Autobauer schummeln weiter

Abgasskandal mal anders herum

EU-Experten haben mehrere (bisher ungenannte) Autohersteller dabei erwischt, dass sie „Tricks“ anwenden, um die Auswirkungen der neuen Emissionsvorschriften von vornherein zu unterlaufen, schreibt Sam Morgan auf EURACTIV unter Verweis auf einen Artikel in der Financial Times. Angeblich lassen die Firmen ihre aktuellen Emissionswerte schlechter aussehen, als sie tatsächlich sind, damit die später darauf aufbauenden relativen Grenzwerte nicht so scharf ausfallen.

Diesel-Auspuff – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Es ist genau das Gegenteil zum Dieselgate-Skandal: Laut einem sogenannten Non-Paper, die die Gemeinsame Forschungsstelle GFS (Joint Research Centre, JRC) der EU-Kommission vorgelegt hat, scheinen die Automobilhersteller jetzt ihre Emissionen künstlich zu erhöhen. Denn nach den neuen Emissionsvorschriften, die im Jahr 2020 in Kraft treten sollen, müssen Neuwagen kontinuierlich weniger CO2 ausstoßen als im Vergleichsjahr 2021. Die Kommission hat bislang ein Reduktionsziel von 15 Prozent für 2025 und 30 Prozent für 2030 vorgeschlagen. Damit die Ergebnisse der Prozentrechnungen die Gewinne der Autoschmiede nicht zu stark schmälern, müssen also jetzt möglichst hohe CO2-Ausstöße her. „Tricks“ lassen die Testergebnisse schlechter aussehen als sie wirklich sind – die daraus folgenden Reduktionsziele fallen dann weniger ehrgeizig aus und wären leichter zu erreichen, so das – ethisch nicht sonderlich hochstehende – Kalkül.

EU-Klimakommissar Miguel Arias Cañete sagte denn auch der Financial Times: „Wir mögen keine Tricks, wir haben Dinge entdeckt, die uns nicht gefallen. Wir werden alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, damit die Ausgangswerte die wahren sind.“ Und EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska, die bereits im Diesel-Abgasskandal um zu hohe Stickoxid-Werte hart mit mehreren Autobauern ins Gericht gegangen war: „Es scheint, dass einige in der Industrie keine Lehren aus dem Dieselskandal gezogen haben“, sagte sie dem Handelsblatt. Die Anbieter sollten emissionsfreie Wagen entwickeln, statt Schlupflöcher bei neuen Tests auszunutzen.

Vorauseilender Betrug

Die Gemeinsame Forschungsstelle teilte der Kommission mit, sie habe in 114 Datensätzen Belege dafür gefunden, einige Automobilhersteller konfigurierten ihre Testfahrzeuge „so, dass die gemessenen WLTP aufgebläht werden“. WLTP (Worldwide Harmonised Light Vehicles Test Procedure) ist ein neues Testprotokoll, das die Grundlage für zukünftige Emissionsprüfungen bilden soll. Als nämlich die gleichen Fahrzeuge aktuellen Abgasnormen folgend getestet wurden, fanden sie „eine andere Konfiguration…. um bei der Prüfung möglichst geringe CO2-Emissionen zu erreichen“. Bei einer solchen überhöhten Ausgangslage wären die verpflichtenden Emissionssenkungen in der Praxis dann effektiv niedriger. Einige Experten schätzen sogar, dass durch diese Manipulation die Verschärfung der Emissionsziele und die endgültig zu erreichenden Werte um die Hälfte reduziert werden könnten. Im Vergleich zu unabhängigen Tests seien die Emissionen daher um durchschnittlich 4,5 Prozent höher gewesen, so die GFS. In einigen Fällen habe die Ausstoß-Steigerung sogar bis zu 13 Prozent betragen.

William Todts, Transport & Environment-Geschäftsführer nennt das eine Art vorauseilenden Betrug: „Nach Dieselgate haben die Autohersteller versprochen, sich zu ändern. Neue Tests sollten der Schlüssel dafür sein. Jetzt ist aber klar, dass sie diese neuen Tests benutzen, um die ohnehin schon schwachen CO2-Standards weiter zu untergraben. Indem sie WLTP manipulieren, betrügen sie die Ziele für 2025/2030, noch bevor sie vereinbart wurden“. Er fügte hinzu, die Autobauer wollten die Emissionsziele „mit minimalem Aufwand erfüllen, damit sie weiterhin Diesel verkaufen und die Umstellung auf Elektroautos verzögern können. Das ist eine frustrierende Erinnerung daran, dass die Autoindustrie in der Vergangenheit verharren will – und dass man ihr nicht trauen kann.“ In einer T&E-Erklärung heißt es, es habe bei der Manipulation der Tests wahrscheinlich Absprachen zwischen den Automobilherstellern gegeben, um „gleiche Wettbewerbsbedingungen aufrechtzuerhalten“. Die Organisation forderte die Kommission daher auch auf, Kartelluntersuchungen in diesen Fall einzuleiten.

Absichtliche Verzerrungen

Offenbar absichtliche Verzerrungen bestanden zum Beispiel darin, dass „die Tests mit einer anfangs leeren Batterie durchgeführt wurden, so dass während des Tests zusätzlicher Kraftstoff verbraucht wurde, um die Batterie aufzuladen“, schrieb die GFS. Oder die Stop-Start-Funktion – ein System zum Abschalten des Motors im Leerlauf, um Emissionen zu reduzieren – wurde deaktiviert. Die GFS fand auch „Schaltstrategien“, bei denen Autos in Gängen gefahren wurden, die einen „signifikanten“ Anstieg der CO2-Emissionen verursachen würden. Die Erkenntnisse der Kommission wurden dem österreichischen EU-Ratsvorsitz, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses des EU-Parlaments sowie der federführenden Europaabgeordneten zur CO2-Akte für Kraftfahrzeuge, der maltesischen Europaabgeordneten Miriam Dalli übermittelt.

Laut Handelsblatt wies der Verband der Automobilindustrie (VDA) den Verdacht künstlich überhöhter CO2-Werte zurück. Deutsche Hersteller setzten alles daran, um bis 2021 den dann geltenden Grenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer im Schnitt der verkauften Neuwagen zu erreichen. „Höhere Verbrauchsangaben wären da kontraproduktiv. Sie machen die Erfüllung der Zielmarke schwerer,“ so eine Erklärung.

In einem Schreiben an die Mitgliedstaaten schlägt die Kommission der FT zufolge drei Maßnahmen vor, um dem Problem zu begegnen:

  1. Sie wird deutlich machen, dass nicht die von den Automobilherstellern angegebenen Werte die Basis für künftige Reduktionsziele sind . „Dies würde den Effekt einer Überdeklaration beseitigen“;
  2. neue Emissionsmessungen für 2020 „müssen systematisch erhoben werden“, um Transparenz und Überprüfbarkeit zu erhöhen;
  3. Brüssel wird die ordnungsgemäße Durchsetzung überwachen und unterstützen. Gegebenenfalls „könnte die Kommission auch eine Änderung der WLTP-Verordnung in Erwägung ziehen“.

[note Solarify empfiehlt die (noch bis 28.08.2018 mögliche) Ansicht einer aktualisierten Dokumentation auf arte „Die Macht und ihr Preis – die Akte VW“ von 2016 – arte.tv/die-macht-und-ihr-preis. Nach diesem Filmbeitrag hätte man denken können, alles zu wissen, doch die geldgierigen Blechschmiede überraschen stets aufs Neue mit krimineller Kreativität…]

->Quellen: