Großer Schritt für EU – kleiner für globale Klimagrenze

 

Einigung beim EU-Gipfel

Die EU-Staaten bekannten sich beim Gipfel am 11.12.2020 zwar zur Klimaneutralität bis 2050 und zu einen höheren CO2-Einsparziel für 2030. Der Energiemix bleibt aber nationale Angelegenheit. Das neue, am 11.12.2020 beschlossene EU-Klimaziel trägt zwar – wenn es denn umgesetzt wird – zur Begrenzung der Erderhitzung auf zwei Grad bei – reicht aber noch nicht für den notwendigen Klimaschutz weltweit – so zahlreiche Kommentare.

– Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Am frühen Morgen des 11.12.2020 gab EU-Ratschef Charles Michel bekannt, die Mitgliedstaaten hätten sich nach einer Nachtsitzung darauf geeinigt, bis 2030 die CO2-Emissionen Europas im Vergleich zu 1990 nicht nur um 40, sondern um 55 Prozent abzusenken. Das war zwar von vielen erwartet worden, dennoch stellt diese Verschärfung zahlreiche Firmen vor neue Herausforderungen. Und wie immer gehen die Reaktionen rituell-habituell auseinander: Naturschützer sind unzufrieden, Unternehmen ächzen wirkungsvoll.

So stellt das Handelsblatt fest: „Industriekonzerne wie Thyssen-Krupp, aber auch Fluggesellschaften wie die Lufthansa haderten schon vor der Anhebung damit, wie sich die ambitionierten europäischen Klimaziele in der Praxis umsetzen lassen. Ein Großteil der Firmen hatte bereits entsprechende Pläne ausgearbeitet. Die müssen nun wieder angepasst werden. Andere Unternehmen etwa aus dem Maschinenbau hoffen darauf, nun noch stärker von der Dekarbonisierung der Wirtschaft zu profitieren. Immerhin liefern sie die Technologien, die die Industrie braucht, um den CO2-Ausstoß in den Produktionsprozessen zu begrenzen.“ Dunkle Tgöne kommen auch aus der Auto-Industrie.

Germanwatch fordert Umsetzung mit Klima-Prüfung für öffentliche Investitionen sowie mehr Engagement der EU für internationale Partnerschaften: Die Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch begrüßt grundsätzlich die Einigung der Staats- und Regierungschefs auf das neue EU-Klimaziel von mindestens 55 Prozent Emissionsminderung bis 2030. Sie kritisiert jedoch, dass durch die Einbeziehung von CO2-Senken wie Wäldern die reale Emissionsminderung um einige Prozentpunkte niedriger liegen dürfte und vermisst ausreichendes Engagement, weltweit mehr erreichen zu wollen: „Die Einigung beim Klimaziel ist trotz einiger Schwächen ein großer Schritt Richtung Klimaneutralität in der EU. Für Deutschland bedeutet dieses Ziel etwa, dass der Kohleausstieg nun bis 2030 vollzogen werden muss. Noch vor zwei Jahren wäre eine solche Einigung zwischen allen EU-Staaten kaum denkbar gewesen. Diesen Erfolg haben wir all den Menschen zu verdanken, die sich in den letzten Jahren für mehr Klimaschutz eingesetzt haben“, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch.

Erstmals soll dabei die CO2-Aufnahme von Wäldern mitgerechnet werden, so dass der Ausstoß an Treibhausgasen lediglich um bis zu 50,5 Prozent sinken müsste. Mit den bereits beschlossenen Klimamaßnahmen und Zielen würde der CO2-Ausstoß  bereits um 46 Prozent zurückgehen, prognostiziert die EU selbst. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Vereinten Nationen mahnen ein deutlich schnelleres Reduzieren  der Treibhausgase an. Greenpeace-Geschäftsführender Vorstand Martin Kaiser kommentiert: „Die 27 Staatsoberhäupter der EU haben es heute verpasst, das Pariser Klimaabkommen nach fünf Jahren endlich zum Leben zu erwecken und das 1,5 Grad-Ziel zu sichern. Während Millionen Menschen auf einen großen Sprung im Klimaschutz hofften, machte der EU-Rat mit der Vorsitzenden Angela Merkel lediglich einen frustrierenden Trippelschritt. Die Kanzlerin und der Rat scheuten die notwendige Auseinandersetzung mit der Öl-, Gas- und Kohleindustrie. Das neue Klimaziel wird die Menschen nicht ausreichend vor kommenden Wetterextremen schützen. Nun liegt es am europäischen Parlament, den größten Schaden abzuwenden. Die Abgeordneten müssen verhindern, das erstmals die CO2-Minderungen durch Wälder mitgerechnet werden, und sich für ein höheres Ziel einsetzen. Europa braucht nationale Verbindlichkeit beim Klimaschutz, damit sich einzelne Regierungen wie Deutschland nicht länger hinter dem kleinsten gemeinsamen Nenner verstecken können.“

DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Fünf Jahre nach dem Klimagipfel von Paris erspart die Einigung auf das neue 55-Prozent-Klimaziel den europäischen Regierungen eine Blamage vor der Weltgemeinschaft. Auch wenn das jetzt beschlossene Ziel einen Schritt in die richtige Richtung darstellt, so reicht es als Europas Beitrag nicht aus, um die Erderhitzung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, so wie es der Pariser Vertrag anstrebt. Dafür wäre ein Klimaschutzziel von mindestens 65 Prozent notwendig gewesen. Für die Bundesrepublik bedeutet die Einigung: Deutschland muss jetzt seine nationale Kraftanstrengung intensivieren und die im Klimaschutzgesetz verankerten Sektorenziele, vor allem für die Bereiche Energie, Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft nach oben anpassen. Die Bundesregierung muss die verbleibenden neun Monate ihrer Amtszeit nutzen, um kurzfristig wirksame Maßnahmen wie den konsequenten Ausbau der Windenergie, die Sanierung öffentlicher Gebäude und ein Tempolimit auf allen Straßen voranzubringen. Nach der Bundestagswahl muss die neue Regierung umgehend ein umfassendes Klimaschutzsofortprogramm aufsetzen, das uns auf einen 1,5-Grad-Pfad bringt.“

Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Der Beschluss ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und ein Etappenerfolg für die Klimaproteste der vergangenen Jahre. Dieses ehrgeizigere Ziel muss nun auch schnellstmöglich in die deutsche Gesetzgebung und vor allem die laufende Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes Eingang finden, die bereits nächste Woche verabschiedet werden soll. Darin muss ein Ausbauziel von mindestens 75 Prozent bis 2030 festgeschrieben und die Ausbaupfade demensprechend angepasst werden. Das bedeutet eine Verdopplung der Ausschreibungsmengen bei Photovoltaik und sieben Gigawatt Zubau von Windenergie an Land. Diese Anpassungen können bereits beim heutigen Spitzengespräch vorgenommen werden. Außerdem bedeutet das neue EU-Klimaziel selbstredend einen Kohleausstieg bis 2030. Dennoch ist das europäische Ziel von 55 Prozent netto bei weitem nicht ausreichend um der fortlaufenden Klimaerhitzung zu begegnen und das Pariser Klimaziel einzuhalten. Im nun folgenden Trilog zum europäischen Klimaschutzgesetz müssen Parlament, Umweltrat und Europäische Kommission dringend mehr Ehrgeiz zeigen. Das Klimaziel darf kein verwaschenes Nettoziel bleiben und eine Anhebung auf mindestens 65 Prozent ist dringend erforderlich um die Klimaerhitzung bei höchstens 1,5 Grad zu halten. Morgen jährt sich die Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens zum fünften Mal und noch immer sind die Aussichten düster.“

BEE-Präsidentin Simone Peter: „„Eine Anhebung der Treibhausgasminderungs-Ziele ist dringend notwendig“. Der BEE spricht sich, wie auch das Europäische Parlament, für eine Erhöhung auf mindestens 60 Prozent aus. „Wir halten es für notwendig, dass in den nun anstehenden Trilog-Verhandlungen noch ein Zeichen für ambitionierten Klimaschutz gesetzt und ein Minderungsziel von mindestens 60 Prozent beschlossen wird“, so Peter weiter. Jetzt müssten die Ziele der Mitgliedsstaaten schnell angepasst werden. „Die Einhaltung der derzeitigen deutschen Klimaziele liegt in weiter Ferne, eine Anhebung wird zu einer noch größeren Herausforderung, wenn der politische Rahmen nicht angepasst wird. Die aktuelle Verhinderung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien im Stromsektor und ein viel zu defensiver Entwurf der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes lassen nicht einmal das Erreichen des 65 Prozent-Ausbauziels bis 2030 zu. Mit einem höheren europäischen THG-Minderungsziel muss der Anteil sogar auf 80 Prozent angehoben werden, denn die Erneuerbaren sind die Klimaschutzmaßnahme Nummer 1. Hierfür braucht es realistischere Annahmen für die Entwicklung des Bruttostrombedarfs und entsprechend ambitionierte Ausbauziele und -mengen bis 2030, Perspektiven für Weiterbetrieb und Repowering und den Abbau bürokratischer Hürden“, so Peter weiter. Außer dem Stromsektor müssten auch die Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie viel schneller und umfassender auf Erneuerbare Energien umgestellt werden. Auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 brauche es ergänzend spezifische Minderungsziele für die einzelnen Sektoren, insbesondere für den Zeitraum ab 2030, um das Ziel eines dekarbonisierten Europas möglichst vor 2050 erreichen zu können. Das sei nur auf Basis eines auf 100 Prozent Erneuerbaren Energien basierenden Energiesystems zu erreichen. „Auch wenn nach EU-Vertrag den EU-Mitgliedsstaaten die Entscheidung über ihren eigenen Energie-Mix nicht genommen werden darf, sind fossile und atomare Energien kein Teil der Lösung. Ausschließlich Erneuerbare Technologien sparen kostengünstig Treibhausgase ein und sind gleichzeitig Motor einer zukunftsfähigen Wirtschaft und umfassender regionaler Wertschöpfung. Hier muss die Priorität liegen, um ambitionierte Klimaziele für ein klimaneutrales Europa umzusetzen“, so Peter.

Martin Bornholdt, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz e. V. (DENEFF): „Wir freuen uns über zusätzlichen Rückenwind aus Brüssel für mehr Ambitionen beim Klimaschutz. Nun ist es an der Bundesregierung, die heimische Energie- und Klimapolitik darauf auszurichten und sich auch auf EU-Ebene für ambitionierte Politiken einzusetzen. Konkret sollte die Bundesregierung eine ambitionierte Umsetzung der europäischen Renovierungswelle anstreben. Zudem müssen die EU-Energieeffizienzrichtlinie und die EU-Gebäuderichtlinie nächstes Jahr novelliert werden – hier muss das neue Klimaziel in ambitionierte Gesetzesvorhaben gegossen werden. Auf nationaler Ebene sollte die Bundesregierung auch in der Industrie energiesparende und klimafreundliche Technologien weiter voranbringen. Leider werden diese wichtigen Investitionen im aktuellen Erneuerbare-Energien-Gesetz sogar bestraft.“

Auch für die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise seien das gute Nachrichten, so Bornholdt weiter: „Nicht zuletzt ist mit der Einigung zum EU-Haushalt auch der Weg frei für den hunderte Milliarden schweren EU-Aufbaufonds zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise, aus dem über 20 Mrd. Euro nach Deutschland fließen können. Die vergangenen Monate habe eindrucksvoll gezeigt, wie Investitionen in Klimaschutz, zum Beispiel bei der Gebäudemodernisierung, zur Stabilisierung und Belebung der Konjunktur beitragen. Deutschland sollte deshalb schwerpunktmäßig die nun zur Verfügung stehenden EU-Gelder für zusätzliche Programme für die energetische Modernisierung von Gebäuden und Industrie nutzen. Damit würde gleichzeitig ein erheblicher Beitrag zur Erreichung der jetzt höheren Klimaziele geleistet.“

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