Wasserstoff zu nachhaltiger Dekarbonisierungsoption machen

Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung durch weitere Maßnahmen konkretisieren

Der Nachhaltigkeitsrat begrüßt und unterstützt die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung und deren grundsätzliche Ausrichtung. Damit Wasserstoff jedoch zu einer marktfähigen Dekarbonisierungsoption mit technologischen und industriepolitischen Chancen für Deutschland, Europa und international wird, müssen Maßnahmen konkretisiert, erweitert und zeitnah in politisches Handeln übersetzt werden. Klima- und Umweltschutz, Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit, Bezahlbarkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher, wirtschaftliche Tragfähigkeit für Unternehmen sowie europäische und globale Partnerschaften müssen dabei als Fundamente in einer nachhaltigen Wasserstoffstrategie verankert sein.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung möchte die Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung eng begleiten und bietet eine Zusammenarbeit mit dem Nationalen Wasserstoffrat an. Der Nachhaltigkeitsrat rät der Bundesregierung, folgende Empfehlungen in der Nationalen Wasserstoffstrategie aufzugreifen:

1. Übergangszeiten inhaltlich definieren und „Lock-in“-Effekte vermeiden

Für eine erfolgversprechende Dekarbonisierungsstrategie müssen insbesondere die Weichen für grünen Wasserstoff gestellt werden.

Für den zügigen Markthochlauf einer industriellen Wasserstoffwirtschaft bedarf es verschiedener Technologien. Die Nutzung von klimaschädlichem, grauem Wasserstoff muss so schnell wie möglich beendet werden.

Blauer Wasserstoff kommt, um schnelle Emissionsminderungen zu erreichen, nur für einen Übergangszeitraum zum Einsatz.

Türkiser Wasserstoff, für dessen umwelt- und klimaneutralen Einsatz noch Forschungsanstrengungen notwendig sind, kann Teil einer neuen Wasserstoffwirtschaft werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Gesamtbilanz bei der Gewinnung und dem Transport von fossilem Erdgas sowie der Produktion, dem Transport und der Lagerung von türkisem Wasserstoff treibhausgasneutral ist und der feste Kohlenstoff nachhaltig und sicher gelagert oder weiterverarbeitet wird. Aus Sicht des RNE muss die Energie für die Spaltung von Methan aus erneuerbaren Energien stammen.

Bei den unterschiedlichen Technologien besteht bei der Verwendung von fossilen Energieträgern jedoch das Risiko eines fossilen „Lock-ins“, wonach die nicht nachhaltigen, fossil-basierten Prozesse dauerhaft weiter betrieben würden. Zudem könnten Finanzressourcen hierfür zu langfristig gebunden werden, was Verfahren auf Basis erneuerbarer Energiequellen in Entwicklung, Förderung, Hochskalierung und Implementierung behindern und verzögern würde.

Technologieoffenheit und Übergangszeiten sind notwendig, weil die erforderliche Umstellung auf grünen Wasserstoff Zeit braucht, einerseits für die enormen Mengenbedarfe erneuerbarer Energien und andererseits für eine kosteneffiziente Technologieentwicklung. Die Kosteneffizienz klimaneutraler Verfahren kann sich umgekehrt jedoch nur durch die Realisierung von Anlagen im großtechnischen Maßstab und damit verknüpft eine Skalierung über Bedarf und Nachfrage entwickeln. Nur so kann internationale Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden.

Um einen möglichen Zielkonflikt zwischen dem Hochlauf von grünem Wasserstoff und anderen Technologien zu vermeiden, die Pariser Klimaziele zu erreichen und gleichermaßen Planungs- und Investitionssicherheit für die industrielle Produktion und den Finanzsektor zu schaffen, bedarf es der Transparenz, klarer Ziele für eine langfristig grüne Transformation, eines schrittweisen Vorgehens mit ambitionierten Teilzielen und einer entsprechenden Steuerung.

Der Nachhaltigkeitsrat empfiehlt, strenge und transparente Nachhaltigkeitsanforderungen und Rahmenbedingungen für die Übergangszeiten zu formulieren.

Neben dem Monitoring des Übergangszeitraumes für die Verwendung von blauem Wasserstoff und der nachhaltigen, technologischen Entwicklung für türkisen Wasserstoff und seine Folgeprodukte gehören dazu eine dynamische Entwicklungskurve für den Hochlauf grünen Wasserstoffs insgesamt sowie klar definierte und zu ergreifende Maßnahmen bei Nichteinhaltung der Teilziele: Klima- und Umweltschutz, Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Bezahlbarkeit. Der Zeitplan sollte in regelmäßigen Abständen geprüft und ggf. angepasst werden.

Darüber hinaus sind Kriterien für die Vorketten der Erdgasbereitstellung, den Transport und die Speicherung des bei der Herstellung von blauem Wasserstoff entstehenden CO2 festzulegen. Ebenso gilt es, Umweltstandards zu definieren für den Umgang mit verfestigtem Kohlenstoff aus
den Verfahren für den türkisen Wasserstoff. Bei der Nutzung von blauem und türkisem Wasserstoff muss die gesamte Treibhausgasbilanz dargestellt werden.

2. Den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen

Die Bundesregierung geht davon aus, dass Deutschland zur Deckung steigender Energiebedarfe Wasserstoff mittel- und langfristig auch in erheblichem Umfang in Partnerschaften international produzieren und importieren muss. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Anstrengungen für mehr Effizienz und Suffizienz verstärkt und der begonnene Hochlauf erneuerbarer Energien in Deutschland ambitionierter und deutlich zügiger angegangen werden müssen. Eine wichtige Grundlage, um Wasserstoff-Wertschöpfungsketten in Herstellung, Umwandlung, Speicherung, Transport, Verteilung und Nutzung in Deutschland zu etablieren, ist ein deutlicher Ausbau der erneuerbaren Energien – lokal, national, europäisch und global. Die Potenziale erneuerbarer Quellen durch einen effektiven Ausbau regenerativer Energien in Deutschland und weltweit zu heben, ist deswegen eine No-Regret-Maßnahme, die dazu beiträgt, die Treibhausgas-Minderungsziele in strom- und gasbasierten Anwendungsbereichen und Prozessen zu realisieren.

National gilt es deshalb, den gefundenen Kompromiss zur Abschaffung des PV-Deckels und zum länderspezifischen Opt-in von Onshore-Abstandsregelungen umgehend umzusetzen, um das große Potenzial der erneuerbaren Energien wieder voll zu nutzen und die Branche zu stärken. Weil im Onshore-Wind-Bereich der Ausbau nahezu zum Erliegen kam, auch als Folge wachsender Akzeptanzprobleme, sollte die Bundesregierung in Übereinstimmung mit den Ländern die Rahmen für Genehmigungsprozesse, Bürgerbeteiligung und Anreizsetzung ebenfalls schnellstmöglich klären. Ein Stillstand des Hochlaufs im Onshore-Bereich gefährdet nicht nur die Klimaschutzziele, sondern auch in Summe rund 40.000 Arbeitsplätze in der Windbranche. Relevante Potenziale einer grünen Wasserstoffstrategie in Deutschland wie international sieht der Rat im Offshore-Bereich. Darüber hinaus sieht der RNE für die Regionen, die durch den Ausstieg aus dem Braunkohletagebau neue Wertschöpfung aufbauen müssen, besondere Chancen für einen deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien und den Einstieg in eine Wasserstoffwirtschaft. Die Weichen für eine angehobene Zielsetzung eines naturverträglichen Ausbaus sollten gestellt werden, um einen schnellstmöglichen Hochlauf zu gewährleisten. Generell gilt hierbei, dass digitale Möglichkeiten erheblich besser als bisher genutzt werden müssen, um die häufig sehr langwierigen und schwer kalkulierbaren Prozesse der Genehmigung und Bürgerbeteiligung deutlich zu beschleunigen. Hierbei kommt es darauf an, unter Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Organisationen eine bestmögliche Akzeptanz für den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien sicherzustellen.

Wie mit Blick auf die großen Bedarfe erneuerbarer Energien für die grüne Wasserstoffproduktion europäisch und auch global umzugehen wäre, ist parallel zu einer Markteinführung der Wasserstofftechnologie zu klären. Der Nachhaltigkeitsrat geht davon aus, dass sich hierzu sehr gute Chancen für innereuropäische und globale Partnerschaften ergeben, die sowohl Vorteile für den Klimaschutz als auch für die Entwicklung von Wirtschaft, Arbeitsplätzen und Einkommen bieten.

->Folgt: 3. Grünen Wasserstoff mittel- bis langfristig marktfähig machen