsverfahren und Ausführungsbestimmungen haben sich seither mit der einfach nachvollziehbaren Regel befasst.

² Wörtlich hgeißt es dort: „Zu den begünstigten Fahrzeugen rechnen auch Elektrofahrräder, wenn diese verkehrsrechtlich als Kraftfahrzeug einzuordnen sind (z. B. gelten Elektrofahrräder, deren Motor auch Geschwindigkeiten über 25 Kilometer pro Stunde unterstützt, als Kraftfahrzeuge). Aus Billigkeitsgründen rechnen vom Arbeitgeber gewährte Vorteile für das elektrische Aufladen von Elektrofahrrädern, die verkehrsrechtlich nicht als Kraftfahrzeug einzuordnen sind (u. a. keine Kennzeichen- und Versicherungspflicht), im Betrieb des Arbeitgebers oder eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) nicht zum Arbeitslohn“

Der Beitrag erschien zuerst am 29.01.2018 auf deutscherarbeitgeberverband.de/energiefrage. Der Autor beschäftigt sich seit Jahren mit dem Energiesektor. Er leitet das Ressort Energiepolitik beim Deutschen Arbeitgeber Verband e.V. und ist Inhaber der Unternehmens- und Politikberatung Peters Coll.