Deutschland muss für CO2 zahlen

Der Schwarze Peter liegt bei der Bundesregierung, ihrem Haushalt – die will ihn loswerden

Zumindest für die Industriestaaten ist die Nutzung der Erdatmosphäre beschränkt und gegebenenfalls entgeltpflichtig. In der ersten Periode des Kyoto-Protokolls (2008 bis 2012) war das noch für alle Industriestaaten so, in der zweiten Periode (2013 bis 2020) fast nur noch für die EU und mit ihr verbundene wenige weitere Staaten. Versprochen wurde dies gegenüber dem zuständigen Organ der Vereinten Nationen, der Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Als Subjekt dort aufgetreten ist die EU als Ganze, als eigenständiges Völkerrechtssubjekt. Es existiert damit eine Begrenzung für die gesamten Emissionen Europas im Zeitraum 2013 bis 2020, und das ist eine, in der jedes Jahr zählt: Nach Rechnungsabschluss in 2020 nämlich wird für die Summe aller Emissionen in diesen acht Jahren abgerechnet. Dann wird gefragt: Kannst Du, EU, so viele Rechte, wie Du emittiert hast, vorweisen? Die hat die EU bei der UN abzugeben. Wenn etwas fehlt, hat sie zusätzliche Rechte gegen Entgelt einzukaufen.

Die EU war nicht so blauäugig, eine solche Verpflichtung einzugehen, wenn diese nicht von denjenigen Akteuren unterlegt wäre, die wirklich und direkt Einfluss haben auf die emittierten Mengen. Das unterscheidet die EU von der Bundesrepublik Deutschland. In Deutschland nimmt die Bundesebene die Minderungs-Verpflichtungen von der EU entgegen und reicht sie – bislang zumindest – nicht weiter.

Die Bundesregierung hat für jegliche Versäumnisse, Unwillen (der Automobilindustrie), Obstruktion (zum Beispiel des Bundesrates) oder auch Tölpeleien anderer (siehe etwa der Moorbrand bei Meppen) geradezustehen und muss gegebenenfalls zahlen. Aus dieser Position will sie inzwischen herauskommen. Im kommenden Klimaschutzplan, dem vorrangigen Vorhaben im Klimaschutzbereich gemäß Koalitionsvertrag, ist Ziel, den Schwarzen Peter endlich weiterzugeben. Aber an wen? Die Akteure, die wirklich beziehungsweise weit eher als die EU Macht über „ihre“ Emissionen haben, wurden von der EU wie folgt in zwei Gruppen geordnet.

  • Da sind zum einen die Betreiber großer Anlagen. Die wurden mit ihren Rechten und Verpflichtungen Brüssel direkt unterstellt. Das geschah, nachdem Brüssel fassungslos zusah, welche Korruptionsprozesse sie ausgelöst hatte, als sie die erste Runde der Verteilung von Emissionsfreirechten den nationalen Körperschaften überlassen hatte. Auch in Deutschland, um es auf den Punkt zu bringen. Unterstellt wurden sie dem „Europäischen Emissionshandelssystem“, engl. Emissions Trading System, deswegen EU-ETS abgekürzt. Die Pointe aber kommt in dieser Benennung nicht zu Ausdruck, es ist nämlich wesentlich ein „cap & trade system“. Das cap, die Begrenzung der Emissionsrechte in Summe, ist die Pointe – nicht der Handel. Der ETS umfasst gut 40 Prozent der EU-Emissionen.
  • Bleiben zum anderen, mit etwa 55 Prozent, die Emissionen aus den vielen Kleinquellen, vor allem im Verkehr, den selbsttransportierten Verbrennungskraftmaschinen auf den Straßen; in den Gebäuden zur Heizung und Klimatisierung; in der Landwirtschaft, den vielen Tieren, Ställen und Jauchegruben. Die Verantwortung dafür blieb bei den Nationalstaaten in der EU, jedem wurde individuell ein Teil zugerechnet – vollzogen in der „Effort Sharing Directive“ (ESD) der EU. Also rechtsförmig durchsetzbar – anders als die Verpflichtungen, die man der UN-Ebene gegenüber (im gleichen Sinne) eingegangen ist. Die ESD-Verpflichtungen sind somit ernst. Ihnen kann man nicht, wie bei freiwilligen Zielen, mit einem bedauernden Schulterzucken entkommen, mit dem Satz auf den Lippen, „Wir haben uns bemüht, aber es hat nicht sollen sein …

Seit 15. Januar 2018 ist bekannt: Deutschland ist im Klima-Obligo

In diesem Sinne hat Deutschland eine rechtlich verbindliche Begrenzungsverpflichtung für acht Jahre – die kaum bekannt ist. Sie ist im Bewusstsein, selbst in Fachkreisen, verdrängt worden durch das rechtlich unverbindliche Punktziel der Bundesregierung für das Jahr 2020, über das fast ausschließlich gesprochen wird. Die Begrenzungsverpflichtung unter der ESD ist nicht allein rechtlich verpflichtend, sie ist obendrein finanziell „bewehrt“. Am Ende der Periode wird Deutschland, die Bundesregierung, nämlich gefragt: Hast Du auch so viele Rechte, wie von Deinem Staatsgebiet aus emittiert wurde (nach Abzug der Emissionen im ETS-Sektor, also vor allem der großen Kraftwerke mit Kohle und Gas als Brennstoff), vorzuweisen? Dann schlägt die Stunde der Wahrheit. Das wird so etwa 2022 der Fall sein, Buchhaltungsprozesse brauchen ihre Zeit.

Hat die Bundesregierung Rechte in unzureichender Menge vorzuweisen, weniger als sie als Freirechte erhalten hat, so muss sie welche zukaufen. Und die haben ihren Preis. Der steht jetzt (Anfang Oktober 2018) bei 20 Euro pro Tonne Kohlendioxid und wird bis 2022 auf 30 Euro pro Tonne Kohlendioxid klettern – da sind sich die Experten einig. Um ganz genau zu sein: Da das alles im Vorhinein absehbar ist, wird die Bundesregierung klugerweise vorab ihren wahrscheinlichen Schuldenstand errechnen und im Vorhinein Emissionsrechte hinzukaufen. Anders gesagt, darum geht es mir: Auch wenn erst in 2022 schlussendlich abgerechnet wird, fallen allfällige Mehrausgaben für die (absehbare) Begrenzungsüberschreitung heute und alsbald an.

In Berlin werden sich, wenn diese neuartige Situation erst einmal wahrgenommen worden ist, neue Interessenkonstellationen zwischen den Ressorts der Bundesregierung ergeben. So fragt man sich in Berlin beispielsweise, zu wessen Lasten es gehen soll, wenn die PKW-Hersteller über alle Leisten schlagen und daran weder vom zuständigen Ressort, dem Verkehrsministerium, noch vom Treuhänder der CO2-basierten Kfz-Steuer, dem Finanzminister, gehindert werden? Das Umweltministerium hat dafür nicht das Geld und vermag auch nicht den Übeltätern in die Speichen zu greifen. Also wird es wohl darauf hinauslaufen, dass das Prinzip gilt: Wer bestellt, zahlt. „Bestellen“ heißt hier: Wer die Klientel seines Ressorts ‚einfach machen lässt’, ohne Rücksicht auf resultierende finanzielle Verpflichtungen. Beim Verkehr läuft es darauf hinaus: Was die Kfz-Hersteller mit ihren faktischen Überschreitungen der spezifischen CO2-Flottenwerte an Verwendung von Haushaltsmitteln provozieren, das steht weniger für die Instandsetzung von Straßen und Brücken zur Verfügung. Es gilt das Ressortprinzip, nun als Prinzip der ressortintern kommunizierenden Röhren. So könnten eines Tages die Bauarbeiter gegen die IG-Metaller von der Kfz-Industrie marschieren.

Wenn der Bundesrechnungshof, wenn der Finanzminister, wenn der Normenkontrollrat diese Lektion bereits gelernt hätten, dann würden sie nicht zuwarten, bis das Kind endgültig in den Brunnen gefallen ist. Deutschland ist zwar klar im Bereich der Überschreitung, aber das Ausmaß zusätzlicher Überschreitung durch heutige Entscheidungen (oder Nicht-Entscheidungen) ist ja nicht besiegelt sondern noch erheblich beeinflussbar.

[note Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH mit den Forschungsschwerpunkten: Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen. Er wirkt mit im Initiativkreis „Umwelt und Ressourcenknappheit“ des Denkwerks Zukunft.]

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