COP25: Freifahreranreize vermeiden

Experten: In COP21 vereinbarte dynamische Anreize wirken kontraproduktiv

Ein zentrales Thema des Klimagipfels in Madrid COP25 ist es, ehrgeizigere Klima-Verpflichtungen möglichst vieler Staaten zu erreichen, damit die 2015 bei COP21 in Paris vereinbarte Begrenzung der Erderwärmung auf „gut unter“ (well below) zwei Grad eingehalten werden kann. Damals war ein dynamisches Anreizsystem, das sogenannte „Ratcheting“, beschlossen worden. An dessen Wirksamkeit sind allerdings Zweifel angebracht. Ein Laborexperiment von Wissenschaftlern des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim sowie der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) zeigt, dass dieses Anreizsystem sogar kontraproduktiv sein kann.

1,5-Grad-Grenze - Foto © Agentur Zukunft für Solarify

1,5-Grad-Grenze – Foto © Agentur Zukunft für Solarify

„Anstatt ausschließlich auf ‚Ratcheting‘ zu setzen, wäre es sinnvoller, in Madrid Maßnahmen voranzutreiben, die insbesondere Freifahreranreizen entgegenwirken. Dazu gehören Optionen wie international koordinierte CO2-Preise sowie deren Berücksichtigung in entsprechenden Handelsabkommen“, sagt Martin Kesternich, stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement“.

Freifahrerverhalten: Aus einer wissenschaftlichen Untersuchung von 2004 (Peter Zerle: „Ökologische Effektivität und ökonomische Effizienz von umweltbezogenen Selbstverpflichtungen“): „Im Ergebnis bieten umweltbezogene Selbstverpflichtungen keine Vorteile gegenüber anderen Instrumenten der Umweltpolitik: Das Problem des Freifahrerverhaltens und einer meist ungeregelten Verteilung der Vermeidungslasten zwischen den verpflichteten Firmen führen zu einer geringen ökologischen Effektivität und zur ökonomischen Ineffizienz. Die Kombination einer Selbstverpflichtungen mit einer Zertifikats- oder Abgabenlösungen zu einem ‚Policy-Mix’ können das Freifahrerverhalten verhindern und Ineffizienzen vermeiden. Dies würde aber zum Anstieg des administrativen Aufwands, zum Verlust an Flexibilität und Zeit führen.“

Um die globale Erwärmung zu begrenzen, sind substanzielle Klimaschutzbeiträge unabdingbar. Ein zentraler Baustein hierbei ist das sogenannte „Ratcheting“. Der Begriff bezeichnet ein dynamisches Anreizsystem, das den Vertragsstaaten vorgibt, ihre Beiträge zum Klimaschutz in regelmäßigen Abständen transparent darzulegen und über die Zeit zu erhöhen. Ob und wie Ratcheting wirkt, haben die Wissenschaftler von ZEW und HTWK untersucht und ihre Ergebnisse in einem aktuellen ZEW policy brief zusammengefasst.

Um die Wirkung von Ratcheting zu untersuchen, müsste man eigentlich zwei Welten vergleichen: eine, in der die Staaten ihre Beiträge zum Klimaschutz mit Ratcheting leisten sowie eine andere Welt, in der sie diese Beiträge ohne Ratcheting erbringen. Da es eine solche zweite Welt nicht gibt, führten die Wissenschaftler ein Laborexperiment durch. Dieses bildet in einem Öffentliches-Gut-Spiel mit monetären Anreizen die wesentlichen Eigenschaften des Kooperationsproblems der internationalen Klimapolitik ab. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

„Akteure mit anspruchsvollen Klimazielen nehmen unter Ratcheting-Bedingungen ihr Engagement zurück. „Der Grund für dieses Verhalten ist anscheinend, dass kooperative Akteure der Ausnutzung ihrer eigenen hohen Bereitschaft, etwas für das Klima zu tun, durch ‚Trittbrettfahrer‘ vorbeugen wollen“, sagt Bodo Sturm, Professor für Volkswirtschaftslehre an der HTWK Leipzig

Klimapolitik sollte Freifahreranreize offensiver angehen

Es zeigt sich, dass vor allem kooperative Akteure mit eher anspruchsvollen Klimazielen ihre zu Beginn hohen Ambitionen unter Ratcheting-Bedingungen deutlich zurücknehmen. Das führt zu einer erheblichen Absenkung des Klimaschutzniveaus und zu Effizienzverlusten. „Der Grund für dieses Verhalten ist anscheinend, dass kooperative Akteure der Ausnutzung ihrer eigenen hohen Bereitschaft, etwas für das Klima zu tun, durch ‚Trittbrettfahrer‘ vorbeugen wollen“, erklärt Sturm. Über den Zeitverlauf hinweg erhöht Ratcheting zwar tatsächlich die Bereitschaft, zur Erreichung des Klimaziels zu kooperieren, dieser Anstieg gleicht allerdings die eingangs zu beobachtende Zurücknahme bei den Klima-Verpflichtungen nicht aus. Ratcheting wirkt somit also möglicherweise sogar kontraproduktiv.

Für die internationale Klimapolitik resultiere aus diesen Ergebnissen: Es sei große Skepsis angebracht, dass Ratcheting eine positive Wirkung auf die tatsächlichen Beiträge zur Emissionsreduktion habe. Es gebe weder theoretische noch empirische Hinweise darauf, dass Ratcheting das Kooperationsproblem abschwächt oder gar löst. Statt wie im Pariser Abkommen darauf zu vertrauen, dass die Klimaschutzbeiträge mit Ratcheting quasi „automatisch“ stiegen, sollte die Klimapolitik nach Ansicht der Wissenschaftler daher stärker als bisher die Freifahreranreize offensiv angehen. Ein aussichtsreiches Instrument hierfür sei eine höhere CO2-Bepreisung in allen kooperativen Staaten. Ergänzt werden müsste dies durch die Möglichkeit für kooperative Staaten, CO2-Zölle auf Importe aus Staaten zu erheben, die eine Teilnahme an der CO2-Bepreisung verweigerten. Ein weiterer Schritt in diese Richtung wäre für Madrid ein großer Erfolg, so die Wissenschaftler.

->Quelle:  Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig/htwk-leipzig.de/