MPs appellieren an Kohlekommission – Reaktionen

Gegensätzliche Interessen – BEE und Greenpeace melden sich

Am 26.06.2018 nahm die „Kohlekomission“ der Bundesregierung ihre Arbeit auf. Sie soll noch in diesem Jahr ein Datum und einen Masterplan für Deutschlands Kohleausstieg entwickeln. Doch dazu muss sie verschiedenste, teils gegenläufige Interessen zufriedenstellen – so EURACTIV.de am gleichen Tag.

Bis wann Deutschland wirklich aus der Braunkohle aussteigt, ist ungewiss – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

„Die sichere Energieversorgung ist ein Grundpfeiler unseres Industriestandortes. Ganze Branchen gründen darauf, dass zu jeder Zeit Strom in großen Mengen verlässlich zur Verfügung steht“, scheiben Michael Kretschmer und Armin Laschet (beide CDU) in einem Gastkommentar („Deutschland darf den Kohleausstieg nicht überstürzem„) für das Handelsblatt. Die beiden Ministerpräsidenten der Kohleländer Sachsen und Nordrhein-Westfalen betonen ganz besonders die Versorgungssicherheit und der über 20.000 Arbeitsplätze hinter der Kohleindustrie. Kretschmer und Laschet schreiben, dass bislang vor allem Kohlekraftwerke die Versorgungssicherheit gewährleisteten. Ihre Bedeutung nehme mit dem Atomausstieg noch zu. „Das bestehende Niveau trotz des bereits geplanten Rückgangs der Kohleverstromung in den kommenden Jahrzehnten zu erhalten, ist daher eine wesentliche Herausforderung“, heißt es in dem Gastkommentar weiter. Es gehe „um eine nationale Frage von vitaler Bedeutung für den Industriestandort. Es geht um die Basis unseres Wohlstands“. Was sie nicht schrieben: Es geht um Wählerstimmern, Parteispenden und den Werterhalt der kommunalen EVU-Aktien.

Deutschland wagt sich mit der neuen „Kohlekommission“ sehr vorsichtig an den Ausstieg aus der Braunkohle. Andere EU-Länder sind und längst weit voraus. Warum?

Die Kommission trägt den offiziellen Namen „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ und soll sich vor allem dem Strukturwandel in Deutschlands betroffenen Kohlerevieren widmen, um sowohl ihre wirtschaftlichen Interessen als auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Bei der Einberufung der Kommission gab Arbeitsminister Heil das Ziel aus, “Chancen und Schutz” für die vom Strukturwandel in den Kohlerevieren betroffenen Menschen zu schaffen. “Worum es geht, ist Strukturwandel zu gestalten und Strukturbrüche zu verhindern”. Dabei sollte es auch um konkrete Ansiedlungsmöglichkeiten in innovativen, zukunftsträchtigen Feldern gehen. Als Beispiel nannte Heil die Möglichkeit, dort Aktivitäten im Bereich der Batteriezellenentwicklung oder -Produktion aufzubauen.

Grünen-Chef Anton Hofreiter dagegen forderte von der Kohlekommission, noch dieses Jahr einen Abschaltplan für die Kohlekraftwerke vorzulegen, die bis 2020 vom Netz gehen müssten, um das Klimaziel 2020 zu erreichen. „Damit die Kohlekommission nicht zu einer hohlen Kommission verkümmert, müssen schnell konkrete Vorschläge auf den Tisch“, sagte Hofreiter der Rheinischen Post vom Dienstag.

Nur noch etwas mehr als 20.000 Arbeitsplätze hängen in Deutschland direkt von der Braunkohle ab. Aber die Tage der Energiequelle sind gezählt. Für Braunkohleregionen wie die Lausitz wäre ein sozial unverträglicher Ausstieg eine Katastrophe. Aber den will auch niemand.

BEE: Kohleausstieg sowie Erneuerbare strukturell und wirtschaftlich nutzen

„Es ist gut, dass die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Regionalentwicklung jetzt endlich ihre Arbeit beginnt“, kommentiert Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) den heutigen Start. „Die Kommission muss nun einen planbaren, sozial verträglichen Kohleausstieg skizzieren, der sich an den nationalen und internationalen Klimazielen orientiert. Nur so können die Klimaziele erreicht werden und Strukturbrüche vermieden sowie energiewirtschaftliche Planbarkeit und Investitionssicherheit in klimaschonende Technologien geschaffen werden.“

Gerade die Energieregionen seien aufgrund ihrer Netzinfrastruktur, ihrer Flächenverfügbarkeit und ihres Know-hows geeignet, Modellregionen für eine zukunftsfähige Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien, für die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität und den Einsatz von Speichern zu werden. Mit Blick auf die breite gesellschaftliche Akzeptanz betont Peter die Notwendigkeit, einen geordneten Kohleausstieg zu organisieren und dabei auch die kulturellen Aspekte einer ausklingenden Traditionswirtschaft im Auge zu behalten. Zudem müsse der Kohleausstiegsplan von einem Masterplan 100 Prozent Erneuerbare Energien begleitet werden, um den Erfordernissen eines modernen, klimaverträglichen und flexiblen Energiesystems Rechnung zu tragen. „Planungssicherheit für die Industrie schafft erst die Basis für Investitionen. Ein schneller Einstieg in den Kohleausstieg ist unverzichtbar zur Erreichung der Klimaschutzziele sowie zur Senkung der Redispatchkosten, da inflexible Kraftwerke hohe Kosten für die kurzfristige Änderung des Kraftwerkseinsatzes zur Vermeidung von Netzengpässen erzeugen.“

Daneben ist aus Sicht des BEE auch ein CO2-Preis ein unverzichtbares Element. Peter appelliert an die Bundesregierung, gemeinsam mit Frankreich und weiteren europäischen Nachbarn vorwegzugehen und einen CO2-Mindestpreis einzuführen. „Die Bundesregierung sollte die Vereinbarungen der Meseberg-Erklärung umsetzen, die den CO2-Preis als Schlüssel eines neuen Abgabe- und Steuersystems beschreibt und einen marktwirtschaftlichen Rahmen für den Ausstieg aus fossilen Energien und den Ausbau der Erneuerbaren Energien gibt.“ Ein angemessener CO2-Preis würde die ökonomischen Anreize setzen, um den Kohleausstieg marktwirtschaftlich zu organisieren.

Eine am 25.05.2018 vorgestellte Studie von Greenpeace Energy (siehe: solarify.eu/braunkohle-ausstieg-spart-jaehrlich-fast-28-milliarden-euro) kommt zu dem Schluss, dass durch einen schnellen Kohleausstieg jährlich 27,9 Milliarden Euro Kosten vermieden werden können. „Die Folgekosten der Kohleverstromung kosten jedes Jahr Milliarden Euro. Die Verfehlung der Klimaschutzziele wie auch der Erneuerbare-Energien-Ausbau-Verpflichtung kommen vermutlich noch on top“, so Peter. Der zügige Ausstieg aus der Braunkohle sei deshalb sowohl aus Gründen des Klimaschutzes als auch aus ökonomischer Sicht notwendig. „Es ist nun Aufgabe der Kommission, die Maßnahmen zum sozialverträglichen Umbau zu definieren.“ Gleichzeitig müsse der Ausbau Erneuerbarer Energien mit Sonderausschreibungen und klaren Planungsschritten bis zum Jahr 2030 vorangetrieben werden, um schnell Erfolge zu erzielen.

Riesiges Sonnensymbol an Berliner Siegessäule

Greenpeace demonstrierte am Dienstag in Berlin „für konsequenten Klimaschutz durch einen raschen Ausstieg aus der Kohle und mehr erneuerbare Energien“ um die Berliner Siegessäule.. Mit 3.500 Liter „umweltfreundlicher und abwaschbarer Farbe“ verwandelten Aktivisten den Kreisverkehr am Großen Stern in ein riesiges Sonnensymbol, wie Greenpeace mitteilte. Auf einem Banner forderten die Klimaschützer „Sonne statt Kohle“. Die Polizei prüft eine Anzeige wegen Ordnungswidrigkeit.

Sprecher Christoph von Lieven erklärte, der „verschleppte“ Kohleausstieg ruiniere Deutschlands Klimabilanz und bremse die Modernisierung unseres Energiesystems hin zu Solar und Windkraft. „Die Kohlekommission gibt den betroffenen Menschen und Investoren nur dann die nötige Planungssicherheit, wenn sie ein Enddatum festlegt, mit dem Deutschland seine Klimaziele nachweislich erreicht.“Auf einem Banner fordern die Klimaschützer „Sonne statt Kohle“.

Wetterextreme wie Starkregen, Stürme und anhaltende Trockenzeiten treten immer häufiger auf, richten Millionenschäden an und zeigen, dass der menschgemachte Klimawandel längst auch in Deutschland angekommen ist. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland spricht sich für einen raschen Ausstieg aus der besonders klimaschädlichen Kohle aus und fordert einen schnellen Umstieg auf saubere erneuerbare Energien. Die Menschen sind auch bereit, für einen schnelleren Kohleausstieg leicht erhöhte Strompreise in Kauf zu nehmen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Uni St. Gallen (online: https://act.gp/2khgGn6).

Ein Drittel der Kohlekraftwerke könnte bis 2020 vom Netz gehen

Deutschland exportiert seit Jahren immer mehr Strom, der ganz überwiegend aus klimaschädlichen Kohlekraftwerken stammt. Im vergangenen Jahr gingen netto 60 Terawattstunden ins Ausland – 2014 waren es nicht einmal halb so viel. Entsprechend stagniert der deutsche Ausstoß an Treibhausgasen seit 2009. Eine Analyse des Beratungsinstituts Energy Brainpool im Auftrag von Greenpeace zeigt, dass rund ein Drittel der deutschen Kohlekraftwerke mit insgesamt 17 Gigawatt Kapazität innerhalb von drei Jahren vom Netz gehen könnten. Die Versorgungssicherheit bliebe gewährleistet, der deutsche CO2-Ausstoß aber würde bis 2020 um 88 Millionen Tonnen sinken. (Die Studie online: http://gpurl.de/Y661i)

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