Flugscham statt Vielfliegerei?

Luftverkehr boomt trotzdem

Spätestens seit Fridays for Future ist das Fliegen bei so manchem verpönt. Tatsächlich hat das aber nur geringe Auswirkungen. Obwohl kaum eine Wortschöpfung je eine so rasante Karriere hingelegt hat wie flygskam. Von Greta Thunbergs Heimat Schweden aus schaffte es die „Flugscham“ als Ausdruck des Unwohlseins über die persönliche CO2-Bilanz nach Deutschland. „Fliegen ist seit Monaten hierzulande ungefähr so populär wie Eisbärenmord, oder? Der Eindruck trügt“, schreibt Felix Wadewitz im Berliner Tagesspiegel.

Landendes Flugzeug über Berlin – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Tatsächlich boomen Billigflüge wie nie. Zehn Prozent mehr Starts im Winterhalbjahr im Vergleich zum Vorjahr, so die Bilanz des neuen „Low Cost Monitor“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Ticketpreise seien dagegen im Sinkflug (siehe solarify.eu/billigfluege-boomen). „Trotz eines steigenden Ölpreises und anziehender Personalkosten fallen die durchschnittlichen Bruttopreise“, so die DLR-Analyse. Das Flugzeug hat als Verkehrsmittel für den Weg in den Urlaub weiter an Bedeutung gewonnen. Der Anteil der Flugreisen an allen Urlaubsreisen habe im Jahr 2018 bei 41 Prozent gelegen, 2010 waren es noch 37 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt die Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR), die auf der Reisemesse ITB in Berlin vorgestellt worden ist. Berücksichtigt wurden laut Münchner Merkur Urlaubsreisen ab fünf Tagen Dauer. Die Ergebnisse zeigen, dass das Flugzeug vor allem bei Auslandsreisen genutzt wird – hier lag der Anteil mit 56 Prozent deutlich über dem Autourlaub-Anteil, der 34 Prozent erreichte. Ebenfalls auffällig: Die Bahn wurde nur für 2 Prozent aller Auslandsreisen genutzt, bei den Zielen innerhalb Deutschlands erreicht der Wert dagegen 14 Prozent.

Massiver CO2-Ausstoß bei Flugreisen

Die globale Erwärmung soll in diesem Jahrhundert maximal 1,5 Grad betragen – nur dann seien die Folgen des Klimawandels noch halbwegs beherrschbar, warnt der Weltklimarat IPCC. Dafür sind jedoch massive Anstrengungen nötig, der CO2-Ausstoß pro Kopf müsste drastisch sinken. Flugreisen verursachen besonders viele Emissionen. Ein „Weiter wie bisher“ führe in den Abgrund, stellte die Messe Berlin fest und fragte: Wie lange können wir noch so reisen wie bisher?

Klimaschutz rangiert ganz oben

Der Ausbau von Flughäfen ist für Politiker im Europa-Wahlkampf denn auch nicht gerade ein Renner-Thema. Im Gegenteil. Kein Wunder, rangiert Klimaschutz doch in den Umfragen ganz oben auf der Prioritätenliste der Wähler. Der konservative EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) und sein sozialdemokratischer Kontrahent Frans Timmermans liefern ständig neue Ideen, um Fliegen im Sinne des Klimaschutzes zu verteuern – und Kurzstreckenflüge sogar vom Flugplan zu nehmen.

In einer Fernsehdiskussion sprach sich Timmermans – Vizepräsident der EU-Kommission – für die Abschaffung von Kurzstreckenflügen aus, wenn es entsprechende Bahnverbindungen gibt. In Frankreich werden teils bereits heute keine Flugverbindungen zwischen Städten angeboten, die an die Thalys-Hochgeschwindigkeitsstrecken angebunden sind. Weber lehnt zwar ein Verbot ab, will aber die steuerliche „Ungerechtigkeit“ zugunsten des Fliegens beenden. Zuerst hatten sich die beiden Politiker im Fernsehen deshalb auf eine Kerosinsteuer geeinigt, doch Weber steuerte später wieder um in Richtung Emissionshandel mit Zertifikaten, weil das „marktwirtschaftlich“ sei.

„Die Menschen sind umweltbewusst, trotzdem verzichtet kaum jemand auf das Fliegen“, erklärt Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. „Wenn alle um mich herum in den Urlaub fliegen, will ich das auch.“ Das Klimaproblem bekomme man moralisch nicht in den Griff: „Niemand verändert sein Verhalten freiwillig – besonders, wenn man für 29 Euro nach Mallorca fliegen kann.“ Folgerichtig plädiert Kopatz plädiert dafür, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Der Forscher fordert zum Beispiel, dass Flughäfen nicht weiter ausgebaut und Starts und Landungen begrenzt werden. Seine Maxime: Verhältnisse ändern Verhalten. „Ich will den Leuten das Reisen nicht madig machen, aber wir müssen einen Rahmen setzen.“ Der Luftverkehr wird subventioniert, es gibt keine Kerosinsteuer in Deutschland. Mehr Klimaschutz könnte das Fliegen letztlich teurer machen.

Billigflüge boomen

Tickets für zehn Euro? So niedrige Preise seien eine Gefahr für die gesellschaftliche Akzeptanz des Luftverkehrs, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr Anfang Mai: „Ökonomisch unverantwortlich, ökologisch unverantwortlich. Und auch politisch unverantwortlich.“ Konkurrent Laudamotion, eine Ryanair-Tochter, reagierte sofort. Mit einer Verkaufskampagne, die Spohr auf die Hörner nahm. 9,99 Euro kosteten die 100.000 Tickets. Die Airline bietet auf ihrer Webseite gerade auch Flüge ab Berlin für 4,99 Euro an.

Wie kann man nachhaltiger reisen?

Trotzdem sind viele Klimaschützer der Meinung, dass der Planet ohne echten Verzicht nicht zu retten ist. „Flugreisen sind die klimaschädlichste Art sich fortzubewegen“, urteilt Laura Jäger von der Arbeitsstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt. „Wenn das Taxi zum Flughafen mehr kostet als das Flugticket, ist das bedenklich.“ Zwar fordert auch Jäger politische Maßnahmen wie die Besteuerung von Kerosin. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Für Menschen, die nachhaltiger reisen wollen, hat Jäger mehrere Empfehlungen.

  1. Reiseziele mit kürzerer Anreise wählen – also eher Italien als Indonesien.
  2. ein klimaschonendes Verkehrsmittel wie die Bahn nutzen.
  3. auf Flugreisen generell möglichst verzichten.
  4. wenn man fliegt, dann seltener – und dafür länger vor Ort bleiben.
  5. für die Emissionen eine Kompensation leisten.

„Es geht auch darum, wieder langsamer unterwegs zu sein“

So funktioniert das Kompensieren eines Fluges: Urlauber zahlen Initiativen wie Atmosfair oder Klima-Kollekte einen Ausgleichsbetrag, der dann in Klimaschutzprojekte investiert wird. Dadurch sollen das CO2 und andere klimaschädliche Faktoren des Fliegens an anderen Orten wieder eingespart werden. Jäger ist überzeugt, dass der Verzicht auf das Flugzeug dem Einzelnen ein besseres Reiseerlebnis bescheren kann: „Es geht auch darum, wieder langsamer unterwegs zu sein, den Weg als Ziel zu erschließen, das Überwinden von Distanzen und die Strecke zum Erlebnis zu machen anstatt schneller, weiter und kürzer zu reisen. Wer Reiseziele im Eilverfahren abklappert, verpasst viel. Wer sich vor Ort Zeit nimmt, wird mit neuen Eindrücken und Erinnerungen belohnt.“

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