Dekarbonisierung und effizientere Nutzung von Prozesswärme

Strategische Optionen von BEE und HANNOVER MESSE

Erneuerbare Energie deckt bislang nur marginal den Energiebedarf in der Prozesswärme und Prozesskälte: knapp sechs Prozent. Dabei gibt es erhebliche technische Potenziale zur Dekarbonisierung der Industrie. Das ist das Ergebnis eines am 05.04.2018 in Berlin vorgestellten Kurzgutachtens des Hamburg Instituts für den Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) und die HANNOVER MESSE. Solarthermie, Wärmepumpen, feste, flüssige und gasförmige Biomasse sowie Geothermie können hier aus technischer Sicht bereits heute einen großen Beitrag leisten.

Großes Potenzial für Erneuerbare Energie in der Industrie

Es gibt in allen Industriezweigen, von der Nahrungsmittelproduktion über die Chemie bis zur Metallverarbeitung, große Potenziale zur Integration Erneuerbarer Energie. Am einfachsten zu erschließen ist dem von Christian Maaß und Gerrit Fuß präsentierten Kurzgutachten (Ergebnisse s.u.) zufolge das Potenzial im niedrigen Temperaturbereich. Im mittleren und hohen Temperaturniveau lassen sich gute Erfolge mindestens in der Teil-Dekarbonisierung erreichen, wobei es zum Beispiel für Hochtemperaturprozesse noch Forschungsbedarf gibt.

Mit einer CO2-Bepreisung und weiteren Maßnahmen wie energieorientiertem Planen und Bauen sowie einer verbesserten Förderung ließen sich auch schnell Erfolge erzielen. Unterstützend wäre zudem die Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie in Deutschland, was bislang nicht erfolgt ist.

„Da mehr als 20 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs auf industrielle Prozesse zum Wärmen und Kühlen fallen, liegt hierin ein maßgebliches Potenzial gleichermaßen für die Innovation und den Klimaschutz“, sagte BEE-Geschäftsführer Peter Röttgen. Seit Jahren stagniert der Anteil Erneuerbarer Energie in der prozessualen Wärme und Kälte auf niedrigem Niveau. „Eine konsequente Nutzung Erneuerbarer Energie in Industrie und Gewerbe ist bislang kaum möglich.“ Auch die Wärme im Gebäudebereich basiert heute vorrangig auf fossilen Energieträgern.

Röttgen wies abschließend darauf hin, dass wir „die Energieversorgung von morgen mit den Modellen von gestern berechnen. Dabei besteht die Energiewende nicht darin, dass wir viele Einzelfall-Lösungen suchen, sondern das Gesamtsystem ändern. Eines der Instrumente dahin ist die CO2-Bepreisung kombiniert mit einer Absenkung der auf Strom erhobenen Steuern und Abgaben – dieses System muss komplett überdacht werden. Dabei müssen die Kosten nicht steigen.“

Grundsätzlich verzeichnet der Wärmebereich derzeit noch nicht den notwendigen Forschritt im Rahmen der Energiewende, obgleich es genug Möglichkeiten für eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes gibt. „Mit der HANNOVER MESSE bieten wir eine ideale Plattform, um neue Marktchancen zu diskutieren, die die Dekarbonisierung von Industrie und Gewerbe Unternehmen bietet. Unternehmen werden so unabhängiger von Rohstoffimporten, flukturierenden Preisen für fossile Energieträger und verbessern gleichzeitig ihre Klimabilanz“, ergänzte Benjamin Low, Global Director Energy bei der Deutschen Messe AG. „Industrie und Erneuerbare können gemeinsam die Energiewende voranbringen.“

[note Zusammenfassung und Ergebnisse der Studie

  • Prozesswärme und -kälte sind für über 20% des Endenergiebedarfs verantwortlich – sie gehören damit zu den größten Energieverbrauchssektoren in Deutschland. Nach Jahren der Stagnation nimmt der Prozesswärmebedarf in Industrie und Gewerbe seit 2014 wieder zu.
  • Lediglich knapp 6% der Prozesswärme werden heute durch Erneuerbare Energien erzeugt.
  • Trotz der hohen Bedeutung der Prozesswärme und –kälte für die Energiewende ist bisher keine ausreichende Entwicklung zur Dekarbonisierung und effizienteren Nutzung erkennbar.
  • Mit der Solarthermie, Geothermie, Biomasse, (Groß-)Wärmepumpen sowie anderen strombasierten Formen der Wärmeerzeugung stehen verschiedene Technologien für die vollständige oder teilweise Dekarbonisierung vieler Prozesse bereit.
  • Das wirtschaftlich zu hebende Effizienzpotenzial allein im Brennstoffbereich der Industrie beläuft sich auf ca. 10% des gesamten aktuellen Prozesswärmebedarfs. Mit ansteigenden CO2– oder Energiepreisen wächst dieses Potenzial.
  • Nicht in den Betrieben nutzbare Abwärme sollte für Dritte nutzbar gemacht werden, z.B. durch Einspeisung in Fernwärmenetze. Mit Großwärmepumpen können dabei auch die bislang zu wenig beachteten Potenziale der Niedertemperatur-Abwärme genutzt werden.
  • Mit der Digitalisierung ergeben sich aus den neuen Möglichkeiten zur Messung, Steuerung und Vernetzung von Prozessen zusätzliche Effizienzpotenziale. Auf der Erzeugungsseite entstehen neue Märkte für die „klassischen“ Erneuerbaren Technologien und neue Optionen an der Schnittstelle von Wärme- und Strommarkt.]
  • Als strategische Option bieten sich im Niedertemperatur-Bereich (z.B. in der Nahrungsmittelindustrie) gute Möglichkeiten einer vollständigen Dekarbonisierung durch Erneuerbare Energien und begleitende Effizienzmaßnahmen.
  • Bei Branchen mit mittleren Temperaturen (z.B. Chemieindustrie, Grundstoffverarbeitung Maschinenbau, Kfz) sollte zunächst auf eine Teil-Dekarbonisierung gezielt werden, bei der Erneuerbare Energien in Kombination mit fossilen Energieträgern eingesetzt werden.
  • Um auch Hochtemperatur-Anwendungen zu dekarbonisieren, sind verstärkte F&E-Arbeiten nötig. Energieeffizienzmaßnahmen, verstärkte Abwärmenutzung und der Einsatz von Biomasse und Strom in Pilotprojekten können schon heute begonnen werden.
  • Um Dekarbonisierungs- und Effizienz-Technologien auf dem Prozesswärme-Markt zum Durchbruch zu verhelfen, wird ein Maßnahmenpaket aus Energiesteuern, Energieeinsparverpflichtungen, Änderungen des Planungsrechts und finanziellen Anreizen vorgeschlagen. Durch den Umbau des Fördersystems für Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen in Richtung einer übergreifenden Effizienz- und Erneuerbaren Wärme-Förderung sollen schließlich fairere Bedingungen für die verschiedenen Technologien geschaffen werden.

->Quellen: