„Bio“ klimaschädlicher als konventionelle Landwirtschaft

Nahrungsmittelproduktion und Klimaschutz

Laut einer Untersuchung der Humboldt-Universität Berlin und der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg, gemeinsam mit Forschern aus Princeton und Montpellier, sind landwirtschaftliche Produktionsweisen von größerer Bedeutung für Klimawandel und Klimaschutz als bisher angenommen. Weltweit werden immer mehr Wälder und Grasland in Ackerland und Weideflächen umgewandelt, wodurch wertvolle Kohlenstoffspeicher verloren gehen. Hinzu kommt der intensive Einsatz von fossilen Treibstoffen, Bewässerung, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Das macht die Landwirtschaft verantwortlich für etwa ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen.

Bio-Obst und -Gemüse – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Soll die globale Erwärmung entsprechend dem Klimaschutzabkommen von Paris auf höchstens 1,5 Grad Celsius begrenzt werden, dann müssen nicht nur die Emissionen deutlich verringert werden. Ambitionierte Klimaschutzstrategien setzen zusätzlich auf die gezielte Nutzung von Land zur vermehrten Aufnahme und Speicherung von Kohlenstoff, etwa durch großräumige Aufforstung oder die Produktion von Bioenergie. Allerdings wird sich auch der weltweite Nahrungsmittelbedarf bis 2050 wahrscheinlich mehr als verdoppeln. Die Konkurrenz um fruchtbares Land steigt also weiter.

Diesem Dilemma widmet sich eine am 12.12.2018 unter dem Titel „Assessing the efficiency of changes in land use for mitigating climate change“ (Abschätzung der Auswirkung von Landnutzungsänderungen auf die Abschwächung des Klimawandels) in der Zeitschrift Nature erschienene neue Studie. Sie geht der grundlegenden Frage nach, welche Veränderungen in der Landnutzung zum Klimaschutz beitragen, indem sie einerseits dem weltweiten Nahrungsmittelbedarf gerecht werden und anderseits Treibhausgasemissionen entgegenwirken.

Die Untersuchung zeigt, dass bisherige Methoden die negativen Auswirkungen von Landnutzung und Ernährungsgewohnheiten auf den Klimawandel häufig stark unterschätzen. „Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass viele Berechnungen vernachlässigen, dass landwirtschaftlich genutzte Flächen häufig auch ein großes Potential zur Kohlenstoffspeicherung hätten, wenn sie eben nicht für die Nahrungsmittelproduktion genutzt würden“, so Tim Beringer, neben Timothy D. Searchinger Princeton), Stefan Wirsenius (Göteborg) und Patrice Dumas (Montpellier) einer der Autoren der Studie und derzeit Gastwissenschaftler am Integrativen Forschungsinstitut zu Transformationen von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys) an der HU Berlin. Beringer plädiert dafür, solche potentiellen Kohlenstoffspeicher in wissenschaftlichen Modellen künftig mit zu berücksichtigen – und zwar als entgangene Gewinne in der Klimabilanz. Gemeinsam mit Kollegen hat er deshalb einen neuen Ansatz entwickelt, der die versteckten „Kohlenstoffkosten“ von Landnutzung explizit berücksichtigt: den sogenannten „Carbon Benefit Index“.

Der „Carbon Benefit Index“ erfasst, wie sich lokale Veränderungen von Anbaukulturen, Ertragsniveaus und Produktionsprozesse auf die globalen Treibhausgasemissionen und die weltweite Speicherung von Kohlenstoff in Pflanzen und Böden auswirken. „Ob beispielsweise Raps statt Weizen angebaut wird, wie viel Ertrag die angebauten Sorten liefern, und ob das Land intensiv oder extensiv bewirtschaftet wird, macht einen enormen Unterschied“, erklärt Beringer. Mit Hilfe ihres neuartigen Ansatzes können die Autoren unter anderem zeigen, dass unsere Ernährungsgewohnheiten mit sehr viel mehr Treibhausgasemissionen verbunden sind als bisher angenommen. Demnach trägt die Ernährung der Menschen in Europa genauso viel zur globalen Erwärmung bei wie der gesamte übrige Verbrauch von Energie und allen weiteren Gütern zusammengenommen. „Unsere Ernährung ist sehr fleischlastig und benötigt daher viel fruchtbares Land für Viehhaltung und Futtermittelproduktion“, so der Wissenschaftler. Durch einen verminderten Konsum von Rindfleisch und Milchprodukten könnten diese Emissionen um bis zu 70 Prozent reduziert werden.

„Unsere Studie zeigt, dass in Schweden angebaute biologische Erbsen rund 50 Prozent mehr Klimaauswirkungen haben als konventionell gezogene Erbsen. Bei einigen Lebensmitteln gibt es einen noch größeren Unterschied – beim biologischen schwedischen Winterweizen liegt der Unterschied beispielsweise bei 70 Prozent“, sagt Stefan Wirsenius, außerordentlicher Professor der Technischen Hochscule Chalmers und einer der Verantwortlichen der Studie.

„Die größere Landnutzung im ökologischen Landbau führt indirekt zu höheren Kohlendioxidemissionen durch Entwaldung“, erklärt Stefan Wirsenius. „Die Nahrungsmittelproduktion der Welt wird vom internationalen Handel bestimmt, so dass die Art und Weise, wie wir in Schweden produzieren, die Entwaldung in den Tropen beeinflusst. Wenn wir mehr Land für die gleiche Menge an Nahrung nutzen, tragen wir indirekt zu einer größeren Entwaldung in anderen Teilen der Welt bei.“

Auch Bio-Fleisch und Bio-Milchprodukte sind – aus klimatischer Sicht – schlechter als ihre konventionell hergestellten Äquivalente, konstatiert Wirsenius: „Da die biologische Fleisch- und Milchproduktion biologische Rohstoffe verwendet, benötigt sie auch mehr Land als die konventionelle Produktion. Das bedeutet, dass die Erkenntnisse über Bio-Weizen und Erbsen grundsätzlich auch für Fleisch und Milchprodukte gelten.“

CO2-Kosten verschiedener Kraftstoffquellen (pro gefahrenem Kilometer) basierend auf dem Carbon Benefit Index. Fehlerbalken spiegeln die Bandbreite der Literaturschätzungen der Vegetations- und Boden-Kohlenstoffbestände wider, die zum Teil zur Ableitung der COCs verwendet werden. BEV = Batterie-Elektrofahrzeuge.

Herkömmliche Analysen weisen der Ernährung typischerweise nur einen geringeren Anteil an den gesamten Emissionen zu und unterschätzen somit auch das Potenzial von veränderten Ernährungsgewohnheiten für den Klimaschutz. „Unser Ansatz ermöglicht es, sowohl die Klimaeffizienz der Produktion als auch die des Verbrauchs von landwirtschaftlichen Gütern zu bestimmen“, sagt Beringer. Denn um effektiv Klimaschutz zu betreiben, braucht es Veränderungen auf beiden Seiten: sprich verringerten Konsum von Produkten, die mit hohen Treibhausgasemissionen verbunden sind, bei gleichzeitig effizienterer Nutzung von Acker- und Weideflächen.

Warum haben aber frühere Studien die Landnutzung und ihren Zusammenhang mit den Kohlendioxidemissionen nie berücksichtigt? Wirsenius: „Dafür gibt es sicher viele Gründe. Eine wichtige Erklärung, denke ich, ist einfach ein früherer Mangel an guten, leicht anwendbaren Methoden zur Messung der Wirkung. Unsere neue Messmethode ermöglicht es uns, breite Umweltvergleiche relativ einfach durchzuführen“.

Polemische Reaktionen

Die Untersuchung löste teils polemische Reaktionen aus – zwei Beispiele: „Wer bezahlte diese fehlerhafte Studie mit der fehlerhaften Annahme, dass die organische Landwirtschaft keinen Dünger verwendet und daher mehr Land benötigt? Unter ‚Französische Intensivlandwirtschaft‘ finden Sie viele Artikel, die zeigen, dass biologische Methoden viel weniger Land brauchen als konventionelle Landwirtschaft. Ihre fehlerhafte Studie wird bereits als Propaganda benutzt, um die organische Landwirtschaft zu diskreditieren.“

Und ein Marko Vegano schrieb: „Könnte diese Studie von einem nichtökologischen Landwirt finanziert worden sein? Vielleicht gar von Unternehmen wie Monsanto, die gerne ihre Gewinne steigern würden? Irgendwas riecht hier faul. Und solange wir über den Klimaeffekt sprechen, sollten wir die Studien zur Tierhaltung nicht vergessen.“ Ko-Autor

Trotzdem Bio!

Trotz ihrer Resultate warnen die Wissenschaftler davor, zum Schutz des Weltklimas auf Bioprodukte zu verzichten. „Der Art von Lebensmittel kommt immer noch eine wesentlich größere Bedeutung zu als die Anbaumethode“, sagt Wirsenius. „Bio-Erbsen und Bio-Hühnchen sind für das globale Klima allemal besser als nicht-biologisches Rindfleisch.“ Darüber hinaus habe ökologische Tierhaltung einen durchwegs positiven Effekt auf das Wohlbefinden der Nutztiere.

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