Mercosur-Freihandel wird nicht ohne Regenwald-Schutz ratifiziert

Bundeskanzlerin Merkel traf Vertreterinnen von Fridays for Future

Bundeskanzlerin Angela Merkel empfing am 20.08.2020 im Bundeskanzleramt vier Vertreterinnen von Fridays for Future, Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Anuna de Wever und Adélaïde Charliér. Zentrales Thema seien die „klimapolitischen Schwerpunkte in der laufenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands, die angestrebte EU-Klimaneutralität bis 2050 und die Konkretisierung eines verschärften Zwischenziels für die Treibhausgas-Emissionen bis 2030“ gewesen, teilte Regierungssprecher Seibert anschließend mit.

Die Bundeskanzlerin und die Vertreterinnen von Fridays for Future hätten auch über die Bedeutung der CO2-Bepreisung sowie über nationale Maßnahmen der Klimapolitik wie den Ausstieg aus der Kohleverstromung diskutiert. „Beide Seiten waren sich einig, dass die Erderwärmung eine globale Herausforderung ist, bei deren Bewältigung den Industriestaaten eine besondere Verantwortung zukommt. Basis dafür ist die konsequente Umsetzung des Pariser Klimaabkommens,“ so der Regierungssprecher.

Fridays for Future – PK mit Neubauer, Thunberg, de Wever, Charliér – Screenshot © Phoenix, ARD, ZDF u.a

Bei der anschließenden Pressekonferenz auf der Terrasse des Hauses der Kulturen der Welt zeigten sich Greta Thunberg und Luisa Neubauer zuversichtlich, dass die derzeitige EU-Ratspräsidentin beim Klimaschutz eine Führungsrolle einnehmen werde. Denn bisher habe es kaum Fortschritte gegeben, auch weil die weltweite Klimakrise immer noch nicht als solche gesehen werde. „Wir wollen, dass die Gesellschaft der Wissenschaft zuhört und dementsprechend handelt“, forderte Thunberg im Interview des News-Kanals phoenix. Neubauer betonte: „Die Diskussion, die wir in den Medien, der Politik und der Gesellschaft führen, ist weit weg von der Realität. Wir brauchen jetzt starke Stimmen, die diese Lücke füllen.“ Beide beklagten, die Erderwärmung und ihre Folgen für die Gesellschaft würden bei weitem nicht so ernst genommen wie die Corona-Pandemie.

Die Aktivistinnen setzten dennoch große Hoffnungen in die Bundeskanzlerin und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Neubauer: „Wir haben darüber gesprochen, was zu tun ist, um das Pariser Klimaabkommen umzusetzen und unsere gegenseitigen Standpunkte ausgetauscht.“ Man müsse realistisch bleiben, meint Thunberg – sie weiß natürlich, dass ein derartigesTreffen nicht alles ändern wird. Dennoch habe man Merkel deutlich gemacht, dass es jetzt starke Führungspersonen braucht, die Verantwortung übernehmen werde, und dass Merkel momentan in der Position sei, das zu tun.

„Wunsch nach Gespräch“

90 Minuten nahm sich Merkel Zeit, und das trotz steigender Corona-Zahlen, der Lage in Belarus und der schwierigen deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Im Prinzip fordern die FFF-Aktiven von Merkel, nicht nur die Corona-Krise als solche zu behandeln, sondern auch die drohende Klimakatastrophe. Weigehende Zugeständnisse macht Merkel am Ende nicht – es geht vor allem um das Signal, dass das Thema nicht von der Tagesordnung verschwindet. „Doch gerade die wirtschaftlichen Einbrüche durch Corona könnten den Umbau der Wirtschaft hin zu klimaschonenderen Technologien weltweit lähmen, da das alles Geld kostet“, schreibt Georg Ismar im Berliner Tagesspiegel.

Immerhin: Merkel sicher den Aktivisten nach deren Angaben in der Pressekonferenz zu, das geplante Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Mercosur nicht zu ratifizieren, sollte das Mitgliedsland Brasilien sich nicht eindeutig zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes bekennen. Die Kanzlerin beendete das Rätselraten, wie es zu dem Treffen gekommen war: „Es gab einen Wunsch von Frau Neubauer, was ein solches Gespräch angeht. Deshalb möchte ich mich diesem Gespräch nicht verweigern, sondern freue mich, dass der Wunsch nach diesem Gespräch besteht“, so Merkel „im Vorfeld gewohnt trocken“ (Ismar), wie es zu dem ungewöhnlichen Besuch gekommen sei.

Pressestimmen

Mitteldeutsche Zeitung: „Es ist eine Jugend-Bewegung herangewachsen, deren Anführerin Greta Thunberg völlig zu Recht und auf eigenen Wunsch von Kanzlerin Angela Merkel empfangen wurde. Es gibt wohl keine jugendliche Protestbewegung, deren Anliegen je so berechtigt war wie das von ‚Fridays for Future‘. Die Zeichen der Katastrophe stehen in diesem Sommer mal wieder unübersehbar an der Wand“.

FAZ.net : „Was für ein Armutszeugnis demokratisch gewählter Regierungen, insbesondere für eine ‚Klimakanzlerin‘, so zu tun, als gehe ihnen erst durch Greta ein Licht auf. Die Erhebung der zweifellos beeindruckenden jungen Frau in den Rang einer Jeanne d’Arc des Klimaschutzes brüskiert zahllose Fachleute sowie das demokratische Prinzip – passt aber in eine Zeit des eher schlichten Populismus der Straße.“

Online-Ausgabe des Handelsblatts: „Thunberg stellt radikale Forderungen. Merkel aber muss Deutschland und Europa durch die größte Wirtschaftsdepression seit Jahren führen. Einen zusätzlichen klimapolitischen Lockdown können sich Deutschland, Europa und der Rest der Welt nicht leisten.“

Neue Osnabrücker Zeitung: „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Wissenschaft Unsicherheit nicht ausschließt. Frappierend, wie Experten mit mancher Annahme danebenlagen. Auch auf den Feldern Energie und Klima wird die Forschung noch Erkenntnisse bringen, die derzeit keiner auf dem Radar hat. (…) Technologischer Fortschritt und die Wertschätzung alter Nachhaltigkeit sind ein besserer Weg als bestimmen zu wollen, ob jemand einen Kilometer mehr oder weniger Auto fährt. Friday-Aktivisten wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer haben ihren Platz in diesem Prozess. Im Alleingang prägen dürfen sie ihn nicht.“

Berliner Tagesspiegel: „Wer, außer den Grünen, will schon mit der Botschaft ins Bundestagswahljahr, dass Corona ein Nichts war im Vergleich zur Klimakatastrophe? Wer will erschöpften Wählern sagen, dass nach der Pandemie nicht das große Aufatmen kommen darf, das Zurück zum Gestern? Merkel hat ihren Gästen versprochen, sie wolle versuchen, mutiger zu sein. Die Jungen werden wohl bald wieder vors Kanzleramt ziehen müssen.“ (Nach mdr.de/presseschau)

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