Facebook ade

In eigener Sache: Warum Solarify seine Social Media Accounts löscht

Wir begründen in diesem Text, warum sich die sogenannten „Social Media“ mit der Zeit zu einer echten Gefahr für unser Zusammenleben entwickelt haben. Nicht erst seit dem Datenskandal um Cambridge Analytica ist vielen bewusst geworden, dass die vermeintliche Freiheit des Internet missbrauchbar ist – und missbraucht wird. Von „ganz normalen“ Straftätern, aber auch von wirtschaftlich und politisch Kriminellen. Und, dass die Gegenwehr der Politik schleppend bis wirkungslos bleibt.

Als Polizisten in einem Vorort von Phoenix, Arizona, im Dezember 2018 einen Lagerarbeiter im Rahmen einer Mordfahndung festnehmen, sollen sie laut New York Times eine neue Technik benutzt haben: Die Mobiltelefon-Nachverfolgung. Die Polizei sagt dem Verdächtigen, über gespeicherte Daten hätten sie sein Telefon zu dem Ort verfolgt, an dem neun Monate zuvor ein Mann erschossen worden sei. Zuvor ist Google aufgefordert worden, Informationen über alle in der Nähe des Mordes aufgezeichneten Geräte bereitzustellen, wobei Google möglicherweise auch den Aufenthaltsort von Personen in der Umgebung erfasst hat. Denn der Festgenommene erweist sich bald als unschuldig. Die Haftbefehle, die sich auf eine riesige – von Mitarbeitern Sensorvault genannte – Google-Datenbank stützen, machen das Geschäft der Standortverfolgung von Mobilfunknutzern ab dato zu einem digitalen Fahndungs-Schleppnetz.

In einer Zeit der allgegenwärtigen Datenerfassung ist das nur das jüngste Beispiel dafür, wie personenbezogene Daten – wohin wir gehen, wer unsere Freunde sind, was wir lesen, essen und beobachten und wann wir es tun – für Zwecke verwendet werden, die viele Menschen nie erwartet hätten. Die Folgen dessen reichen aber von hilfreich wirkenden Diensten wie Staumelder in Echtzeit (wenn alle Handys stehen, steht auch der Verkehr still), weiter als wir uns träumen lassen, zum Schaden der Demokratie. „Wenn die Leute wirklich wüssten, was wir über sie wissen“, sagte ein Google-Mitarbeiter vor einiger Zeit zu dem kalifornischen Immobilienunternehmer Alastair Mactaggart, „sie würden ausflippen“. Der so Angesprochene horchte auf, wurde aktiv und fragte nach. Und er kam dahinter, dass Facebook, Google und Co. zwecks Werbungs-Verkaufs nicht nur ihre Kunden sondern auch den Rest des Internets verfolgten, indem sie ein ausgeklügeltes und unsichtbares Netzwerk von Browsern nutzten – sie hatten innerhalb von etwas mehr als einem Jahrzehnt einen privaten Überwachungsapparat von außergewöhnlicher Reichweite und Raffinesse geschaffen. Mactaggart dachte, dass etwas getan werden sollte. Jahre später initiierte er in Kaliforniern Amerikas erstes Datenschutzgesetz. Von Beginn an seitens der Tech-Riesen erbittert befehdet, tritt es 2020 in Kraft.

Was der Missbrauch von Daten, aber auch glatte Lügen im Internet, wo sie jeder direkt an jeden wenden kann, anrichten, zeigen nicht nur Flashmobs oder Mobbing Jugendlicher. Auch ganz seriöse Umfragen belegen einen bedenklichen Trend: Fast 8 % der Befragten bejahten laut der jüngsten „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende April 2019 den Satz: „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“, und fast jeder Zehnte ist der Überzeugung: „Es gibt wertvolles und unwertes Leben.“ In Zeiten, wo unbequeme Nachrichten als „Fake News“ abgetan und wissenschaftliche Erkenntnisse etwa zum Klimawandel (97% Wahrscheinlichkeit) offen bezweifelt werden, scheint der Konsens darüber ins Wanken zu geraten, worauf wir uns noch verlassen können oder wollen. Es gibt (Mit-)Verantwortliche dafür: Die zu Unrecht so genannten „Sozialen Medien“ (SM).

Gesunde Skepsis gegenüber Autoritäten und Institutionen ist wichtig für eine Gesellschaft, aber wenn Verschwörungstheorien anfangen, sogar Gewalt zu legitimieren, können sie gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratie als solche gefährden. Verschwörungstheorien finden laut Mitte-Studie teilweise hohen Zuspruch: So meinen 46 % der Befragten, es gebe geheime Organisationen, die politische Entscheidungen beeinflussten. Fast ein Viertel der Befragten meint, Medien und Politik steckten unter einer Decke, und jede zweite befragte Person gibt an, den eigenen Gefühlen mehr zu vertrauen als Experten.

Das ist nicht so neu: Vor gut zwei Jahren schon fragte das (repräsentative) Wissenschaftsbarometer seine Probanden, was sie von dem Satz hielten: „Die Menschen vertrauen zu sehr der Wissenschaft und zu wenig ihren Gefühlen und dem Glauben.“ 38 Prozent stimmten „voll und ganz“ oder „eher“ zu. Eine erschreckende Zahl: Ganz abgesehen davon, dass es keinen Grund zur Annahme gibt, in der Wissenschaft sei die Anzahl schwarzer Schafe geringer als im Rest der Menschheit, und ebenso abgesehen davon, dass es genügend Anlass gibt, trotz Peer-Reports und anderer Falsifizierungs-Mechanismen skeptisch gegenüber so manchem als „wissenschaftlich“ daherkommenden Ergebnis zu sein (fast jede Zahnpasta ist schließlich laut Werbung „medizinisch“ getestet) – inzwischen misstraut die Hälfte den Ergebnissen der Forschung, und zieht „Gefühl“ und „Glauben“ als Richtschnüre vor.

Jene, die an Verschwörungsmythen – wie etwa die aktuell von rechts (u.a. von dem Massenmörder von Christchurch) immer wieder zitierte „Umvolkung“ – glauben, sind laut Ebert-Stiftung zugleich misstrauischer gegenüber dem politischen System, zeigen höhere Gewaltbereitschaft gegen andere und neigen zu stärkeren Abwertungen. Der britische „Guardian“ nannte das ein „Aufblühen von etwas Gefährlichem, das tief verwurzelt ist“, anlässlich der Ausschreitungen von Chemnitz am 27.08.2018, nachdem Tausende binnen kürzester Zeit über die SM auf den Plan gerufene rechter Krawallmacher Chemnitz fast ins Chaos gestürzt hätten.

Folgt: Datenethik-Kommission und Jaron Lanier