DIW: Energiewende wird nicht an Stromspeichern scheitern

Wolf-Peter Schill, Alexander Zerrahn, Claudia Kemfert und Christian von Hirschhausen widersprechen Hans-Werner Sinn

Die Umsetzung der Energiewende erfordert einen weiteren starken Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland. Jedoch werden in der energiepolitischen Debatte immer wieder Zweifel geäußert, ob eine weitgehend auf fluktuierender Wind- und Solarenergie basierende Energieversorgung möglich sei. So droht einer aktuell diskutierten Analyse Sinns („Buffering Volatility: A Study on the Limits of Germany’s Energy Revolution“ – oder „Wie viel Zappelstrom verträgt das Netz?“ ) zufolge der weitere Ausbau der Wind- und Solarenergie in Deutschland aufgrund fehlender Stromspeicher an eine Grenze zu stoßen. Das widerlegt ein am 07.06.2018 online gestelltes DIW-Aktuell (zugänglich über die Cornell University Library unter: „On the economics of electrical storage for variable renewable energy sources“, 49 S.). Solarify dokumentiert es.

Energiespeicher bei Younicos, Berlin-Adlershof – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Die Autoren des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin zeigen im Folgenden, dass der dabei ermittelte Speicherbedarf aufgrund methodischer Schwächen weit höher liegt als in anderen relevanten Studien. Er kann um rund zwei Größenordnungen niedriger ausfallen, wenn eine moderate Abregelung erneuerbarer Stromerzeugungsspitzen erlaubt wird, wenn also nicht jede von Windkraft- und Solaranlagen erzeugbare Kilowattstunde eingespeichert werden muss. Zudem können neue flexible Stromnachfrager den Speicherbedarf noch deutlich weiter verringern. Der Stromspeicherbedarf stellt somit, anders als von Sinn behauptet, kein Hindernis für den weiteren Fortgang der Energiewende dar.

EE-Ausbau Eckpfeiler der Energiewende – Speicher als Grenze – doch wichtige methodische Schwächen

Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der sogenannten fluktuierenden erneuerbaren Energien, ist ein Eckpfeiler der Energiewende. Im Jahr 2017 deckten Windkraft- und Photovoltaikanlagen bereits gut 24 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs, mitsamt der Bioenergie und der Wasserkraft kamen die erneuerbaren Energien insgesamt auf einen Anteil von gut 36 Prozent.1 Um die energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung zu erreichen, müssen die erneuerbaren Energien in allen Anwendungsbereichen noch sehr viel stärker genutzt werden, was auch ein starkes weiteres Wachstum der fluktuierenden Wind- und Solarenergie bedingt.

Bereits seit vielen Jahren beschäftigt sich die angewandte Energieforschung und -beratung mit Fragen der Markt- und Systemintegration fluktuierender erneuerbarer Energien. Dabei gilt es in der Wissenschaft mittlerweile als weitgehend unstrittig, dass sehr hohe Anteile erneuerbarer Energien nicht nur möglich, sondern auch zu relativ geringen Systemkosten zu erreichen sind.2

Dennoch werden in der energiepolitischen Debatte immer wieder Zweifel laut, ob die fluktuierende Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie künftig tatsächlich das Rückgrat der Energieversorgung bilden kann. Eine aktuell viel diskutierte Analyse des bekannten Volkswirts Hans-Werner Sinn kommt zum Schluss, dass der weitere Ausbau der Wind- und Solarenergie in Deutschland aufgrund eines übermäßigen Stromspeicherbedarfs demnächst an eine Grenze stößt. Diese Argumentation entwickelt er in einem kürzlich erschienen Fachartikel sowie in auf diesem Artikel basierenden Vorträgen.3 Auch in der Presse und in den sozialen Medien wird die Arbeit diskutiert.4

Im Folgenden werden die Ergebnisse von Sinns Analyse zunächst kurz zusammengefasst und mit denen anderer Studien verglichen. Danach werden eigene, vollständig transparente Alternativrechnungen vorgestellt, die wichtige methodische Schwächen beheben, und denen zufolge der Stromspeicherbedarf je nach Szenario um rund zwei Größenordnungen niedriger ausfallen kann.5  

Fazit: Stromspeicher kein Engpass für Energiewende

Eine Vielzahl etablierter Studien und hier vorgestellte eigene Berechnungen zeigen, dass der weitere Ausbau fluktuierender erneuerbarer Energien keinen übermäßigen Stromspeicherbedarf mit sich bringen muss. Stromspeicher sind kein Engpass für die Energiewende. Erheblich reduzieren lässt sich der Speicherbedarf insbesondere durch eine moderate temporäre Abregelung der Erzeugungsspitzen von Windkraft- und Solaranlagen. Zudem können im Kontext einer künftig verstärkten Sektorenkopplung neue flexible Verbraucher in Kombination mit nachgelagerten andere Energiespeicherformen den Bedarf an Stromspeichern weiter senken. Diese Zusammenhänge illustriert exemplarisch noch einmal Abbildung 4 für einen kombinierten Versorgungsanteil der Wind- und Solarenergie von 60 Prozent Gleichwohl bleibt auch weiterhin die Förderung von Forschung und Entwicklung bei Speichertechnologien im Kontext der Energiewende sinnvoll, um weitere Kostensenkungspotenziale zu erschließen.15 Dies gilt auch für die aus klimapolitischer Sicht wichtige Sektorenkopplung im Wärme- und Mobilitätsbereich. …

Anmerkungen (auf diw.de/sixcms/diw_01.c.591126.de)

1 BMWi (2018): Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland. Stand Februar 2018 – online verfügbar.

2 Vgl. Tom Brown et al. (2018): Response to ‘Burden of proof: A comprehensive review of the feasibility of 100% renewable-electricity systems’. Renewable and Sustainable Energy Reviews 92, 834-847 – online verfügbar.

3 Sinn (2017): Buffering volatility: A study on the limits of Germany’s energy revolution. European Economic Review 99, 130-150 – online verfügbar. Vgl. auch den Vortrag „Wie viel Zappelstrom verträgt das Netz? Bemerkungen zur deutschen Energiewende“ im Rahmen der Münchner Seminare an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 18. Dezember 2017 – online verfügbar).

4 Beispielsweise berichteten die Süddeutsche Zeitung, die Welt, das Manager Magazin, das Handelsblatt und die Wirtschaftswoche über den Artikel. Zudem erreicht er einen Altmetric-Score von 40, was in den oberen fünf Prozent aller von Altmetric gelisteten Fachartikel liegt – online verfügbar.

5 Eine Langfassung der Studie liegt in englischer Sprache in Form eines Fachaufsatzes vor: Alexander Zerrahn, Wolf-Peter Schill und Claudia Kemfert (2018): On the economics of variable renewable energy sources, electrical storage, and curtailment – online verfügbar. Die Berechnungen sind konsequent quelloffen: Alle Eingangsdaten und Simulationswerkzeuge sind kostenfrei und ohne Zugangsbeschränkung in einem Online-Repositorium verfügbar – online verfügbar. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Kopernikus-Projekts „P2X“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Förderkennzeichen 03SFK2B1.

->Quellen: