Streit um Tempolimit – „Abkehr von Blockadehaltung“

ADAC bewegt sich – Scheuer kritisiert – Schulze erfreut

In der Diskussion um ein generelles Tempolimit auf Autobahnen hat der ADAC seine Haltung geändert und verzichtet nunmehr öffentlichkeitswirksam auf eine klare Empfehlung an die Politik. Das ärgert Verkehrsminister Andreas Scheuer, so das ZDF auf seiner Internetseite am 26.01.2020, der habe nämlich „einen bisher verlässlichen Partner im Kampf gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen verloren“. Scheuer kritisierte den Club scharf: Ein quasi neutrales Durchlavieren gebe es bei diesem Thema „definitiv nicht“, teilte er einem Sonntags-Boulevardblatt mit. Der BUND reagiert positiv auf die ADAC-Wende.

– Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Laut Dow Jones auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Sie fühle sich „bestärkt“, erklärte Ministeriumssprecher Stephan Gabriel Haufe in Berlin. Schulze unterstütze auch die Durchführung einer neuen Studie, die den aktuellen Stand der Debatte berücksichtige, so Haufe.

Der ADAC in einer Erklärung am 24.01.2020: „Angesichts der polarisierenden Wirkung des Themas – auch unter den Club-Mitgliedern – verzichtet der ADAC derzeit auf eine Empfehlung Pro oder Contra generelles Tempolimit an die Politik. Stattdessen plädiert der Club für eine Versachlichung der Debatte.“ Daher empfiehlt Deutschlands größer Verein einen „Blick auf die Fakten“: Die Hälfte der ADAC-Mitglieder lehnten ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab, 45 Prozent seien dafür. Autobahnen seien „die mit Abstand sichersten Straßen in Deutschland“, denn die meisten Menschen kämen auf Landstraßen ums Leben.

Im Februar 1974, erfand die ADAC-Motorwelt den Spruch „Freie Fahrt für freie Bürger“. Kaum drei Monate nach dem Höhepunkt der Ölkrise mit vier „autofreien Sonntagen“ hatte der ADAC eine Kampagne „Freie Bürger fordern freie Fahrt“ gestartet, die sich hauptsächlich gegen den im November 1973 begonnenen viermonatigen Tempo-100-Großversuch auf den Bundesautobahnen richtete. In der ADAC-Chronik findet sich dazu folgender Eintrag: „Der ADAC kritisiert den Tempo-100-Großversuch auf Autobahnen. Die ‚Motorwelt’ kündigt an, dass der Club alles tun wolle, das ‚unrealistische Kriechtempo’ zu verhindern“. Mit Erfolg: Statt eines generellen Tempolimits von 100 km/h wurde jedoch nur eine unverbindliche Richtgeschwindigkeit von 130 km/h eingeführt.“ (nach gegen-fake-news.de/februar-1974-freie-fahrt-fuer-freie-buerger)

Umweltbundesamt kritisierte BMVI

Die (bereits im Juni 2019 abgeschlossene) Studie des Umweltbundesamts (UBA) „Kein Grund zur Lücke“  forderte im November drastische Veränderungen: Unter anderen müsse auf Autobahnen ein Tempolimit (120 kmh) eingeführt werden. „Nach unseren Abschätzungen bleibt eine Klimaschutzlücke von 20 bis 30 Millionen Tonnen Treibhausgasen“, sagte die scheidende Behördenchefin Maria Krautzberger. Das Verkehrsministerium tue so, als sei es unmodern und rückwärtsgewandt, ökologische Folgen in Preisen auszudrücken: „In Wirklichkeit scheut es sich, diese unpopulären Maßnahmen einzuführen.“

Aus der UBA-Schrift: „Tempolimit 120 km/h auf Autobahnen“

„Wer täglich in einem der zahlreichen Staus auf deutschen Autobahnen steht, macht sich keine Gedanken um Tempolimits. Fakt ist aber: Laut Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) galt 2015 für gut drei Viertel der Bundesautobahnen keine Geschwindigkeitsbeschränkung. Die Streckenabschnitte mit dauerhaft oder temporär gültiger Geschwindigkeitsbeschränkung haben zwischen 2009 und 2015 sogar in der Zahl abgenommen. Derzeit stammen rund 30 % der Treibhausgasemissionen von Pkw aus Fahrten auf Bundesautobahnen. Kraftstoffverbrauch und Treibhausgasemissionen wachsen mit zunehmender Geschwindigkeit stark an, wogegen eine Verlangsamung und Verstetigung des Verkehrs den Ausstoß reduziert. Ein Tempolimit von 120 km/h auf Bundesautobahnen kann kurzfristig und kostengünstig umgesetzt werden. Emissionsminderungen treten direkt mit der Einführung ein, da die bei geringerer Geschwindigkeit verminderten Roll- und Luftwiderstände unmittelbar den Kraftstoffverbrauch reduzieren. Darüber hinaus führt eine dauerhafte Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit dazu, dass die Nachfrage nach Fahrzeugen mit hoher Motorleistung sinkt. Für die Schätzung der Minderungswirkung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen von 120 km/h kann auf bestehende Untersuchungen des UBA und Öko-Instituts zurückgegriffen werden. Das zusätzliche Minderungspotenzial wird im Jahr 2030 auf rund 3 Mio. t CO2-Äq. geschätzt.

Umwelt-NGO reagiert positiv

Dass der ADAC sein striktes Nein zu einem generellen Tempolimit auf Autobahnen aufweicht, bewertet BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg, positiv: „Endlich bewegt sich der ADAC in dieser Frage. Die Abkehr des Automobilclubs von seiner Blockadehaltung beim Tempolimit auf Autobahnen und der Ruf nach einer Versachlichung der Diskussion sind überfällig. Von einem echten Gesinnungswandel kann aber erst dann die Rede sein, wenn zukünftig die klaren Vorteile einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung für Klima und Verkehrssicherheit offen vertreten werden. Dennoch ist es ein erster Schritt in die richtige Richtung: hin zu einer sicheren und klimafreundlichen Mobilität der Zukunft. Bei der Einführung eines generellen Tempolimits muss gelten: runter von der Bremse! Ohne strukturelle Veränderungen im Verkehrsbereich werden weder die Klimaziele erreicht noch wird die notwendige Verkehrswende eingeleitet. Das Tempolimit ist deshalb auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Nach dem ADAC muss jetzt die Bundesregierung, allen voran Bundesverkehrsminister Scheuer, das veraltetes Bild von Mobilität überdenken.“

VDA stur

Die Autoindustrie hält an ihrem Nein zum Tempolimit fest. Ein Sprecher des Verbands der Automobilindustrie (VDA) verwies der Deutschen Presse-Agentur gegenüber auf eine Mitteilung vom Dezember. Damals hatte der VDA erklärt, die Debatte über ein generelles starres Tempolimit auf deutschen Autobahnen sei „nicht hilfreich“. Ein helfe weder der Umwelt noch der Sicherheit. Ein erheblicher Teil der Autobahnen umfasse bereits heute Tempobeschränkungen. Zudem seien deutsche Autobahnen die sichersten Straßen. Auch klimapolitisch bringe ein starres Tempolimit auf Autobahnen so gut wie nichts (tagesschau.de/vda-tempolimit).

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