SWP: Eine Lanze für negative Emissionen

Unkonventioneller Klimaschutz: Gezielte CO2-Entnahme aus der Atmosphäre als neuer Ansatz in der EU-Klimapolitik

Immer mehr Klimaforscher sind überzeugt davon, dass sich die globale Erwärmung allein durch sinkende Emissionen nicht stoppen lassen wird. Negative Emissionen werden für das Erreichen internationaler Klimaziele eine entscheidende Rolle spielen, der Klimaforschung ist das längst bewusst. Innerhalb der EU könnten die Technologien ganz neue Diskussionen anstoßen. Eine neue Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik rät zur Förderung und Anwendung verschiedener Methoden.

Unkonventioneller Klimaschutz: Gezielte CO2-Entnahme aus der Atmosphäre als neuer Ansatz in der EU-Klimapolitik – Bildmontage © Gerhard Hofmann für Solarify

Die Grundidee: Kohlendioxid wird in Produktionsprozessen oder aus klimaneutralen Biomassekraftwerken abgeschieden und weiterverarbeitet oder in der Erde gelagert – sogenannte negative Emissionen. Oliver Geden und Felix Schenuit brechen eine Lanze für negative Emissionen und fordert, endlich mehr über dieses Thema zu forschen und geeignete Technologien zu entwickeln:

  • Wenn die EU bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen will, wird es nicht genügen, konventionelle Klimaschutzmaßnahmen zur Emissionsvermeidung zu ergreifen. Um unvermeidbare Restemissionen auszugleichen, werden zusätzlich auch unkonventionelle Maßnahmen zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre notwendig sein – etwa mittels Aufforstung oder der Direktabscheidung von CO2 aus der Umgebungsluft.
  • Nicht alle Mitgliedstaaten und Branchen werden im Jahr 2050 bereits Treibhausgasneutralität erreicht haben, manche werden 2050 schon unter Null liegen müssen. Die Option der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre ermöglicht eine stärkere Flexibilisierung der Klimaschutzpolitik, wird aber auch neue Verteilungsfragen aufwerfen.
  • Die Vermeidung von Treibhausgasemissionen sollte gegenüber der nachträglichen Entnahme von CO2 politisch priorisiert werden. Netto-Null– Ziele sollten explizit in Emissionsminderungsziele und Entnahmeziele unterteilt werden, statt die Effekte beider Ansätze beliebig miteinander zu verrechnen.
  • Die zukünftige Entwicklung einer EU-CO2-Entnahmepolitik sollte durch ein adäquates Policy-Design in produktive Bahnen gelenkt werden. Ob die EU mittelfristig einen proaktiven oder zurückhaltenden Einstiegspfad wählt, wird nicht zuletzt mit davon abhängen, welche Netto-Negativ-Ziele sie für die Zeit nach 2050 anstrebt.
  • Die EU sollte ihren Fokus in den kommenden Jahren darauf richten, verstärkt in Forschung und Entwicklung von CO2-Entnahme-Methoden zu investieren und vermehrt praktische Erfahrungen mit deren Einsatz zu sammeln.
  • Nur wenn es der EU und ihren Mitgliedstaaten auf dem Weg zu Netto Null tatsächlich gelingt, konventionelle Emissionsminderungen und unkonventionelle CO2-Entnahmen überzeugend miteinander zu verbinden, kann die EU ihrem Vorreiter-Anspruch in der Klimapolitik gerecht werden.
  • Weil das noch verfügbare CO2-Budget absehbar überzogen wird, braucht es Technologien, mit denen die Weltgemeinschaft ihre „Klimaschulden“ zurückzahlen kann. Außerdem werden sich die Emissionen in Landwirtschaft oder Luftverkehr nicht komplett auf null bringen lassen. Durch sogenannte „negative Emissionen“ in anderen Sektoren kann dies ausgeglichen werden.

Nur wenn wir der Atmosphäre CO2 entnehmen, ist das Pariser Klimaabkommen umsetzbar“

Schon im November 2017 hatte Geden in einem Beitrag für die Rubrik „Debatte“ auf der Webseite der Energiesysteme der Zukunft (ESYS) gefordert: „Für die Einhaltung der 2-Grad-Grenze werden laut dem UNEP Emissions Gap Report negative Emissionen im Umfang von 670 Gigatonnen notwendig sein. Für 1,5°C kalkuliert man sogar 810 Gigatonnen CO2, was dem 20-fachen des derzeitigen weltweiten Jahresausstoßes entspricht. Bislang favorisieren Klimaökonomen den Anbau schnellwachsender Biomasse und deren Verfeuerung in Kraftwerken sowie die Abscheidung und Speicherung des CO2. Denkbar wären aber auch eine großflächige Wiederaufforstung, die Steigerung der CO2-Aufnahmekapazität von Böden und Ozeanen oder die direkte CO2-Abscheidung aus der Umgebungsluft. In der Praxis liefe es wohl darauf hinaus, von allem etwas zu machen, je nach nationalen Begebenheiten und politischen Präferenzen.

Gefordert sind die klimapolitischen Vorreiter, also auch die EU und Deutschland. Die bisherigen CO2-Minderungsziele von 80 bis 95 Prozent bis 2050 reichen für einen fairen Beitrag zum Erreichen der Paris-Ziele nicht aus. Zur Jahrhundertmitte müsste die Nulllinie erreicht und danach deutlich unterschritten werden. Modellrechnungen ergeben, dass die EU bis zum Jahr 2100 mehr als 50 Gigatonnen Negativemissionen liefern müsste; auf Deutschland entfielen dann 10 Gigatonnen. Wollen politische Entscheidungsträger diese Herausforderung ernsthaft annehmen, dann sind zunächst einmal großangelegte Forschungsprogramme notwendig. Parallel wäre auf UN-Ebene zu klären, welche Länder global die Hauptlast zu tragen hätten. Erst dann ist eine Integration in die Klimapolitik sinnvoll, also ein Mix aus Technologieförderung und neuen Regularien zur Anrechnung der CO2-Entnahme auf klimapolitische Verpflichtungen.

Länder, die für sich in Anspruch nehmen, wissenschaftsbasierte Klimapolitik zu betreiben, werden sich zu einem langfristigen Minderungsziel von weit über 100 Prozent bekennen müssen, und somit zum umfangreichen Einsatz von Negativemissionstechnologien. Wer sich dazu nicht durchringen kann, hat die Pariser Klimaziele faktisch schon abgeschrieben.“ (siehe: energiesysteme-zukunft.de/debatte/negative-emissionen)

->Quellen: