Deutschland will mit H2 an die Spitze

Kritische Stimmen zum Wasserstoff-Regierungs-Hype

Die Industrie sieht das etwas differenzierter: Sie fordert mehr Geld für Forschung und Entwicklung und Abbau von Hürden, um Wasserstoff auch wirtschaftlich einsetzen zu können. Da Deutschland auch in einer Wasserstoffwirtschaft langfristig Energieimporteur bleiben werde, sei es wichtig, den Aufbau eines globalen Wasserstoffmarktes voranzutreiben, argumentiert der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Die neue BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae wörtlich: „Unsere sehr gut ausgebaute Gasinfrastruktur aus Fernleitungs- und Verteilnetzen sowie Speichern ist die optimale Basis für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.“ Für den Durchbruch von grünem Wasserstoff bedürfe es allerdings dringend einer Senkung der Steuer- und Abgabenlast beim Strom. „Die von der Bundesregierung geplante homöopathische Senkung der EEG-Umlage reicht bei Weitem nicht aus. Eine weitere zentrale Voraussetzung für die künftige Produktion Erneuerbaren Wasserstoffs ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Hemmnisse beim Erneuerbaren-Zubau sind automatisch auch Hemmnisse für die Erschließung der Potenziale von Wasserstoff.“ Für importierten Wasserstoff forderte Andreae ein „transparentes, unbürokratisches Nachweissystem für die Herkunft und Nachhaltigkeit“.

Energieexperte Hans-Josef Fell („Grüner Wasserstoff ist unverzichtbar für Klimaschutz und Energiewende) nennt grünen Wasserstoff „ein wesentliches Standbein für Klimaschutz und Energiewende“. Der sei aber „nur dann grün, wenn er über Elektrolyse aus Ökostrom produziert oder über biotechnologische Verfahren z.B. aus Algen gewonnen“ werde. Die Gewinnung  dürfe „nicht auf Basis fossiler Rohstoffe geschehen“. Aus vielerlei Gründen werde aber die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung den notwendigen Ansprüchen an eine sinnvolle Strategie nicht gerecht. Ein Hauptgrund hierfür: Neben grünem Wasserstoff setze die Bundesregierung auch auf blauen Wasserstoff. Der werde aus Erdgas gewonnen, wobei das bei der Wasserstoffreformierung anfallende CO2 in unterirdische Lagerstätten verpresst werde. Dennoch kommt es laut Fell in der Gesamtkette von Erdgasgewinnung und Transport zu massiven Methanemissionen. Weil überdies das CO2 nie vollständig abgeschieden werde „und auch die Lagerung ist alles andere als sicher“ sei, sei blauer Wasserstoff klimaschädlich. Dennoch setze die Bundesregierung in ihrer Wasserstoffstrategie auch darauf. Auch sei die Technologie zur Herstellung blauen Wasserstoffs (mit CCS) noch nirgends in der Welt über das Forschungsstadium hinausgekommen.

Für grünen Wasserstoff sei der Ökostromausbau alles entscheidende Grundlage zur Erzeugung. Auch die neue BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae habe bereits zurecht darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung den Ökostromausbau blockiere und damit auch die Potenziale von grünem Wasserstoff gefährde. Deshalb gehört zu einer funktionierenden Wasserstoffstrategie laut Fell „zwingend eine Wiederbelebung des Ökostromausbaus in Deutschland, genau diese hat die Bundesregierung aber nicht angekündigt. Stattdessen will sie grünen und blauen Wasserstoff aus Nordafrika nach Europa importieren. Trotz höherer Solarstrahlung in Nordafrika dürften aber die hohen Kosten des notwendigen Infrastrukturausbaus viel teurer sein als solar erzeugter Wasserstoff aus Deutschland“.

Länder wie China, Japan und Südkorea seien in dem Bereich viel aktiver, kritisiert FDP-Fraktionsvize Michael Theurer. Die Große Koalition setze viel zu stark auf batteriebetriebene Autos. Damit erneuert Theurer einen Vorwurf, der mit Blick auf die Verkehrswende immer wieder erhoben wird – auch im Nachgang zum „Autogipfel“. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir, Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschussses, sagte im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF: „Verkehrswende heißt nicht, das wir 47 Millionen fossile Verbrenner durch 47 Millionen Elektromobile ersetzen. Dann haben wir zwar weniger Abgase, weniger Lärm in den Innenstädten, aber das Problem mit dem Verkehrsinfarkt ist nicht gelöst.“ Stattdessen müsse man mehr auf Carsharing, den öffentlichen Nahverkehr und das Fahrrad setzen.

Mehr Anreize für eine rasche Verkehrswende fordern auch der Verkehrsclub Deutschland und die Heinrich-Böll-Stiftung. In ihrem „Mobilitätsatlas“ setzen sie auf sichere Rad- und Fußwege, den Umstieg auf kleine Elektroautos im Sharing-Betrieb und nicht zuletzt einen starken öffentlichen Nahverkehr. Beispielhaft funktioniere das in Städten wie Augsburg und Hannover. In Augsburg wurde kürzlich Deutschlands erste Mobil-Flatrate eingeführt – um das Auto im Idealfall gar nicht erst benutzen zu müssen.

Folgt: Eine Stoffsammlung auf der BMVI-Seite