Svenja Schulze: „Messstellen-Debatte war reines Ablenkungsmanöver“

TÜV-Gutachten bescheinigt Bundesländern korrekte Aufstellung ihrer Luftmessstellen

Die geltenden EU-Regeln zur Messung der Luftqualität werden in den Bundesländern sach- und rechtskonform angewendet. Das zeigt ein Gutachten des TÜV Rheinland, der im Auftrag des Bundesumweltministeriums die Standortauswahl von bundesweit 70 Stickstoffdioxid-Messstellen untersucht hat – darunter alle Messstellen, an denen 2017 der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid überschritten wurde. Das Ergebnis: 69 Messstellen bilden die Luftbelastung nach den geltenden EU-Regeln zur Messung von Luftschadstoffen ab. Für eine Messstelle konnte der TÜV zwar kein abschließendes Urteil treffen, er hält die Aussagekraft der Messstelle aber für sehr wahrscheinlich gegeben. Die DUH fühlt sich  bestätigt.

Luftmessstation in Berlin – Foto © Veronika Neukum für Solarify

Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „Das Gutachten des TÜV Rheinland zeigt, dass die Messstellen in den Ländern insgesamt korrekt aufgestellt sind. Keine der vom TÜV Rheinland begutachteten Messstellen steht im Widerspruch zu den Regeln der EU. Wer immer noch meint, hohe Stickstoffdioxid-Werte lägen nur an falsch aufgestellten Messstellen, führt die Öffentlichkeit nun nachgewiesenermaßen in die Irre. Diese Debatte hat viel zu lang von der eigentlichen Quelle der hohen Stickstoffdioxidwerte abgelenkt: der mangelhaften Abgasreinigung vieler Diesel-PKW. Das ist der eigentliche Skandal. Wer diesen Missstand nicht abstellt, missachtet die Gesundheit der Menschen, die an vielbefahrenen Straßen wohnen und die ihre täglichen Wege dort zurücklegen.“

Turnusgemäß müssen die Messstellen für Stickstoffdioxid von den zuständigen Länderbehörden mindestens alle 5 Jahre überprüft werden. Das BMU hat angesichts wiederholter Infragestellungen der Messwerte und der Standorte für Messstellen eine zusätzliche unabhängige Überprüfung in die Wege geleitet. Diese erfolgte in Abstimmung mit den betroffenen Bundesländern. 66 der vom TÜV Rheinland begutachteten 70 Messstellen entsprachen den kleinräumigen Positionierungsanforderungen der 39. BImSchV – unter anderem dem Mindestabstand zur nächsten verkehrsreichen Kreuzung von 25 Metern – vollständig.

In vier Fällen werde dieser Mindestabstand unterschritten („Pleidelsheim Behringer Straße“, „München Stachus“, „Wiesbaden Ringkirche“ und „Berlin Silbersteinstraße“). Dies lasse das EU-Recht zum Beispiel aus Verkehrssicherheitsgründen ausdrücklich zu, so das BMU. Da die Behörden in drei Fällen nachweisen konnten, dass diese Messstellen aufgrund des ausgewählten Standortes die Luftbelastungen entlang des ausgewählten Straßenabschnitts repräsentativ abbilden, hält der TÜV auch diese Positionierung für plausibel und rechtskonform.

Für die Messstelle „Berlin Silbersteinstraße“ hat der TÜV weitere NO2-Messungen oder zusätzliche Berechnungen zur Ausbreitung der Luftschadstoffe empfohlen, um die bereits bestehende Aussagekraft der Messstelle zu untermauern. Die Abweichung sei jedoch zulässig, habe keine erheblichen Auswirkungen auf die Werte der Messstelle und sei vernachlässigbar, so der TÜV in seiner weiteren Einschätzung.

Für einige Messstellen empfiehlt der TÜV ebenfalls weitere Berechnungen zur Ausbreitung der Luftschadstoffe in Umgebung der Messstelle und sowie ergänzende Passivsammlermessungen in der Umgebung der Messstelle. Dieses würde die Repräsentativität, die auch jetzt schon hinreichend über die Analyse der Bebauungsstruktur und die Berücksichtigung der durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärken nachgewiesen sei, noch besser dokumentieren.

Im Jahr 2018 wurde der zum Schutz der menschlichen Gesundheit geregelte Jahresmittelgrenzwert für Stickstoffdioxid (40 Mikrogramm pro Kubikmeter) in 57 Städten in Deutschland überschritten. Mittlerweile bestehen in einzelnen dieser Städte Einschränkungen für den Verkehr, um die Stickoxid-Belastung zu senken. Wie diese gemessen und bewertet wird und wie die Positionierung der Messstellen erfolgen muss, ist in Europa einheitlich geregelt. Diese Vorgaben wurden in Deutschland in der 39.Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes umgesetzt.

Die vorliegende Begutachtung umfasst keine verkehrsnahen NO2-Messstellen in Nordrhein-Westfalen. Diese hatte der TÜV Rheinland bereits im letzten Jahr im Auftrag des Umweltministeriums NRW begutachtet. Die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) hatte in ihrer Stellungnahme vom April 2019 „Saubere Luft Stickstoffoxide und Feinstaub in der Atemluft: Grundlagen und Empfehlungen“ dargelegt, dass eine korrekte Bewertung der Messergebnisse zum Zweck des Gesundheits- und Umweltschutzes die Probenahme dort voraussetzt, wo Menschen sich tatsächlich aufhalten, und ausgeführt, dass in Deutschland die Aufstellung der staatlichen Messstellen diesen Anforderungen entspricht. (Solarify berichtete: solarify.eu/leopoldina-empfiehlt-bundesweite-strategie-zur-luftreinhaltung)

Das nun vorgelegte Gutachten bestätige die Standortauswahl auch im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26.06.2019 zur Klagebefugnis und der Mittelung von Messwerten von Luftschadstoffen. Aus diesem Urteil ergebe sich für Deutschland kein Handlungsbedarf, schlussfolgert da BMU.

TÜV Rheinland bestätigt Auffassung der Deutschen Umwelthilfe

Die DUH fühlt sich durch die TÜV-Überprüfung bestätigt, mehrere frühere Überprüfungen durch das Umweltbundesamt und andere Gutachten kamen zu gleichen Ergebnissen. Grenzwertüberschreitungen des Diesel-Abgasgifts NO2 müssen nach dem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs am Ort der jeweils höchsten Belastung im gesamten Stadtgebiet gemessen und sicher verhindert werden. Die „Diesel-Allianz aus Industrie und wirtschaftsnahen Politikern ist erneut mit dem Versuch gescheitert, die Korrektheit der Messstandorte in Frage zu stellen“.

Dazu DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Mit der erneuten Bestätigung, diesmal durch einen Prüfbericht des TÜV Rheinland, sollten die leidigen Ablenkungsdiskussionen über die korrekte Aufstellung der Messstellen ein Ende finden. Nach den beiden aktuellen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg sollte nun auch der letzte Politiker begreifen, dass der Versuch, EU-Grenzwerte aufzuweichen und Spitzenbelastungen mit dem Dieselabgasgift NO2 zu bagatellisieren, gescheitert ist. Wir brauchen noch bis Ende 2019 wirksame Luftreinhaltemaßnahmen, um den NO2-Grenzwert von 40 Mikrogramm einzuhalten, in über 30 bis 40 Orten wird diese Grenzwerteinhaltung nicht ohne Diesel-Fahrverbote gelingen.“

Die DUH bemängelt, dass im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt jedoch nur die Stationen überprüft wurden, die im Jahr 2017 eine Überschreitung des Jahresmittelgrenzwerts für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 µg/m³ aufwiesen. Stationen, die eine Belastung unterhalb des Grenzwertes aufwiesen, wurden also nicht darauf kontrolliert, ob eine Messung an einer höher belasteten Stelle notwendig wäre. Tatsächlich konnte die DUH in verschiedenen Städten zwischenzeitlich nachweisen, dass die Stationen zur dauerhaften Erfassung der Luftqualität nicht am Ort der höchsten Belastung, sondern häufig nur an mittel belasteten Straßenabschnitten platziert sind. Dies widerspricht dem EU-Recht.

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