DIW: Kaum Carbon Leakage durch nationalen Brennstoff-Emissionshandel

Entwurf einer Verordnung zur Vermeidung von CO2-Steuerflucht

Die Einführung des nationalen Brennstoff-Emissionshandels birgt nach Einschätzung von DIW-WissenschaftlerInnen kein erhöhtes Risiko eines Carbon Leakage, also der Verlagerung von klimaschädlicher Industrie ins Ausland. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und des Münchener ifo Instituts, die im Auftrag des BMF erstellt wurde. Die ÖkonomInnen gehen zudem nicht davon aus, dass sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit vermindern könnte. Die gesamte Studie ist als Politikberatung kompakt abrufbar. (Siehe Download.)

CO2- Montage © Gerhard Hofmann für Solarify

Die Untersuchung zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Carbon Leakage in der deutschen Industrie insgesamt deutlich geringer ist als im europäischen Emissionshandel. In nur sehr wenigen Sektoren werden demnach CO2-Kosten entstehen, die eine Abwanderung von Unternehmen zur Folge haben könnten. Die ForscherInnen gehen davon aus, dass allenfalls Wirtschaftsbereiche betroffen sein könnten, die weniger als 0,1 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Basis der Untersuchung der beiden Institute sind die infolge des Brennstoffemissionshandel erwarteten CO2-Kosten im Verhältnis zur Bruttowertschätzung der betroffenen Sektoren.

Das geplante nationale Brennstoffemissionshandelssystem (nBEHS) führt einen CO2-Preis auf die Energieträger und Sektoren ein, die nicht dem europäischen Emissionshandel (EU-ETS) unterliegen. Dies betrifft etwa den Wärme- und den Transportsektor. Das zugrunde liegende Gesetz ist ein zentrales Instrument der Bundesregierung, um ihre Klimaziele für 2030 zu erreichen.

DIW Berlin: Politikberatung kompakt 159

Das geplante nationale Brennstoffemissionshandelssystem führt einen CO2-Preis auf die Energieträger und Sektoren ein, die nicht dem europäischen Emissionshandel unterliegen, also vor allem auf Wärme und Transport sowie Energieträger, die in kleineren Kraftwerken verbrannt werden.Dabei besteht prinzipiell die Möglichkeit, dass Carbon Leakage und eine verminderte internationale Wettbewerbsfähigkeit auftreten, dass also wirtschaftliche Aktivitäten aufgrund der CO2-Kosten ins Ausland verlagert werden. Jedoch zeigt die vorliegende Analyse, dass die Carbon Leakage Risiken erheblich kleiner ausfallen als im europäischen Emissionshandel und sich in der Industrie auf wenige Sektoren beschränken. Die erwarteten CO2-Kosten relativ zur Bruttowertschöpfung ergeben sich als meistversprechendes Unterscheidungsmerkmal, um Branchen zu identifizieren, die besonders von Carbon Leakage betroffen sind.

In der wissenschaftlichen Literatur, in Emissionshandelssystemen anderer Länder sowie in der EU werden eine Reihe weiterer Merkmale beschrieben, die sich jedoch für die Anwendung auf den nationalen Brennstoffemissionshandel als nicht zielführend erweisen. Zwar können die CO2-Kosten auch in Relation zum Umsatz gesetzt werden, doch reagiert dieser Indikator stark auf Preisschwankungen für Inputs. Preis-und Nachfrageelastizitäten sind nicht auf disaggregierter Ebene verfügbar, so dass sie keine ausreichende Differenzierung zwischen Sektoren bieten. Handelsintensitäten sind berechenbar, bieten aber keine Unterscheidung zwischen Sektoren, da der Handel mit dem Ausland für alle Sektoren stark ausgeprägt ist. Indirekte Ansätze zur Messung der Betroffenheit, die (internationale) Verflechtungen in Wertschöpfungsketten berücksichtigen, sind eine theoretische Alternative zur Messung der direkten Betroffenheit, büßen ihre Vorteile in der Praxis jedoch durch mangelnde Datenverfügbarkeit auf disaggregierter Ebene und durch den Verlust der Replizierbarkeit ein.

Das Carbon Leakage Assessment für die Industrie ergibt, dass die Größenordnung der Carbon Leakage Risiken wesentlich niedriger liegt als im europäischen Emissionshandel, da die CO2-Intensität deutlich geringer ist als in den vom EU-ETS abgedeckten Aktivitäten.Für diese Analyse ist es entscheidend, diejenigen Sektoren zu identifizieren, die bereits umfänglich vom europäischen Emissionshandelssystem abgedeckt sind, da diese entsprechend der Gesetzgebung nicht vom nationalen Brennstoffemissionshandel doppelt abgedeckt werden. Zur Identifikation werden die Emissionen, die sich aus der direkten energetischen Nutzung von Energieträgern ableiten, mit den Emissionen, die bereits dem EU-ETS unterliegen, abgeglichen.

Die am stärksten vom nationalen Brennstoffemissionshandel betroffenen Sektoren unter-liegen teilweise bereits dem EU-ETS.In diesen Sektoren haben also manche Unternehmen CO2-Kosten durch den nationalen Brennstoffemissionshandel, andere nicht. In einzelnen Sektoren, wie beispielsweise in der Chemie, sind diese Unterschiede auf unterschiedliche wirtschaftliche Aktivitäten, die im selben Sektor zusammengefasst sind, zurückzuführen. Prozesse der Grundstoffchemie sind im EU-ETS erfasst, weitere Veredlungsschritten eher im nBEHS. In anderen Sektoren hingegen liegt die Unterscheidung in EU-ETS und nationalen Brennstoffemissionshandel vor allem an der unterschiedlichen Anlagengröße. In der Analyse wird (abgesehen von der Chemie) von solch einer Industriestruktur ausgegangen, die sich vorrangig in der Größe der Anlagen unterscheidet. Dieses unterstellt, dass manche Unternehmen (kleine Anlagen) die kompletten CO2-Kosten des Sektors unter dem nBEHS tragen, während andere Unternehmen (große Anlagen) dem EU-ETS unterliegen und keine Mehrkosten tragen. Alternativ würden die CO2-Kosten auf alle Unternehmen der Branche verteilt und fielen entsprechend niedriger aus. Das gewählte Vorgehen führt also zu einer Überschätzung der Gefahr von Carbon Leakage.

Des Weiteren werden die Emissionen der Eigenstromversorgung dargestellt, da ein Teil dem EU-ETS unterliegt, während das bei kleineren Stromerzeugungsanlagen nicht der Fall ist. Das Carbon Leakage Assessment zeigt, dass im Jahr 2022 nur bei der Gipsherstellung CO2-Kosten von mehr als 5% der Bruttowertschöpfung auftreten und Carbon Leakage Risiken vorliegen könnten. Da der Sektor auch Aktivitäten unter dem EU-ETS aufweist, fallen die Kosten durch das nBEHS bei den meisten Unternehmen geringer aus. Beim CO2-Preis von 30€ pro Tonne liegen die Kosten aller anderen Sektoren unter dem Grenzwert von 5% der Bruttowertschöpfung und für die meisten Sektoren unter 0,1% der Bruttowertschöpfung. Für manche Unternehmen könnte die parallele Senkung der EEG-Umlage insgesamt sogar zu einer Senkung der Kosten führen. Einzelne weitere Sektoren unterliegen in den Folgejahren Carbon Leakage Risiken.

Sukzessive treten unter dem festgelegten Preispfad ab 2022 bei einzelnen Sektoren CO2-Kosten relativ zur Bruttowertschöpfung von mehr als dem angenommenen Grenzwert auf. Ab 2023 trifft dieses auf Malz und Fette und Öle zu, ab 2024 auf Stärke und Keramische Fliesen und Platten,sowie ab 2025 auf Chemiefasern. Das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) gibt vor, dass Investitionszuschüsse in den betroffenen Unternehmen gewährt werden sollen.

Die Angemessenheit der Zuschüsse sollte dabei durch entsprechend transparente Vergabekriterien sichergestellt werden. Für die Vergabe muss zunächst für die Branche ein Carbon Leakage Risiko durch das nBEHS festgestellt werden. Im zweiten Schritt sollte sich die Höhe der Investitionszuschüsse für beispielsweise Energieeffizienzmaßnahmen an den unternehmensspezifisch nachgewiesenen Mehrkosten durch das nBEHS orientieren. Dieses vermeidet Mitnahmeeffekte von Unternehmen, die zwar in Branchen mit Carbon Leakage Risiko aktiv sind, aber vollständig vom EU-ETS abgedeckt sind und keine Mehrkosten aufweisen. Im Transportsektor ist kaum Carbon Leakage zu erwarten, da eine Verlagerung ins außereuropäische Ausland nur in sehr eingeschränktem Maß möglich erscheint. Erste Berechnungen für Teile des Transportsektors bestätigen diese Erwartung.

Die Analyse zeigt, dass das Ausmaß von Tanktourismus, also dass beispielsweise Logistikunternehmen gezielt über die Grenze fahren, um dort zu tanken, beschränkt ist. So resultiert das nBEHS absehbar nur in Anreizen, wenige Kilometer weiter als bisher zur Grenze zu fahren, da dieses zu Kosten für Kraftstoff, Fahrer und Abnutzung führt. Außerdem werden internationale Ungleichheiten sogar etwas abgebaut, da manche Nachbarländer Deutschlands höhere Abgaben und Steuern und somit höhere Preise für Kraftstoffe haben

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Jörg Lange, geschäftsführender Vorstand des CO2-Abgabe e.V. zum Entwurf einer Verordnung über Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon Leakage durch den nationalen Brennstoffemissionshandel (CO2-Preisgesetz für Heizen und Verkehr):

„Die Bundesregierung sollte mit Ausnahmen sehr sparsam umgehen. Denn jede Ausnahme schmälert die Lenkungswirkung für den Klimaschutz. Positiv zu bewerten ist, dass der vorliegende Entwurf zur Vermeidung von Carbon Laekage und zum Erhalt der grenzüberschreitenden Wettbewerbsfähigkeit betroffener Unternehmen einen angemessenen Ausgleich findet und Beihilfen an Gegenleistungen knüpft. So müssen Investitionen in Höhe von 80 Prozent der Kompensationszahlungen aus dem Vorjahr in Klimaschutzmaßnahmen fließen. Daran ist unbedingt festzuhalten. Wir fordern, dass die Unternehmen Anfang 2022 einen Transformationsfahrplan vorlegen müssen, der Auskunft darüber gibt, wie gezahlte Beihilfen innerhalb der nächsten vier Jahre zur Reduktion von CO2-Emissionen eingesetzt werden sollen.

Verbesserungsbedarf besteht vor allem bei der Höhe der Kompensationsleistungen insgesamt und der Anrechnung der Strompreisentlastung. So ist der Kompensationsgrad betroffener Unternehmen von bis zu 90 Prozent zu hoch bemessen. Die Anrechnung der EEG-Umlagenabsenkung auf die Beihilfe in Höhe von 1,37 ct/kWh ist zu niedrig angesetzt. In beiden Fällen ist eine angemessene Beteiligung der Unternehmen am Klimaschutz notwendig. So sollte der Kompensationsgrad stärker gedeckelt und die EEG-Umlagenabsenkung mit 3,15 Cent vollständig von der Beihilfe abgezogen werden. Damit würden die CO2-Preiseinnahmen in Höhe von 10,8 Mrd. Euro angerechnet.

Der Entwurf der Verordnung zeigt, dass die Bundesregierung mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz und seinen dreizehn Verordnungen den Weg des größtmöglichen bürokratischen Aufwandes gewählt hat. Statt Ausnahmen sollten stattdessen Instrumente greifen, welche die Unternehmen bei der Dekarbonisierung unterstützen. Dazu gehören Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference) genauso wie der von der EU-Kommission vorgeschlagene CO2-Grenzausgleich. Zudem sind zeitnah noch genauere Folgenabschätzungen für betroffene Unternehmen einzuholen.“

->Quellen: