CO2 verursacht Erdbeben

Erkenntnisse einer 10-Jahres-Untersuchung im Apennin

L’Aquila, Amatrice, Visso, Castelsantangelo sul Nera, Ussita: 600 Menschen starben und 120.000 mussten evakuiert werden, als im Apennin zwischen 1997 und 2016 wiederholt die Erde bebte. Gleichzeitig mit den Dutzenden von Erdbeben wurden große Mengen Kohlendioxid emittiert.  Inzwischen glauben Forscher vom National-Institut für Geophysik und Vulkanologie in Bologna, dass die Treibhausgasmassen die Erschütterungen mindestens zum Teil verursacht hatten. Carlo Cardellini und Giovanni Chiodini zogen diesen Schluss nach zehn Jahren Aufzeichnungen. Sie publizierten ihre Erkenntnisse am 26.08.2020 in Science Advances.

Bildmontage © Gerhard Hofmann für Solarify

Titel der Veröffentlichung: „Correlation between tectonic CO2 Earth degassing and seismicity is revealed by a 10-year record in the Apennines, Italy“ („Zehn Jahre dauernde Aufzeichnungen im Apennin zeigen den Zusammenhang zwischen tektonischer CO2-Emission aus der Erde und Seismizität in Italien“). Roland Knauer schreibt dazu am 27.08.2020 im Berliner Tagesspiegel: „Kohlendioxid dringt immer wieder aus dem Untergrund, insbesondere in Regionen der Welt, die besonders häufig von schweren Erschütterungen betroffen sind. Nur hatte bisher niemand dieses Phänomen über einen längeren Zeitraum beobachtet und mit dem Erdbeben-Geschehen in Verbindung gebracht. Giovanni Chiodini analysiert seit 2009 das Wasser, das aus 36 starken Quellen in der weiteren Umgebung der Stadt L’Aquila strömt, die vom Erdbeben im Jahr 2009 fast völlig zerstört wurde. Dabei wird nicht nur die Konzentration von Kohlendioxid gemessen, sondern auch Kohlenstoff-Isotope, die etwas über die Herkunft des Gases verraten.“

„Tiefe CO2-Emissionen kennzeichnen viele nicht-vulkanische, seismisch aktive Regionen weltweit,“ so die Erdbebenforscher in Science Advances, „und die Beteiligung von tiefem CO2 am Erdbebenzyklus ist inzwischen allgemein anerkannt. Es sind jedoch keine Langzeitaufzeichnungen über solche Emissionen veröffentlicht worden, und die zeitlichen Beziehungen zwischen dem Auftreten von Erdbeben und der tektonischen CO2-Freisetzung bleiben rätselhaft. Hier berichten wir über einen 10-Jahres-Datensatz (2009-2018) des tektonischen CO2-Flusses in den Apenninen (Italien) während intensiver Erdbebenaktivität. Die Gasemission korrelieren mit der Entwicklung der seismischen Sequenzen: Spitzenwerte des tiefen CO2-Flusses werden in Perioden hoher Seismizität beobachtet, und der CO2-Fluss nimmt mit abnehmender Energie und Anzahl der Erdbeben ab. Wir vermuten, dass die Entwicklung der Seismizität durch den Aufstieg von CO2 beeinflusst wird, das sich in Krustenreservoiren angesammelt hat und durch das Schmelzen von abgebauten Karbonaten entsteht. Dieser großräumige, kontinuierliche Prozess der CO2-Produktion begünstigt die Bildung von unter Überdruck stehenden CO2-reichen Reservoiren, die möglicherweise Erdbeben in der Tiefe der Kruste auslösen können.“

Chiodini, Cardellini und ihren Ko-Autoren folgend wird seit mehr als hundert Millionen Jahren am Grund der Meere Kohlendioxid in chemischen Prozessen in Kalkstein umgewandelt. Es entstehen kilometer-dicke Platten, die sich, weil die Erdkruste ständig in Bewegung ist, zusammen und übereinander schieben. Das geschieht aber nicht kontinuierlich und schleichend, sondern oft ruckhaft. Beispiel: die Adriatische Platte schiebt sich unter die Eurasische Platte. Inzwischen ist die Adriatische Platte so tief in den Erdmantel getaucht, dass sie dort aufgrund der hohen Temperaturen schmilzt.

Chiodini und Cardellini referieren die bisherige Forschung: Der Zusammenhang zwischen Erdbebenanfälligkeit und Flüssigkeitskreislauf sei unter Berücksichtigung sowohl der potenziellen Rolle tiefer Flüssigkeiten bei der Erdbebenentstehung als auch der engen räumlichen Korrelation zwischen seismischen Zonen und Gebieten mit tiefer Flüssigkeitseinleitung 2013 und 2018 wissenschaftlich nachgewiesen. Zudem sei die Rolle von tiefen Strömungen bei der Auslösung von Erdbeben in verschiedenen tektonischen Umgebungen erkannt worden. Schließlich sei die Beteiligung von CO2-reichen Fluiden an seismischen Sequenzen ebenfalls nachgewiesen, weiter eine weltweite räumliche Korrespondenz zwischen seismisch aktiven Gebieten und CO2-Emissionen sowie die primäre Rolle der Dehnungs-Tektonik bei der Emission von CO2. Die wenigen gemessenen Fälle, Zentral-Süditalien und der ostafrikanische Graben, wiesen auf die globale Relevanz tektonischer CO2-Flüsse hin, von denen man annehme, dass sie die CO2-Konzentration der Atmosphäre und damit das Klima mitbestimmt hätten.

Zeitliche Entwicklung von CO2-Ausgasung und Seismizität

Mehr als 1.800.000 Tonnen tief eingelagertes CO2 emittiert

Die zeitliche Variation der Rate des tektonischen CO2-Ausstoßes im Zusammenhang mit der Seismizität sei aber deshalb bislang noch nicht determiniert, da längere Zeitreihen des CO2-Ausstoßes in seismisch aktiven Gebieten noch nicht erfasst worden seien. Daher zeigen die Autoren einen 10 Jahre dauernden (von 2009-2018) Datensatz der tektonischen CO2-Emissionen im Vergleich zur Seismizität im Zentralapennin (Italien), einem Gebiet, in dem sich verheerende historische Erdbeben ereignet haben (z.B. die Beben von 1461 und 1703). Der Beobachtungszeitraum 2009-2018 ist eine Periode sich wiederholender seismischer Sequenzen, die als eine einzigartige Sequenz mit einer Länge von 10 Jahren betrachtet wird. Sie umfasst die verheerenden Hauptbeben vom 6. April 2009 mit der Stärke 6,3 (L’Aquila-Erdbeben), vom 24. August 2016 mit 6,0 (Amatrice-Erdbeben) und am 30. Oktober 2016 das Norcia-Erdbeben mit 6,5 Stärke. Diese Erdbeben und ihre stärkeren Nachbeben zerstörten ein großes Gebiet Mittelitaliens mit mehr als 600 Toten, 2.000 Verletzten und der Evakuierung von etwa 120.000 Personen. Die drei großen Erdbeben ereigneten sich in ähnlichen Tiefen (8 bis 12 km), wobei sich Tausende von Nachbeben auf die oberen 10 bis 12 km der Erdkruste konzentrierten. Diese Erschütterungen waren durch normale Schwerpunktmechanismen mit einem Nordwest-Südost (NW-SO)-Bruchschlag gekennzeichnet, der mit dem der großen Apennin-Verwerfungen übereinstimmt, die sich als Reaktion auf eine Nordost-Südwest (NE-SW)-Ausdehnung bewegen. Im Apennin kommt es als Reaktion auf eine regionale Hebung im Zusammenhang mit einem aufsteigenden und sich nach Osten bewegenden Mantelkeil zu einer Ausdehnung der Kruste und zu verheerenden Erdbeben in der übergeordneten Platte. Unsere Aufzeichnung der Emissionen des tektonischen CO2-Flusses in den Jahren 2009-2018 zeigt, dass mehr als 1.800.000 Tonnen tief eingelagertes CO2 aus einem relativ kleinen Gebiet (~700 km2) freigesetzt wurden, wobei die Rate zeitlich entsprechend der Entwicklung der Seismizität variiert.

„Das ist etwa soviel wie die Emission bei vulkanischen Eruptionen“, so Chiodini und seine Kollegen. Ein Großteil des Gases stammte dabei aus einer Zone rund zehn bis 15 Kilometer unter der Oberfläche des L’Aquila-Beckens, wie seismische Messungen und Isotopenmessungen ergaben. Ein Teil der CO2-Freisetzung wird vermutlich erst von den Erdbeben ausgelöst – diese CO2-Ausgasung wäre demnach eine passive Begleiterscheinung: „Die Erschütterung verursacht den plötzlichen Aufstieg von Gasbläschen und auch die Gas-Abgabe des gelösten CO2 aus dem Wasser – ähnlich wie bei einer geschüttelten Limonadenflasche“, sagen Chiodini und Kollegen.

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