„Das menschliche Wohlergehen ist gefährdet“

Biodiversität nimmt weiter ab: „Weckruf“

Der Klimawandel spielt bei der Abnahme der Biodiversität eine große Rolle. Die Forscher des Weltbiodiversitätsrates IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), der bis 26.03.2018 im kolumbianischen Medellín den Stand der Wissenschaft zur globalen Biodiversität beriet, hoben zudem hervor, wie wichtig die biologische Vielfalt für das Überleben der Menschheit ist. Denn der Rückgang der Arten vermindert die Fähigkeit der Natur, zum Wohlergehen der Menschen beizutragen – es überhaupt zu ermöglichen. Auch die neue Bundesumweltministerin Svenja Schulze warnte am 26.03.2018, nach der Veröffentlichung von fünf Berichten zum Zustand der biologischen Vielfalt, der Verlust der Artenvielfalt bedrohe auch uns Menschen.

IPBES Regional Assessments, Flyer – Header

„Weckruf“

Die biologische Vielfalt geht in allen Regionen der Welt zurück. Diese alarmierende Entwicklung gefährdet nicht nur die Umwelt, sondern auch Wirtschaft, Ernährungssicherheit und Lebensqualität der Menschen. Das ist das Fazit der IPBES. Schulze: „Die Berichte des Weltbiodiversitätsrats sind ein Weckruf für Politiker auf der ganzen Welt. Das Artensterben ist nicht nur ein umweltpolitisches Problem, es betrifft alle Bereiche der Politik – auch in Deutschland. Die biologische Vielfalt ist unsere Lebensgrundlage. Wir wissen längst noch nicht alles über die Ursachen des Artensterbens. Aber wir wissen heute bereits genug, um gegensteuern zu können. Eine wesentliche Ursache ist der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Deshalb wollen wir unter anderem den Einsatz von Glyphosat in dieser Legislaturperiode beenden und grundsätzlich zu einem restriktiveren Umgang mit Pestiziden kommen.“ Hauptursache für den Rückgang der Biodiversität in Europa ist laut IPBES die zunehmende Intensität der konventionellen Land- und Forstwirtschaft. Europa fördere zwar die Erträge der Landwirtschaft, aber das gehe auf Kosten anderer Leistungen der Natur wie Bestäubung oder Bodenbildung, befördere insgesamt Bodenverluste in Höhe von Milliarden Tonnen jährlich.

Bereits 2012 rückte die vom damaligen IASS-Direktor Klaus Töpfer initiierte erste Global Soil Week (GSW) das vernachlässigte Thema „Böden“ ins Blickfeld: Böden sind die Grundlage für 90% der weltweit produzierten Nahrung. Ohne fruchtbare, intakte Böden ist die Ernährungssicherheit schlicht nicht zu gewährleisten. Das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS, heute: Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung) in Potsdam hat sich im Rahmen der 1. GSW vom 18.-22.11.2012 dieser wichtigen Ressource angenommen und das Thema „Böden“ ins Bewusstsein gerufen. Dabei wurde u.a. der Animationsfilm „Let’s Talk About Soil“ uraufgeführt.

Insgesamt verbrauche Europa mehr natürliche Ressourcen als es reproduzieren könne, so Schulze. In der Europäischen Union wiesen daher 27 Prozent der bewerteten Arten und 66 % der Lebensraumtypen einen „ungünstigen Erhaltungszustand“ auf. Bei 42 % der bekannten terrestrischen Tier- und Pflanzenarten sei im vergangenen Jahrzehnt die Populationsgröße messbar zurückgegangen. Nach dem ersten Bericht über Bestäuber und ihre Lebensräume 2016 veröffentlichte der Weltbiodiversitätsrat nun in Meddellín vier neue regionale Bewertungen (Nord- und Südamerika, Asien-Pazifik, Afrika, Europa und Zentralasien). Ein weiterer Bericht widmet sich dem Thema Landdegradation und –wiederherstellung. Innerhalb von drei Jahren haben mehr als 550 führende internationale Experten aus 100 Ländern diese Berichte erstellt. Der Regionalbericht Europa wurde von insgesamt 120 Wissenschaftlern (darunter auch 12 Deutsche) erstellt. Damit liegen erstmals gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, Analysen und politische Handlungsempfehlungen für die gesamte Erde vor. Zusammen sind diese wissenschaftlich begutachteten Berichte der wichtigste fachliche Beitrag weltweit zu aktuellem globalem und regionalem Wissen über Biodiversität und Ökosystemleistungen.

Die IPBES mit Sitz im Bonner „Langen Eugen“ ist vergleichbar mit ihrer älteren Schwester IPCC für das Klima. Die zwischenstaatliche, wissenschaftspolitische Plattform für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen wurde bei der Weltkonferenz für Biologische Vielfalt 2008 in Bonn unter deutscher Präsidentschaft auf den Weg gebracht und 2012 in Panama von mehr als 100 Regierungen gegründet. Sie hat derzeit 129 Regierungen als Mitglieder und bezieht bei seiner Arbeit zahlreiche Nichtregierungsakteure sowie Vertreter des Privatsektors und wissenschaftliche Organisationen ein. Mit einem Jahresbudget von 8 Mio. Euro prüft IPBES kritisch das verfügbare Wissen und stellte es Politikern zur Verfügung, um bessere Entscheidungen zu ermöglichen. Das BMUB unterstützt das Bonner IPBES-Sekretariat jährlich mit 1,5 Mio Euro.

Ernste Gefahr durch Naturverlust

„Der Rückgang der biologischen Vielfalt gefährdet das menschliche Wohlbefinden, doch es gibt Möglichkeiten zum Schutz und zur Wiederherstellung“. So betitelte der Weltbiodiversitätsrat IPBES seine am 23.03.2018  veröffentlichten Presseerklärung, nachdem in der Nacht vier regionale Berichte („Assessments“) zur Biodiversität und der Ökosystemleistungen beim 6. Plenum in Medellín/Kolumbien von den Staatenvertretern verabschiedet worden waren. Das Netzwerk-Forum zur Biodiversitäsforschung Deutschland NeFo hat sich mit beteiligten deutschen Experten unterhalten – zu den Antworten.

Die vier regionalen Bewertungen der Biodiversität und der Ökosystemleistungen umfassen die Regionen Amerika, Asien und Pazifik, Afrika sowie Europa und Zentralasien – den gesamten Planeten mit Ausnahme der Pole und der offenen Ozeane. „Die biologische Vielfalt und die Beiträge der Natur für die Menschen klingen, für viele Menschen, akademisch und weit entfernt von unserem täglichen Leben“, sagte IPBES-Vorsitzender Sir Robert Watson: „Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein – sie sind das Fundament unserer Nahrung, unseres sauberen Wassers und unserer Energie. Sie stehen nicht nur im Mittelpunkt unseres Überlebens, sondern auch unserer Kulturen, Identitäten und Lebensfreude. Die besten verfügbaren Beweise, die von den weltweit führenden Experten gesammelt wurden, zeigen uns jetzt eine einzige Schlussfolgerung: Wir müssen handeln, um die nicht-nachhaltige Nutzung der Natur zu stoppen und umzukehren – oder nicht nur die Zukunft zu riskieren, die wir wollen, sondern auch das Leben, das wir derzeit führen. Glücklicherweise zeigen die Beweise auch, dass wir wissen, wie wir unsere lebenswichtigen Naturschätze schützen und teilweise wiederherstellen können.“

Umfassend überprüft

Die umfassend überprüften IPBES-Bewertungsberichte konzentrieren sich auf die Beantwortung von Schlüsselfragen für jede der vier Regionen, darunter:

  • Warum ist die biologische Vielfalt wichti?
  • Wo machen wir Fortschritte?
  • Welche sind die größten Bedrohungen und Chancen für die biologische Vielfalt und
  • wie können wir unsere Politiken und Institutionen für eine nachhaltigere Zukunft anpassen?

In jeder Region, mit Ausnahme einer Reihe von positiven Beispielen, bei denen Lehren gezogen werden können, werden die biologische Vielfalt und die Fähigkeit der Natur, zu den Menschen beizutragen, durch eine Reihe gemeinsamer Belastungen – Lebensraumstress, Übernutzung und nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, Luft-, Land- und Wasserverschmutzung, zunehmende Zahl und Auswirkungen invasiver gebietsfremder Arten und Klimawandel, unter anderem, verringert und verloren.

Folgt: Rückgang der Biodiversität – jetzt und in Zukunft