F ü r   Bahn-Modernisierung – g e g e n   Kurzstreckenflüge

DUH will regionale Bahninfrastruktur klimafreundlich modernisieren

In der aktuellen Diskussion über Kurzstreckenflüge forderte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) am 17.05.2021 ein Verbot innerdeutscher Flugverbindungen – immer dann, wenn das gleiche Reiseziel  innerhalb von vier Stunden oder weniger mit dem Zug erreicht werden kann. Ein Beispiel hierfür sei die (erst kürzlich ausgebaute) Schnell-Strecke München – Berlin. Allianz pro Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege hat sich für eine neue bahnpolitische Grundausrichtung ausgesprochen.

Hochgeschwindigkeitsstrecke der Bahn München-Berlin neben A9 – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die DUH weist darauf hin, dass mit dem Verbot von Kurzstreckenflügen der Schienenverkehr  aber gerade jenseits der Hochgeschwindigkeitsstrecken beschleunigt elektrifiziert und modernisiert werden müsse. Zudem müsse sichergestellt werden, dass die Bahn eine klimafreundliche Alternative darstelle, indem sie auf zertifizierten Ökostrom aus Deutschland setze und über die Bezugsquellen volle Transparenz herstellt. Die beschleunigte Modernisierung ist nach Ansicht der DUH nur möglich, wenn eine neue Bundesregierung den Mut aufbringt, das Schienennetz aus dem Staatskonzern DB AG in eine eigene Struktur zu überführen.

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Wir erleben seit Jahrzehnten eine systematische Schwächung der Bahn jenseits der profitablen Fernverkehrsverbindungen. Strecken wurden stillgelegt und Güterverladebahnhöfe abgewickelt. Besonders ärgerlich ist die von der Bahn boykottierte Streckenelektrifizierung und Modernisierung der Signaltechnik. Mit aktuell nur 62 Prozent Streckenelektrifizierung liegt Deutschland hinter Ländern wie Portugal und Polen. Wenn es bei der mickrigen jährlichen Elektrifizierungsrate bliebe, die wir aktuell haben, bräuchten wir bis weit nach dem Jahr 2100, um den seit 1990 bestehenden Schweizer Stand von über 99 Prozent elektrifizierten Schienen zu erreichen“.

Das im Koalitionsvertrag verankerte Elektrifizierungsziel der Bundesregierung von 70 Prozent bis 2025 wird nach aktuellem Planungs- und Umsetzungsstand weit verfehlt – auch weil einfache Beschleunigungspotenziale vom zuständigen Verkehrsministerium und der Deutschen Bahn (DB) mutwillig nicht genutzt werden. Das zeigt unter anderem die ernüchternde Bilanz der beiden „Leuchtturmprojekte“ zur beschleunigten Elektrifizierung von Bahnstrecken, die vor einem Jahr gestartet wurden. Im Mai 2021 blieb mit der „Bodenseegürtelbahn“ nur noch eins der Projekte übrig – die seit über 30 Jahren geplante Elektrifizierung einer überregional bedeutsamen Dieseltrasse entlang des wichtigsten Trinkwasserspeichers Mitteleuropas.

„Es ist ernüchternd zu sehen, dass selbst bei einem Projekt wie der Bodenseegürtelbahn, das der Bahnvorstand Dr. Lutz zur Chefsache macht, keinerlei Bereitschaft besteht, die Elektrifizierung und damit Kapazitätserweiterung der Schiene tatsächlich schneller voranzutreiben. Auch eine vereinbarte Folgekommunikation mit dem Vorstand findet nicht statt“, bilanzierte Resch.

Bei der Bodenseegürtelbahn sei die hohe finanzielle Belastung der Kommunen und Landkreise durch die Planungskosten als wichtiger Grund für die Verzögerung identifiziert worden. Obwohl Elektrifizierungsmaßnahmen von Projekten nach Fertigstellung den Wert der bahneigenen Infrastruktur erhöhten, übernehme die Bahn keine Planungs- und Umsetzungskosten. Das Bundesverkehrsministerium habe dies auch in seiner Antwort an die DUH nicht nachvollziehbar begründen können, die sie erst nach 6 Monaten Beantwortungszeit bei der Umweltschutzorganisation einreichte.

„Wir brauchen mehr Verkehr auf der Schiene. Um das zu erreichen, müssen die Kapazitäten deutlich ausgebaut und die Strecken elektrifiziert werden. Die angemessene Beteiligung der Deutschen Bahn an den Planungskosten wurde in diesem Zusammenhang schon 2010 vom Umweltbundesamt gefordert. Eine gerechtere Verteilung der Kosten auf Bund, Länder, Kommunen und Deutsche Bahn wäre eine Beschleunigungsmaßnahme, die sich – dem Leuchtturmgedanken folgend – auf ganz Deutschland übertragen ließe. Damit würde die Verwirklichung von regionalen Elektrifizierungsprojekten deutlich vereinfacht und die Planungszeit deutlich verkürzt“, so Annette Stolle, Stellvertretende Bereichsleiterin Verkehr und Luftreinhaltung bei der DUH.

In den vergangenen zehn Jahren seien nur ganze 65 Kilometer pro Jahr tatsächlich mit Fahrdraht ausgestattet worden. Um das Koalitionsziel der Bundesregierung für 2025 noch zu erreichen, müsste sich die Geschwindigkeit allerdings verachtfachen, das heißt jährlich müssten 570 km Schiene elektrifiziert werden. Dies ist nach Ansicht der DUH ohne eine grundsätzlich neue Ausrichtung im Bundesverkehrsministerium und in der DB AG nicht zu erwarten. Stattdessen würden seit Jahren keine neuen Bahnstrecken eingerichtet, Verladepunkte für den integrierten Verkehr abgebaut und durch die Planungen für den Deutschlandtakt und die damit verbundene Konzentration auf den Fernverkehr ganze Regionen abgehängt. Das entspreche weder den Zusagen der Bundesregierung noch dem aktuellen Gebot der Stunde in Sachen Klimaschutz.

Ökostrom von großer Bedeutung – Herkunft intransparent

Neben der beschleunigten Elektrifizierung ist für den Klimaschutzbeitrag der Deutschen Bahn der Bezug von echtem Ökostrom von großer Bedeutung. Der DB-Konzern wirbt zwar damit, dass die Kunden im Fernverkehr bereits mit 100 Prozent Ökostrom fahren und hat symbolträchtig der ICE-Flotte einen grünen Streifen verpasst. Dem steht jedoch eine völlige Intransparenz bei der Herkunft des Ökostroms gegenüber. So ließ die Deutsche Bahn Fragen der DUH zu den Bezugsquellen für den beworbenen Ökostrom Anfang 2021 offen. Die Deutsche Bahn verwies lediglich auf ihren Integrierten Bericht – der aber ebenfalls keine Transparenz über die Herkunft des Ökostroms herstellt.

Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz der DUH: „Wer mit Ökostrom wirbt, muss auch Fragen zu seiner Herkunft beantworten können. Obwohl sie offensiv mit Ökostrom und einem grünen Fernverkehr wirbt, bleibt die Deutsche Bahn aber konkrete Antworten schuldig. Es ist nicht nachvollziehbar, woher der grüne Strom tatsächlich stammt. Noch nicht einmal die Umetikettierung von Strom mittels so genannter Herkunftsnachweise hat die Deutsche Bahn ausgeschlossen. Hier muss der Konzern dringend nachlegen und jeden Verdacht von Greenwashing und einer Täuschung von Verbraucherinnen und Verbraucher aus der Welt schaffen.“

Zur Beschaffung von Ökostrom haben Unternehmen verschiedene Möglichkeiten. Sie können Ökostrom aus eigenen Anlagen beziehen oder sich einen Bezug über direkte Strombeschaffungsverträge (Power Purchase Agreements, PPAs) sichern. Möglich ist es jedoch auch, mit so genannten Herkunftsnachweisen fossile Strommengen in Ökostrom umzuetikettieren. Dies ist die kostengünstigste Variante und eine weit verbreitete Praxis – bleibt jedoch ohne Ausbauwirkung für Erneuerbare Energien und damit ohne Beitrag zum Klimaschutz. Die DUH lehnt diese Beschaffungsoption deshalb ab.

Hintergrund:

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag von 2017 dazu verpflichtet, den Anteil der mit Oberleitungen ausgestatteten Schienenstrecken bis 2025 um 3.500 km von 60 Prozent auf 70 Prozent zu erhöhen. Das vorrangige Schließen von Elektrifizierungslücken hat besonders viele und rasch erreichbare Vorteile. Zum einen eine Erhöhung der Kapazität der Schiene, weil sofort auf den Einsatz von langsamen und vor allem schmutzigen Dieselzügen verzichtet werden kann, die derzeit aufgrund der fehlenden Abschnitte auch unter Stromleitungen verkehren. Voll elektrifizierte Strecken dienen darüber hinaus der Netzstabilität, weil sie für Nah-, Fern- und Güterzüge nutzbar sind. Damit erhöht sich die Zuverlässigkeit der Schiene und unterstützt die Verlagerung von der Straße auf der Schiene für Personen und Güter.

DUH-DB Leuchtturmprojekt Streckenelektrifizierung

Die am 18.04.2020 final von DUH und DB ausgewählten Strecken sind zunächst die Bodenseegürtelbahn, eine 55 km lange Elektrifizierungslücke mit internationaler Bedeutung für den Zugverkehr zwischen Deutschland und der Schweiz. Zum anderen ist das die insbesondere für den Güterverkehr wichtige Strecke Oldenburg-Osnabrück, mit einer Länge von gut 100 km, die eine Anbindung des Jade-Weser-Hafens an das Ruhrgebiet und die Umfahrung des schon heute stark belasteten Knotens Bremen darstellt. Leider soll die Elektrifizierung dieser wichtigen Güterzugverbindung seitens des Bundesverkehrsministeriums nicht mehr weiterverfolgt werden. Positive Ergebnisse aus diesen beiden Leuchtturmprojekten ließen sich auf ganz Deutschland übertragen. Damit würde sich die Verwirklichung von regionalen Bahninfrastrukturprojekten wie Streckenelektrifizierungen deutlich beschleunigen.

Projekt 1 – Bodenseegürtelbahn

Maßgeblich durch die Bemühungen der DUH in das Projekt aufgenommen wurde die Strecke Radolfzell – Friedrichshafen, die sogenannte Bodenseegürtelbahn. Die DUH setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die Elektrifizierung dieser Strecke ein. Trotz der internationalen Bedeutung als Verbindung zwischen Ulm und Basel wurde die Elektrifizierung der 55 km nie in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen. Stattdessen bemühen sich die beiden betroffenen Landkreise und die an der Trasse liegenden Städte, ihren „Eigenanteil“ zur Finanzierung von 55 und 70 Millionen Euro aufzubringen.

Projekt 2 – Oldenburg-Osnabrück

Die Realisierung der Strecke Osnabrück – Oldenburg ist in weite Ferne gerückt. Die Strecke verfehlte bei der Kosten-Nutzen-Analyse für das Programm Elektrische Güterbahn des Bundesverkehrsministeriums um 0,4 Prozentpunkte die Hürde zur Realisierung. Damit ist eine Elektrifizierung der von der Bahn als Leuchtturm für das Projekt nominierte Strecke faktisch nicht mehr vor 2030 möglich.

Schienenallianz plädiert für neues bahnpolitisches Selbstverständnis

Eisenbahnschiene – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren die Schiene gestärkt. Nun muss sie ein bahnpolitisches Zukunftskonzept entwickeln, um mit der Verkehrswende voranzukommen. Dafür hat sich am 17.05.2021 Dirk Flege, Geschäftsführer des gemeinnützigen Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene ausgesprochen – es gehe um eine neue bahnpolitische Grundausrichtung: „Die Bahnpolitik in Deutschland und Europa ist zu kleinteilig, zu selbstbezogen und blendet nach wie vor die enormen Folgekosten einer straßenorientierten Verkehrspolitik aus“, sagte Flege. „Für ein Jahrzehnt der Schiene und mehr Klimaschutz im Verkehr brauchen wir einen aktiven Staat, der gezielt auf die Schiene setzt, gestaltet und koordiniert und wichtige Rahmenbedingungen festlegt. Die Öffnung der Märkte im Schienenverkehr war richtig, nun muss die Politik das Zusammenspiel im Schienensektor stärken“, so Flege weiter. „Der Markt allein wird es nicht richten.“

Bundesregierung hat Schienenetats deutlich aufgestockt

Ausdrücklich lobte Flege das Bemühen der Politik, die klimafreundliche Schiene zu stärken. „Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren die Schienenetats deutlich aufgestockt und damit wichtige Weichen für einen nachhaltigen Verkehr gestellt.“  Umso wichtiger aber sei, nach diesen ersten Schritten auf dem langen Weg zu einer Verkehrswende ein tragfähiges Zukunftskonzept zu entwickeln. „Wir brauchen mehr denn je ein modernes bahnpolitisches Selbstverständnis.“

System Schiene brauchte eine ordnende Hand

Als ein Beispiel dafür nannte Flege die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung, einer Schlüsseltechnologie für den klimafreundlichen Schienengüterverkehr in Europa. Während beim Lkw-Verkehr jeder Straßentransporteur Innovationen für seinen Fuhrpark realisieren könne, seien die Güterbahnen mit ihren durch ganz Europa zirkulierenden Waggons auf einheitliche Standards angewiesen. „Das System Schiene lebt von der Zusammenarbeit verschiedener Anbieter“, sagte Flege. „Daher muss der Staat als ordnende Hand die für alle geltenden Standards und Normen festlegen.“

Bedarf für aktive staatliche Rolle zeigt sich an vielen Beispielen

Ähnliches gelte für viele andere Aufgaben im Schienensektor. So fehle bis heute eine europaweite Buchungsplattform, um den Reisenden bei grenzüberschreitenden Fahrten den Ticketkauf zu erleichtern. „Noch immer ist es für normale Menschen nahezu unmöglich, ein durchgehendes Ticket zwischen Berlin und Sofia zu kaufen. Die Politik muss dafür sorgen, dass im Sinne der Verbraucherfreundlichkeit die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Eisenbahnunternehmen besser wird.“

Als ein weiteres Beispiel für den Bedarf an einer stärkeren staatlichen Gestaltung führte Flege die E-Mobilität im Schienenpersonennahverkehr an. „Der Bund muss verbindlich sagen, welche nicht elektrifizierten Strecken bis 2030 eine Oberleitung bekommen. Sonst können die Bundesländer keine vernünftigen Ausschreibungen mit alternativen Antrieben planen.“ Auch müsse die Politik bundesweit ein Datum festlegen, ab wann bei Verkehrsverträgen im Schienenpersonennahverkehr keine Neufahrzeuge mit Dieselantrieb mehr auf die Gleise gebracht werden dürfen.

->Quellen und weitere Informationen: