Umwelt-Institut: „Kohleausstieg 2038 zu spät!“

„Klimapolitik der Bundesregierung nimmt bizarre Züge an“

Bundeswirtschaftsminister Altmaier sieht im Stilllegungspfad zum Kohleausstieg einen „Durchbruch“, der Kohlekompromiss werde so erfüllt. Doch für Klima und Gesellschaft ist der Plan ein Skandal. Sehenden Auges steuern wir damit auf eine Erderhitzung von vier Grad oder mehr zu – warnt das Umweltinstitut München in einem eindringlichen Appell.

Braunkohletagebau Welzow Süd – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

„Es wirkt surreal: Kraftwerksstilllegungen will die Bundesregierung hinauszögern. In den Tagebauen Garzweiler und Hambach soll die gesamte mögliche Kohlefördermenge abgebaut werden. Für die Abschaltung weitgehend abgeschriebener oder betriebswirtschaftlich unrentabler Kraftwerke sollen die Kohlekonzerne mit Milliarden entschädigt werden. Und auch in Zukunft sollen für den Profit mit der Braunkohle sechs weitere Dörfer vernichtet und die dort lebenden Menschen vertrieben werden.

Doch damit nicht genug: Die Regierung legt weiterhin keinen Plan vor, um den dramatisch ausgebremsten Ausbau der Erneuerbaren Energien anzukurbeln – obwohl hier in den vergangenen Monaten zehntausende Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Frau Merkel und ihr „Klimakabinett“ nehmen damit eine globale Erhitzung von vier Grad oder mehr in Kauf. Während Australien in Flammen steht, die Ozeane sich aufheizen und Trockenheit in Deutschland mehr und mehr Dauerphänomen ist, wird das Regierungshandeln zunehmend zu einem bizarren, ja zynischen, Schauspiel.“

Deal gegen das Klima

Das Umweltinstitut: „Wir BürgerInnen zahlen Milliarden an Entschädigung an die Kohlekonzerne für ein Minimum an Klimaschutzwirkung – und das, obwohl mehrere Rechtsgutachten bestätigt haben, dass Entschädigungen für den Kohleausstieg nicht rechtlich notwendig sind.“

Zahlreiche ehemalige Mitglieder der Kohlekommission – darunter die ehemalige Vorsitzende der Kommission, Barbara Praetorius, Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber sowie alle Vertreter der Umweltverbände – werfen der Regierung nun hinsichtlich des Ausstiegsplans Wortbruch vor. Vor rund einem Jahr habe die Kommission aus Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Tagebaubetroffenen und Umweltverbänden ihre Empfehlungen der Öffentlichkeit vorgelegt. Die Bundesregierung habe damals eine 1:1-Umsetzung zugesichert. In einer aktuellen Stellungnahme sähen die Kritiker jetzt „Buchstaben und Geist“ der in der Kommission erzielten Kompromisse grob verletzt. Die Pläne der Regierung wichen aus ihrer Sicht gravierend von den Kommissionsempfehlungen ab – und dies „einseitig zu Lasten von Klimaschutz und Tagebaubetroffenen“. Ihre Kritik konzentriere sie dabei auf fünf zentrale Punkte:

Klimapolitische Unzulänglichkeit des Ausstiegspfads

Bis 2025 setzt der Entwurf der Regierung nur auf freiwillige Abschaltungen der Betreiber. Dass 2025 nur ein Viertel der vereinbarten 10 Millionen Tonnen CO2 reduziert werden soll, ist ein klarer Bruch mit dem Kohlekompromiss. Diese 10 Millionen Tonnen waren ein wesentlicher Grund für die Zustimmung relevanter Mitglieder der Kohlekommission. Die Regierung verwirft zudem bei der Abschaltung der Kraftwerke einen stetigen Minderungspfad. Zwischen 2023 und 2028 sollen kaum Kraftwerke stillgelegt werden. Alle Verantwortung wird auf das Ende des Jahrzehnts verschoben. Bis 2030 erhöhen sich damit die CO2-Emissionen durch Braunkohlekraftwerke um etwa 40 Millionen Tonnen gegenüber den Empfehlungen der Kohlekommission.

Inbetriebnahme eines neuen Kohlekraftwerks (Datteln 4) im Jahr 2020

In Deutschland soll im Jahr 2020, während apokalyptische Bilder aus Australien eine Vorstellung von der Klimakatastrophe vermitteln, ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz gehen: das Kraftwerk Datteln 4. Damit sind auch im Bereich der Steinkohlekraftwerke die Emissionen in den 2020er Jahren höher als von der Kohlekommission empfohlen.

Zerstörung von Dörfern zugunsten der Kohle

Am Tagebau Garzweiler sollen nach den Plänen der Regierung sechs weitere Dörfer abgebaggert und Menschen zwangsumgesiedelt werden: Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich, Berverath und Lützerath. Dies widerspricht der Vereinbarung in der Kohlekommission, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um weitere „Umsiedlungen“ zu verhindern. Statt bei Hambach und Garzweiler, wo Wald und Dörfer bedroht sind, Kraftwerke stillzulegen, sollen nun jedoch Anlagen am Tagebau Inden abgeschaltet werden. Grundsätzlich könnten die Dörfer auch mit dem Kohlekompromiss erhalten werden.

Hambacher Forst weiter bedrängt

Der Hambacher Forst soll erhalten bleiben. Nach scharfer Kritik an Ankündigungen des Energiekonzerns RWE, den Wald durch weitere Abbauaktivitäten zu einer Insel zu machen, dementierte der Konzern dieses Vorhaben. Doch auch künftig soll nahe des Waldes weiter gebaggert werden, was die örtlichen Bürgerinitiativen scharf kritisieren, da es nicht notwendig ist.

Fahrplan für Ausbau der Erneuerbaren Energien fehlt

Im Kohlekompromiss wurde der Ausbau der Erneuerbaren vereinbart. An einer entsprechenden Umsetzung – insbesondere hinsichtlich einer ausreichenden Flächenausweisung und der Schaffung verlässlicher Rahmenbedingungen für Investitionen in erneuerbare Energien – mangelt es jedoch noch immer.

Kommt es nicht zu Korrekturen, so sehen die ehemaligen Kommissionsmitglieder den bislang mitgetragenen Kompromiss durch Bund und Länder „aufgekündigt“. Mit den Plänen der Bundesregierung kommt es in 2020er Jahren zu einem massiven Mehrausstoß von Treibhausgasen: Im Bereich der Braunkohle- wie auch der Steinkohlekraftwerke würden die Emissionen gegenüber den eh schon schwachen Empfehlungen der Kohlekommission steigen – ein Desaster angesichts des klimapolitisch bereits völlig unzureichenden Kohlekompromisses.

Umweltinstitut: „Halten wir fest: Substanzieller Klimaschutz findet unter dieser Regierung nicht statt. Es bleibt bei Scheinpolitik. Wie trotz Verschleppung von Kohleausstieg – und auch Verkehrswende – jedwede Klimaschutzziele eingehalten werden sollen, bleibt das Geheimnis der Bundesregierung. Angesichts der unmissverständlichen Warnungen aus Wissenschaft und Forschung muss ihr grob fahrlässiges Handeln als das bezeichnet werden, was es ist: eine Zumutung. Denn um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, wäre ein kompletter Kohleausstieg bis 2030 der einzige Weg.

Nun liegt ein erster Gesetzesentwurf vor, mit dem der Ausstiegsplan umgesetzt werden soll. Ende Januar soll dieser im Kabinett verabschiedet und im zweiten Halbjahr das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen werden. Schon jetzt ist klar: Der vorgelegte Stilllegungspfad wird den gesellschaftlichen Konflikt um die Kohle nicht befrieden. Die Bundesregierung lässt uns sehenden Auges auf eine Erderhitzung von vier Grad oder mehr zusteuern. Sie kann sich also auf weitere Proteste einstellen.“

->Quellen: