Was Einstein noch nicht wusste

Verzögerung gleich Null

Der photoelektrische Effekt liefert die Grundlage für nachhaltige Energieversorgung durch Solarenergie, für weltweite Kommunikation und moderne Materialforschung. Vor mehr als einem Jahrhundert hat ihn Albert Einstein beschrieben. Nun haben Wissenschaftler der Technischen Universität München (Medienmitteilung der TUM), des Labors für Attosekundenphysik (LAP) am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) und der Technischen Universität Wien erstmals die unglaublich kurze Zeitspanne zwischen der Absorption eines Lichtquants durch einen Festkörper und der daraus resultierenden Entstehung eines Photoelektrons gemessen. Die Physiker konnten zeigen, welche Faktoren diesen fundamentalen Prozess bestimmen und wie er manipuliert werden kann.

In Vakuum-Experimentierkammern untersuchen LAP-Forscher Wechselwirkungen zwischen Licht und Elektronen – Foto © A. Heddergott, TUM

Wie die Technische Universität München (TUM) unter Verweis aus einen Artikel in Nature mitteilt, konnten bisher nur Richtung und Energie der Elektronen bestimmt werden. Der Weg der Elektronen hingegen – etwa durch einen Kristall – habe sich aufgrund der winzigen Dimensionen und der extrem kurzen Dauer des Prozesses bis dato nicht beobachten lassen. Mit der vom Forscherteam um Prof. Reinhard Kienberger vom Lehrstuhl für Laser- und Röntgenphysik der TUM entwickelten Messmethode ist es nun möglich, die Zeit zwischen der Absorption eines Röntgen-Photons und der Emission eines Elektrons zu bestimmen.

Weg der Elektronen durch Kristall

Wenn nun energiereiches Licht auf einen Kristall fällt, werden seine Elektronen angeregt und teilweise von den strengen physikalischen Regeln im Kristall befreit. Geschieht dies nahe einer Oberfläche, verlassen sie den Kristall und können beobachtet werden. Forscher verwenden diese Elektronen seit Jahrzehnten um die Eigenschaften von Halbleitern, Metallen und Supraleitern zu untersuchen. Sie konnten bisher allerdings nur ihre Richtung und Energie bestimmen. Über die zeitliche Abfolge ihrer Entstehung war nichts bekannt. Jedoch enthält die Zeitspanne dieses Prozesses viele neue Informationen, wie zum Beispiel den Weg der Elektronen durch den Kristall. Aufgrund der winzigen Dimensionen konnten diese bisher aber nicht beobachtet werden.

[note Die an der TUM entwickelte Messeinrichtung erlaubt es, die Zeit zwischen der Aufnahme eines Röntgen-Photons und dem Ausströmen eines Elektrons zu bestimmen – Foto © A. Heddergott, TUM]Das internationale Physikerteam hat nun eine neue Messmethode entwickelt, die es erlaubt, die Zeit zwischen der Absorption eines Photons und der Emission eines Elektrons zu bestimmen. Dazu „klebten“ die Physiker einzelne Iod-Atome auf einen Wolfram-Kristall und bestrahlten ihn mit Röntgenblitzen, die den Photoeffekt starteten. Da die Iod-Atome extrem schnell auf einfallendes Röntgenlicht reagieren, kann man sie als Licht- und Elektronen-Stoppuhren benutzen. Um die Präzision der Messung zu erhöhen, wurden diese Stoppuhren dann in einem weiteren Experiment mithilfe einer erst kürzlich entwickelten absoluten Referenz (Nature Physics, 7. Nov. 2016), geeicht. „Dies ermöglicht uns, das Austreten der Photoelektronen aus einem Kristall mit einer Genauigkeit von wenigen Attosekunden zu stoppen“, sagt Kienberger. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer milliardstel Sekunde.

Die Messung habe gezeigt, dass Photoelektronen aus dem Wolframkristall in rund 40 Attosekunden erzeugt werden können – und damit etwa doppelt so schnell wie von den Forschern erwartet. Das liege daran, dass mit dem Licht bestimmter Farben hauptsächlich die Atome in der obersten Schicht des Wolframkristalls wechselwirkten, so die TUM.

Photon-Elektron-Umwandlung manipulierbar

Ein weiterer interessanter Effekt konnte mit dem Experiment beobachtet werden: Noch schneller werden Elektronen aus Atomen auf der Oberfläche eines Kristalls gelöst. Nach der Bestrahlung mit Röntgenlicht gaben sie ohne messbare Verzögerung direkt Elektronen frei. Dies könnte für die Herstellung von besonders schnellen Photokathoden für eine Anwendung in Freie-Elektronen-Lasern interessant sein, urteilen die TUM-Wissenschaftler, da sie nun wissen, wie sie die Photon-Elektron-Umwandlung beschleunigen oder manipulieren können.

Mit der neuen Methode kann außerdem das Verhalten von komplizierten Molekülen auf Oberflächen untersucht werden – ein vielversprechender Ansatz etwa um neuartige Solarzellen zu entwickeln. Denn mit dem Wissen über die bislang unbekannten photochemischen Prozesse können technische Anwendungen viel besser optimiert werden.

Dasselbe Experiment enthüllt, wie die Photon-Elektron-Umwandlung weiter beschleunigt werden kann: Erstmals konnte das zeitliche Verhalten einzelner auf einer Oberfläche adsorbierter Atome untersucht werden. Diese Atome emittieren Elektronen sogar ohne messbare Verzögerung nachdem sie mit Röntgenlicht interagieren, was die Herstellung ultraschneller Photokathoden, z.B. für die Anwendung in freien-Elektronen-Lasern, ermöglicht.

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