EVU kassieren 2,4 Mrd. für Atomausstieg – alle Verfahren erledigt

Zehn Jahre nach Fukushima beendet Regierung Streit mit Kernkraftbetreibern – Greenpeace: „Phantasiezahlungen“

Die Energieversorger EnBW, E.ON/PreussenElektra, RWE und Vattenfall haben sich mit der Bundesregierung im Streit um die Entschädigungen für den  Atomausstieg außergerichtlich geeinigt. Einen entsprechenden Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 04.03.2021bestätigte tags darauf das BMU in einer Medienmitteilung. Um offene Klageverfahren abzuschließen, zahle der Bund  2,4 Milliarden Euro an die EVU. Diese hatten vergeblich dagegen geklagt, ihre Atomkraftwerke vorzeitig vom Netz nehmen zu müssen. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Atomausstieg am 06.12.2016 und 29.09.2020 für rechtmäßig befunden, aber unter anderem Entschädigungen vorgeschlagen.

AKW Isar 2 Ohu – Foto © Dieter Fichtner für Solarify

Die Einigung hat laut BMU „keine Folgen für den Atomausstieg. Es bleibt dabei, dass das letzte deutsche Atomkraftwerk spätestens Ende 2022 vom Netz geht“. Die Bundesrepublik Deutschland zahle von den insgesamt 2,428 Mrd. Euro 1,425 Mrd. an Vattenfall, 880 Mio. an RWE, 80 Mio. an EnBW und 42,5 Mio. an E.ON/PreussenElektra. „Diese Zahlungen dienen einerseits einem Ausgleich für Reststrommengen, welche die Unternehmen nicht mehr in konzerneigenen Anlagen erzeugen können (RWE und Vattenfall), andererseits dem Ausgleich für Investitionen, welche die Unternehmen im Vertrauen auf die 2010 in Kraft getretene Laufzeitverlängerung getätigt hatten, die dann aufgrund der Rücknahme der Laufzeitverlängerung nach den Ereignissen von Fukushima entwertet wurden (EnBW, E.ON/PreussenElektra, RWE).“

Die Eckpunkte sehen ergänzend vor, dass E.ON/PreussenElektra über die Reststrommengen der AKW Krümmel und Brunsbüttel frei verfügen und in ihren konzerneigenen Kraftwerken verstromen kann. Auch dies war zwischen den einzelnen Unternehmen sowie der Bundesregierung umstritten.

Sämtliche anhängigen Klageverfahren werden zurückgenommen

Das BMU weiter: „Im Rahmen der Gesamtverständigung verpflichten sich die Unternehmen, sämtliche anhängigen Klageverfahren zurückzunehmen und auf Klagen oder Rechtsbehelfe gegen die Ausgleichsregelung zu verzichten. Dies umfasst auch das internationale Schiedsverfahren von Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem  International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) der Weltbank in Washington.

Die Eckpunkte stehen derzeit noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Gremien der Unternehmen. Sie werden in den kommenden Tagen detailliert in einem Vertrag geregelt. Die EVU werden kurzfristig die anhängigen Gerichtsverfahren zum Ruhen bringen. Der Vertrag wird dem Deutschen Bundestag zur Kenntnis gegeben. Die endgültige Regelung soll durch ein Gesetz des Deutschen Bundestages (das 18. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes) erfolgen. Sie steht zudem unter dem Vorbehalt der beihilferechtlichen Prüfung durch die Europäische Kommission.“

Finanzminister Scholz wird die Summe an diejenigen AKW-Betreiber überweisen, die ihre Meiler nach dem Fukushima-GAU vorzeitig abschalten mussten. „Damit wird ein Nachtragshaushalt fällig“, stellt die FAZ fest. Denn die Summe vergrößere das Haushaltsdefizit: „Obwohl Scholz eine Nettokreditaufnahme von fast 180 Milliarden Euro eingeplant hat, kommt er damit nicht mehr hin. Der Minister bereitet schon einen Nachtragshaushalt für dieses Jahr vor.“

RWE begrüßt „Lösung nach 10 Jahren“ – Beihilfeprüfung durch die EU-Kommission erforderlich

RWE begrüßt die einvernehmliche Verständigung. Damit liege nach nunmehr 10 Jahren eine Lösung vor, um die vom Bundesverfassungsgericht mehrfach angemahnte Entschädigung der Unternehmen abschließend zu regeln. Die jetzt gefundene Verständigung steht unter dem Vorbehalt einer Umsetzung in entsprechende gesetzliche Regelungen im Atomgesetz und eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen den Betreibern und der Bundesregierung. Zudem ist eine Beihilfeprüfung durch die EU-Kommission erforderlich.

RWE ging es in den Verfahren um die Entschädigung eines Stromkontingents aus dem AKW Mülheim-Kärlich in Höhe von 25,9 Terawattstunden (TWh) sowie um frustrierte Investitionen aus dem 2011 beschlossenen Kernenergieausstieg. Entsprechend der jetzt gefundenen Verständigung ist vorgesehen, dass die Kernkraftwerksbetreiber eine Entschädigung für die nicht mehr nutzbaren Strommengen in Höhe von 33,22 Euro/MWh brutto erhalten. RWE würden zudem rund 20 Millionen Euro frustrierte Investitionen erstattet.

RWE hat in den Gesprächen „konstruktiv zu einer Lösung beigetragen, um eine einvernehmliche und abschließende Regelung zur Entschädigung des beschleunigten Kernenergieausstiegs zu finden, der aus Sicht des Unternehmens unumkehrbar ist. Gleichzeitig sieht RWE in der jetzt gefundenen Verständigung einen wichtigen Schritt, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten herzustellen. Sie ist zudem ein gutes Signal, um das Vertrauen in den Standort Deutschland zu stärken und damit die erheblichen Investitionen, die jetzt in den Umbau des Energiesystems fließen müssen, zu befördern.“

Dazu Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital: “Mit diesem letzten Milliarden-Geschenk der Bundesregierung kann sich  Vattenfall nun doppelt die Taschen füllen. Der Fall Vattenfall unterstreicht die  Problematik internationaler Schiedsgerichte, die als paralleles Rechtssystem die Autorität nationaler Gerichte untergraben. Während das Bundesverfassungsgericht Vattenfall einen fairen Ausgleich für die entgangene Atomstrommenge zugesprochen hat, erzwingen konzernfreundliche Schiedsgerichte Phantasie-Zahlungen in Milliardenhöhe auf Kosten der Allgemeinheit. Intransparente Schiedsverfahren müssen ein Ende haben.” Das BMU selbst auf seiner Webseite: „Aus heutiger Sicht erscheint ein Betrag im oberen dreistelligen Millionenbereich plausibel.“

Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Die offene Frage der Ausgleichszahlungen hat endlich ein Ende gefunden, aber zu einem viel zu hohen Preis. Die Betreiber bekommen jetzt noch Milliarden für ihre alten Akw. Die Entschädigung dürfte deutlich über den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes liegen. Die überzogenen Zahlungen lassen sich nur mit dem gleichzeitig erklärten Klageverzicht vor allem von Vattenfall erklären. Vattenfall hatte parallel zur Verfassungsbeschwerde die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs vor einem privaten Investor-Staat-Schiedsgericht verklagt, dem internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID). Das alles hat einen bitteren Beigeschmack. Der BUND lehnt Handels- und Investitionsschutzabkommen entschieden ab, die Sonderklagerechte für Konzerne enthalten und verfassungsrechtliche Rechtsprechung zu Gunsten von Konzerninteressen unterlaufen können.“

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