Windgeneratoren der Zukunft

20-MW-Windräder?

„Mehr als 200 Meter Durchmesser haben die leistungsstärksten Windturbinen heute „, und sie hätten inzwischen stolze 12 Megawatt – vor allem offshore – „noch längere Rotorblätter werden schlicht zu teuer“, schreibt Monika Rößiger am 08.01.2019 in Spektrum der Wissenschaft. In ihrem Artikel beschreibt sie, wie Forscher daran arbeiten, mit völlig neuen Rotorkonzepten diese Begrenzung zu überwinden und bereits die Größenordnung von 20 MW anpeilen.

Windgenerator in Brandenburg Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Windgenerator – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die symbolische Zehn-Megawatt-Schwelle reklamierten schon im vergangenen Jahr gleich zwei Hersteller für sich: am 01.03.2018 kündigte General Electric an, man werde 2021 die 12-Megawatt-Windkraftanlage namens Haliade-X in Betrieb nehmen, die „größte und leistungsfähigste Windturbine der Welt“. Ein halbes Jahr später (am 25.09.2018) stellte MHI (Mitsubishi Heavy Industries) Vestas im Rahmen der Hamburger Windmesse mit recht großen Formulierungen („die lange erwartete zweistellige Schwelle der Offshore-Windindustrie wurde durchbrochen“) mit der V164-10.0 MW eine 10-Megawatt-Turbine vor – die sei „ab sofort zu ordern“, ihr Offshore-Einsatz ebenfalls 2021 möglich: „Die erste 10 MW-Windturbine der Geschichte“ nannte MHI-Vestas seine Neuentwicklung.

„Haliade-X“ sei „die leistungsstärkste Offshore-Windturbine der Welt“, hieß es im vergangenen März in einer GE-Medienmitteilung, als GE Renewable Energy seinen Plan zur Entwicklung der größten und leistungsstärksten Offshore-Windturbine vorstellte. Mit einem 12-MW-Direktantriebsgenerator und einem branchenführenden Bruttoleistungsfaktor von 63 Prozent (vergleicht erzeugte Energie mit dem möglichen Maximum über einen bestimmten Zeitraum) werde die Haliade-X mehr Energie produzieren als jede andere heute verfügbare Offshore-Turbine.   Sie bringe der Kundschaft einen höheren Wert, indem sie mit einer Generatorleistung von 12 MW, einem branchenführenden Kapazitätsfaktor  und fortschrittlichen digitalen Funktionen 45 Prozent mehr Energie aus Wind erzeuge – bis zu 67 GWh jährlich erneuerbaren Strom für bis zu 16.000 europäische Haushalte, basierend auf den Windverhältnissen an einem typischen deutschen Nordseestandort. Mit 260 Metern Höhe über dem Meer, mehr als fünfmal so hoch wie der legendäre Pariser Triumphbogen, trägt die Haliade-X 12 MW einen 220 Meter langen Rotor. Die 107 Meter langen Blätter, die von LM Wind Power entwickelt und hergestellt werden, sind die bisher längsten Offshore-Blätter und länger als die Größe eines Fußballfeldes. Eine Haliade-X 12 MW-Turbine wird genug sauberen Strom pro Turbine für bis zu 16.000 Haushalte – bis zu 1 Million europäische Haushalte in einer 750 MW Windpark-Konfiguration. Sie werde derzeit für Projekte ausgeschrieben, die 2021 ans Netz gehen sollten. 400 Millionen Dollar würden eingesetzt, um in den nächsten drei bis fünf Jahren Engineering, Testing und Supply Chain Development zu untersuchen. Jérôme Pécresse, Präsident und CEO von GE Renewable Energy: „Die Erneuerbare-Energien-Branche hat mehr als 20 Jahre gebraucht, um die ersten 17 GW Offshore-Wind zu installieren. Heute prognostiziert die Branche, dass sie in den nächsten 12 Jahren mehr als 90 GW installieren wird. Dies wird durch niedrigere Stromkosten durch Skaleneffekte und Technologie verursacht. Die Haliade-X zeigt das Engagement von GE im Offshore-Windsegment und wird einen neuen Maßstab für die Stromkosten setzen und damit das Offshore-Wachstum vorantreiben.“

MHI Vestas Offshore Wind hat mit seiner Turbinenplattform V164 hat im Herbst vergangenen Jahres 10 MW Leistung erreicht. Die Turbine stehe ab sofort zum Verkauf. „Was vorher unerreichbar war, ist zum neuen Maßstab geworden“, sagte MHI Vestas CEO Philippe Kavafyan. „Mit der Markteinführung des V164-10.0 MW ist MHI Vestas stolz darauf, diesen wichtigen Meilenstein in der Offshore-Windindustrie gesetzt zu haben. Und es gibt uns die Möglichkeit, allen Pionieren der Windindustrie zu danken, die uns zu dieser historischen, zweistelligen Nennleistung geführt haben.“ Das „barrierebrechende Modell basiere „auf früheren Installationen der V164-Plattform, von deren bereits mehr als 100  installierter V164-Turbinen in Großbritannien und Deutschland MHI Vestas technologische Erkenntnisse und inkrementelle Innovationen“ habe nutzen können, „um die Grenzen seiner flexiblen Plattform von 8 MW jetzt auf 10 MW zu erweitern“. Und obwohl GE ein halbes Jahr und 2 MW früher dran war, ließ sich MHI Vestas-CTO Torben Hvid Larsen vernehmen: „Bei MHI Vestas konzentrieren wir uns nicht darauf, was andere tun, sondern sind die Besten in dem, was wir tun. Die Turbine V164-10.0 MW ist der beste Beweis dafür, dass wir die Grenzen des konventionellen Denkens nicht akzeptieren und dass wir über uns hinaus denken. Wir haben die Herausforderung angenommen, das, was in unserem Bereich möglich ist, zu verändern.“ Mit relativ kleinen Verbesserungen, einem stärkeren Getriebe, einigen kleinere mechanische Upgrades sowie einer kleinen Konstruktionsänderung, um den Luftstrom zu verbessern und die Kühlung im Umrichter zu erhöhen, will MHI Vestas sicherstellen, die Kunden die „V164-10.0 MW 25 Jahre lang mit voller Leistung an einem Standort mit Windgeschwindigkeiten von 10 Metern pro Sekunde betreiben kann“.

Die Fähigkeit, mehr Strom aus einer einzelnen Turbine zu erzeugen, bedeutet eine geringere Anzahl von Turbinen im gesamten Betrieb, was zu geringeren Investitionen in die Anlagenbilanz und einem geringeren Risiko bei der Projektabwicklung führt, da die Installationszeit verkürzt wird. Außerdem vereinfacht es die Bedienung und Wartung des Windparks. All dies reduziert die Investitions- und Betriebskosten für Entwickler, macht Offshore-Windprojekte profitabler und senkt letztlich die Stromkosten für die Verbraucher.

Die Leistungssteigerung der vor allem der Offshore-Windkraftanlagen dürfte weitergehen, schätzt die Spektrum-Autorin. Windstrom auf dem Meer zu erzeugen, bietet gegenüber Onshore-Anlagen eine Reihe von Vorteilen: Auf See bläst der Wind stärker und beständiger. Das bedeutet höhere Stromerträge und geringere Volatilität. Bei rund 4.500 Stunden Volllast sei die Effizienz viel höher als an Land. Dort bringe es selbst ein windreicher Standort nur auf etwa die Hälfte. Aber die Bedingungen für Offshore-Windräder seien ungleich härter. Bei rauer See und stürmischem Wind seien Türme, Gründungsstrukturen und Rotoren noch stärkeren physikalischen Belastungen ausgesetzt als ihre Verwandten auf dem Trockenen. Das setze der Dimension Grenzen: Werden die Generatoren immer größer, steigen die Kosten überproportional.

Sven Störtenbecker vom Projekt X-Rotor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg: „Die Leistung einer Anlage und somit auch ihr Ertrag steigt rechnerisch zwar im Quadrat. Die Masse der Bauteile und deren Volumen nimmt zugleich aber kubisch zu, also in der dritten Potenz.“ Größer, so Rößiger, sei in der Windkraft bisher immer besser gewesen – bis es aktuell eben nicht mehr, das heiße: finanzierbar sei. Beim vom BMBF geförderten Projekt X-Rotor gehe es um Zweiblatt- und so genannte Multirotoren. Beide Varianten knüpften an das EU-Projekt Innwind an, in dem 27 europäische Forschungsinstitutionen und Hersteller unter anderem die Vision einer 20-Megawatt-Turbine entworfen hätten. Diese Turbine gelte Hamburger als Referenz; allerdings will das „Multirotor-Team“ diese stolze Leistung mit vielen kleinen Rotoren statt einem großen erreichen. Denn wenn man die Leistung eines Rotors auf beispielsweise 100 Rotoren verteile, wögen die zusammen nur noch ein Zehntel eines großen Rotors. Das würde bereits bei der Produktion und beim Aufstellen der Windräder Material und Kosten sparen. Zudem sinke der Einsatz wertvoller Ressourcen. Zweiblättrige Rotoren seien einfacher zu montieren und billiger, weil weniger Material gebraucht werde (siehe auch: solarify.eu/neuartiger-windgenerator-von-vestas).

Wie weit die Wissenschaft im Bereich Windenergie inzwischen vorangeschritten ist, demonstriert Rößiger am  Beispiel Growian (Große Windenergie-Anlage). Der zweiflügelige Leeläufer, mit 3 MW größte Windenergieanlage der Welt, ging 1983 an der Küste der Deutschen Bucht als Testwindrad in Betrieb. Es hatte eine Nabenhöhe von 100, der Rotor mehr als 100 Meter. Doch bald darauf scheiterte Growian wegen nicht beherrschbarer Lasten und Materialprobleme, über die Jahre hatte die Anlage mehr Reparatur- als Betriebszeiten und erreichte nicht einmal einen dauerhaften Testbetrieb. Bei ihrer Stilllegung hatten sich nur 420 Betriebsstunden angesammelt. 1987 wurden Betrieb und Messungen eingestellt – im Sommer 1988 wurde Growian abgerissen. Allerdings haben die aus den begangenen konzeptionellen Fehlern gezogenen Lehren, weiter der technische Fortschritt und neue Materialien haben den rasanten Aufschwung im 21. Jahrhundert möglich gemacht. 2010 ging mit alpha-ventus in der Nordsee der erste deutsche Meereswindpark in Betrieb.

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