Warten auf den 6. Weltklimabericht

SWR-Klimaexperte Werner Eckert und Autorin Nicole Allé zum kommenden Weltklimabericht des IPCC

Vom 26. Juli – 6. August 2021 soll im Rahmen der 54. Plenarsitzung des Weltklimarats IPCC der Beitrag von Arbeitsgruppe I zum Sechsten IPCC-Sachstandsbericht (AR6) „Naturwissenschaftliche Grundlagen“ verabschiedet werden. Der Bericht einschließlich der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger (Summary for Policymakers, SPM) wird am 09.08.2021 ab 10 Uhr bei einer virtuellen Pressekonferenz vorgestellt. Seit 1990 veröffentlicht das IPCC alle sechs Jahre einen Sachstandsbericht zum Thema Klima. SWR-Experte Werner Eckert erwartet, dass die Datenlage darin noch detaillierter sein und die Wirtschaft noch mehr Druck auf die Politik ausüben wird.

„Nicht revolutionär neu“

Weltweite ‚Warming Stripes‘ – 1850 – 2020-MO – © Ed Hawkins, climate-lab-book.ac.uk, CC BY-SA 4.0

„Man kann davon ausgehen, dass dieser Bericht nicht revolutionär neu ist“, so SWR-Experte Werner Eckert. Die Datenlage aber werde aber immer detaillierter, die Sicherheit der Aussagen wachse. Es sei „gar keine Frage mehr, „dass es den Klimawandel gibt und dass er menschengemacht ist“. Sinn des IPCC-Berichts sei, die Entscheidungen zur künftigen Klimapolitik der Regierungen zu beeinflussen. Die Politiker könnten lediglich bei Schwerpunkten „mitreden“. Bisher habe die Politik zwar nicht so gehandelt, wie es das IPCC empfohlen habe – die Wirtschaft aber erkenne zunehmend das Thema Klimaschutz als Geschäftsfeld, sagte Eckert. „Das treibt möglicherweise die Politik rein praktisch dann noch mehr voran als ein Bericht des Weltklimarats“.

Der erste Band des Sechsten Sachstandsberichts (AR6) wird am 9. August der Öffentlichkeit vorgestellt. Er fasst den aktuellen Stand zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels zusammen – etwa der Erwärmung und ihrer Folgen für Meeresspiegel, Arktis und Extremwetter. Er liefert ebenso einen umfassenden Überblick zu Klimaprojektionen für die Zukunft, möglichen Emissionsszenarien und dem verbleibenden CO2-Budget, um die Ziele des Pariser Abkommens einzuhalten.

Energiezukunft: An der massiven CO2-Reduktion führt kein Weg vorbei

Keine Zeit mehr zum Warten: Wenn wir den menschengemachten Klimawandel nicht stoppen und die CO2-Emissionen konsequent senken, drohen irreversible Kipppunkte im Klimasystem. Im Vorfeld des neuen Weltklimaberichts machen Experten mit Blick auf den aktuellen Forschungsstand deutlich, dass an einer schnellen und konsequenten Absenkung der CO2-Emissionen kein Weg vorbeiführt. Politik und Wirtschaft müssen dringend handeln, schreibt Nicole Allé am 26.07.2021 in Energiezukunft.

Aktionismus und kurzfristige Symptombehandlung nach Katastrophen, anstatt vorsorglich zu handeln und damit nachhaltig – das scheint der Weg der aktuellen Politik zu sein. Nicht 40 Jahre Anti-Atom-Bewegung haben die Abschaltung von Atomkraftwerken in Deutschland letzten Endes bewirkt, sondern ein atomarer GAU in Fukushima, der das damit verbundene Leid und die Zerstörung weltweit in schrecklichen Bildern sichtbar werden ließ. Nun sind es die Bilder von der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands, die verstören, und die Klimapolitik erneut in Frage stellen.

Der galoppierende Klimawandel

„Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich weltweit. Auch in Deutschland, wo erst vergangene Woche eine Starkregenkatastrophe Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz in einem bisher ungekannten Ausmaß heimsuchte“, mahnte Professorin Astrid Kiendler-Scharr während des Pressegesprächs in Berlin zum kommenden Bericht des Weltklimarats IPCC beim Deutschen Klima-Konsortium (DKK). „Solche Extremwetter und ihre verheerenden Folgen für uns Menschen sind mit dem Klimawandel heute schon wahrscheinlicher geworden. Sie mahnen uns, die Klimaziele jetzt wirklich umzusetzen und uns nicht auf einen galoppierenden Klimawandel einzulassen.“

Die Atmosphärenforscherin arbeitet am Forschungszentrum Jülich und ist Vorstandsvorsitzende des Wissenschaftsverbands der Klimaforschungseinrichtungen. Sie nimmt das entscheidende Fazit des Weltklimaberichts vorweg: „Der neue Bericht wird mit umfassenden Ergebnissen der internationalen Klimaforschung untermauern, wie weitreichend und gravierend die Folgen des menschengemachten Klimawandels bereits sind.“

Worum geht es beim IPCC-Weltklimabericht?

Allein ein neuer Bericht wird die Politik nicht ändern – aber im Zusammenhang mit aktuellen klimakrisenbedingten Ereignissen bekommt er doch nochmal eine stärkere Bedeutung und vor allem Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Das schafft immerhin Druck, vor allem im Wahljahr. „Mit Klimamodellen können wir basierend auf naturwissenschaftlichen Gesetzen simulieren, wie sich das Klima auf der Erde in Zukunft entwickeln könnte“, erläutert Professor Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel die Forschungsarbeit. „Und wir sehen auch, dass jetzt sehr gut zutrifft, was die Modelle früher berechnet haben.“

Die unberechenbare Variable in der Modellrechnung – der Mensch

Klimamodelle seien also grundsätzlich sehr verlässlich, sagt Latif, vor allem bezogen auf großräumige Veränderungen. „Dennoch können wir keine Prognose treffen, wie das Klima in der Mitte des Jahrhunderts sein wird. Denn es ist der Mensch, der unberechenbar bleibt. Schaffen wir es, den Ausstoß von Treibhausgasen mit ambitioniertem Klimaschutz schnell zu stoppen oder lassen wir es weiterlaufen?“ Der Mensch sei immer noch der größte Unsicherheitsfaktor im Klimasystem.

Es gibt noch eine Wahl

Deshalb werden im Weltklimabericht verschiedene mögliche Emissionsszenarien aufgefächert und wissenschaftlich bewertet. Die Experten geben im Bericht jedoch keine Handlungsempfehlungen – denn das bleibe im IPCC-Prozess in der Verantwortung von Politik und Gesellschaft.

Was heißt eigentlich Klimaneutralität?

Weltweite Klimaneutralität bis spätestens Mitte des Jahrhunderts sei zentral, damit die Folgen des Klimawandels halbwegs beherrschbar bleiben, versichert das Expertenteam. „Um den Temperaturanstieg zu stoppen und die Risiken für die nächsten Generationen zu verringern, müssen die globalen Treibhausgas-Emissionen in der Gesamtbilanz auf null sinken“, erläuterte Hauke Schmidt vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. „Sogenannte Netto-Null-Emissionen beschreiben als Konzept, dass die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre nicht weiter ansteigt.“

Maßnahmen und Möglichkeiten müssten ausgeschöpft werden, es gibt verschiedene Wege. „Das kann auch erreicht werden, wenn unvermeidbare Emissionen zum Beispiel aus der Landwirtschaft mit negativen Emissionen – also zusätzlichen Senken – ausgeglichen werden“, sagt Schmidt. Beispiele dafür wären Aufforstung oder Speicherung von Kohlendioxid aus der Bioenergieproduktion im Untergrund. Letzteres ist ein umstrittenes Thema mit diversen Fachmeinungen.

Wiederholte Mahnung: CO2-Budget ist begrenzt

Das Wissenschaftsteam macht noch einmal deutlich: „Ob wir die Ziele des Pariser Abkommens erreichen, die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, hängt davon ab, wie viel CO2 die Menschheit noch ausstößt, bevor sie Netto-Null-Emissionen erreicht. Klar ist: Die dafür maximale Menge – das sogenannte CO2-Budget – ist begrenzt.“

„Mir war es als Klimaforscherin wichtig, an der aufwendigen Erstellung des Berichts gemeinsam mit über 230 Kolleginnen und Kollegen aus 66 Ländern mitzuarbeiten, damit die Politik eine aktuelle und solide wissenschaftliche Basis für ihre Entscheidungen hat“, betont Kiendler-Scharr als Leitautorin des sechsten Kapitels zu kurzlebigen Klimaschadstoffen.

Ein halbes Grad Celsius macht einen großen Unterschied

Die Risiken klimabedingter Auswirkungen werden von bei 2 °C höher projiziert als bei einer globalen Erwärmung von 1,5 °C. Laut Modellberechnungen verschiedener Wissenschaftsteams im Weltklimarat werden bei einer zusätzlichen Erwärmung um 0,5 °C Hitzeperioden in den meisten bewohnten Regionen zur Regel, starke Niederschläge in mehreren Regionen oder aber Dürre und Niederschlagsdefizite.

„Die einen fürchten, dass eine ökologischere Politik unseren Wohlstand gefährdet. Die anderen pochen auf Klimaschutz. Dabei zeigt die Flutkatastrophe, dass für solche Debatten keine Zeit mehr bleibt.“ (FAZ vom 26.07.2021)

Die Risiken von Starkniederschlägen werden bei 2 °C höher geschätzt als bei 1,5 °C globaler Erwärmung, vor allem in Regionen der nördlichen Hemisphäre, Als Folge der starken Niederschläge wird prognostiziert, dass der Anteil der globalen Landfläche, der von Hochwassergefahren betroffen ist, bei 2 °C größer ist als bei 1,5 °C der globalen Erwärmung.

Die Instabilität des marinen Eisschildes in der Antarktis und/oder der irreversible Verlust des grönländischen Eisschildes könnten über Hunderte bis Tausende von Jahren zu einem Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter führen. Diese Instabilitäten würden bei einer globalen Erwärmung von etwa 1,5 °C bis 2 °C ausgelöst werden. Ausmaß und Geschwindigkeit dieses Anstiegs werden von zukünftigen Emissionspfaden abhängen, mahnen die Wissenschaftler:innen.

An Land werden die Auswirkungen auf die Biodiversität und die Ökosysteme, einschließlich Artenverlust und Aussterben, bei einer globalen Erwärmung von 1,5 °C voraussichtlich geringer sein als bei 2 °C. Das gelte auch für Auswirkungen anderer biodiversitätsbezogener Risiken wie Waldbrände und die Ausbreitung invasiver Arten.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Verschiebungen

Es wird erwartet, dass Armut und Benachteiligung in einigen Bevölkerungsgruppen mit wachsender globaler Erwärmung zunehmen werden; eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C gegenüber 2 °C könnte die Zahl der Menschen, die sowohl klimabedingten Risiken ausgesetzt als auch armutsanfällig sind, bis 2050 um mehrere hundert Millionen reduzieren.

Jede Zunahme der globalen Erwärmung werde sich voraussichtlich auf die menschliche Gesundheit auswirken, mit hauptsächlich negativen Folgen. Die Risiken durch einige vektorübertragene Krankheiten wie Malaria und Dengue-Fieber würden mit einer Erwärmung von 1,5 auf 2 °C zunehmen, einschließlich möglicher Verschiebungen in ihrer geografischen Reichweite. In der Sahelzone, im südlichen Afrika, im Mittelmeerraum, in Mitteleuropa und im Amazonasgebiet wäre die Verringerung der prognostizierten Nahrungsmittelverfügbarkeit bei 2 °C stärker als bei 1,5 °C globaler Erwärmung.

Abhängig von den zukünftigen sozioökonomischen Bedingungen könnte laut Prognose der Wissenschaftler eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C gegenüber 2 °C den Anteil der Weltbevölkerung, der einer durch den Klimawandel bedingten Zunahme von Wasserstress ausgesetzt ist, halbieren – allerdings mit erheblichen Schwankungen zwischen verschiedenen Regionen.

Auch die Risiken für das globale aggregierte Wirtschaftswachstum aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels wären voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahrhunderts bei 1,5 geringer als bei 2 °C. Bei einer globalen Erwärmung von 1,5 auf 2 °C könnten sich die Risiken in den Sektoren Energie, Ernährung und Wasser räumlich und zeitlich überschneiden, wodurch neue und sich verschärfende Gefahren, Expositionen und Anfälligkeiten entstünden, die eine wachsende Zahl von Menschen und Regionen betreffen könnten.

Empfehlungen machen noch keine Politik

Die insgesamt drei Bände der regelmäßig erscheinenden Sachstandsberichte sind das wichtigste Ergebnis der Arbeit des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) und dienten seit über 30 Jahren als Grundlage der nationalen und internationalen Klimapolitik. Danach gehandelt wird bis heute nicht. Doch angesichts der düsteren Prognosen, die von aktuellen Bildern in den Medien bestätigt werden, seien es Flutopfer hierzulande oder Hungernde im fernen Madagaskar – muss die Politik jetzt entschieden handeln. na

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