Wissenschaftler empfehlen Förderstopp für ineffiziente kleine Wasserkraftanlagen

Wissenschaftliches Memorandum „Energiewende nicht auf Kosten der aquatischen Biodiversität“ – Betreiber widersprechen

65 Fachwissenschaftler aus 30 wissenschaftlichen Institutionen empfehlen der Bundespolitik in einer vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme dringend, die Förderung von ineffizienten Kleinwasserkraftwerken aus EEG- oder Steuermitteln zu beenden. Sollte die Politik darüber hinaus größere Wasserkraftwerke weiterhin fördern wollen, raten die Experten dazu, dies von der ökologischen Durchgängigkeit der Anlagen und der konsequenten Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben wie z.B. dem Wasserhaushaltsgesetz abhängig zu machen. In dem wissenschaftlichen Memorandum „Energiewende nicht auf Kosten der aquatischen Biodiversität“ betonen die Fachwissenschaftler, dass die Wasserkraftnutzung unstrittig einen wesentlichen Grund dafür darstelle, weshalb Deutschland verbindliche Umweltziele im europäischen Biodiversitäts- und Gewässerschutz verfehle, z.B. die der EG-Wasserrahmenrichtlinie und der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Sie empfehlen daher sieben umweltpolitische Initiativen, um die Wasserkraftnutzung mit den gesetzlichen Zielen des Gewässer- und Biodiversitätsschutzes zu harmonisieren und so Zielkonflikte zwischen Klima- und Biodiversitätsschutz zu entschärfen. Der Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke und Wasserkraftverbände sowie Arbeitsgemeinschaften der Bundesländer sprachen sich gegen das Memorandum aus.

Kleinwasserkraftwerk Buchholz, Schweiz – Foto © Quadra7677, eig. Werk, commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

„Wasserkraft ist zwar erneuerbar, aber nicht unbedingt umweltfreundlich“, unterstreicht IGB-Wissenschaftler Martin Pusch, der das institutionsübergreifende Memorandum der Fachwissenschaftler koordiniert hat. „Grundsätzlich beeinträchtigen alle Wasserkraftwerke den ökologischen Zustand der genutzten Bäche und Flüsse erheblich. Extrem ist dies jedoch bei der Kleinwasserkraft der Fall: Hier steht der geringe gesellschaftliche Nutzen durch wenig Stromerzeugung den hohen ökologischen Kosten durch massive Umweltschäden gegenüber. Die Umweltbilanz von Kleinwasserkraftwerken ist daher eindeutig stark negativ“, so Pusch.

Kleinwasserkraftanlagen mit negativer Umweltbilanz – Rückbau würde wichtige Ökosystemleistungen zurückbringen

Die Wissenschaftler aus den 30 verschiedenen Forschungsorganisationen kommen daher zu dem einhelligen Schluss, dass die öffentliche Unterstützung von Kleinwasserkraftanlagen über Umlagen oder Förderungen umweltschädlich, im Sinne der Energiewende ineffizient und makroökonomisch unwirtschaftlich sei. Die über 7.800 Kleinwasserkraftwerke in Deutschland mit weniger als einem Megawatt Maximalleistung hätten 2020 kaum 0,5 Prozent zur deutschen Stromproduktion beigetragen, sie seien daher für Klimaschutz und Energiewende unbedeutend. Durch ihre hohe Zahl belasteten sie den ökologischen Zustand von etwa einem Drittel der deutschen Fließgewässer jedoch gravierend. Gefördert werden sollten stattdessen Stilllegung und Rückbau dieser Kleinwasserkraftanlagen. Wichtige Ökosystemleistungen der Gewässer für Umwelt und Gesellschaft wie zum Beispiel natürlicher Hochwasserschutz, stabiler Landschaftswasserhaushalt, Selbstreinigung, Kühlwirkung und wassergebundene Naherholung könnten so wiederhergestellt werden. Dies sei insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden Folgen des Klimawandels von hoher Bedeutung und stärke die natürliche Widerstandskraft der Gewässer.

Förderung großer Wasserkraftanlagen sollte von verbindlicher Einhaltung ökologischer Standards abhängen

Dem Memorandum zufolge haben alle rund 8.300 Wasserkraftwerke in Deutschland 2020 nur 3,3 Prozent zur gesamten deutschen und nur 8 Prozent zur regenerativen Stromproduktion beigetragen. Zudem könne auch bei großen Wasserkraftwerken weder verhindert noch kompensiert werden, dass auch weit flussaufwärts und flussabwärts des Staudamms ökologisch wertvoller Flusslebensraum verloren gehe. Der künstliche Aufstau führe zur Erwärmung, Algenentwicklung sowie Schlammbildung und halte gröberes Flusssediment zurück. Dieses Sediment fehle dann flussabwärts, das fördere auch die Tiefenerosion langer Bach- und Flussabschnitte. Außerdem emittierten aufgestaute Gewässer infolge der Verschlammung erhebliche Mengen des besonders klimaschädlichen Gases Methan.

Sollte die Politik größere Wasserkraftwerke mit mehr als einem Megawatt Maximalleistung trotz der bestehenden Problematiken weiter aus Steuermitteln, Umlagen oder ähnlichen Modellen fördern wollen, müsse bei allen Anlagen jeweils überprüft werden, ob diese nicht wichtigen gesetzlichen Naturschutzzielen von nationaler und europäischer Bedeutung entgegenständen. Ebenso müssten bereits bestehende, gesetzliche Umweltstandards wie ökologische Durchgängigkeit und angemessene Mindestwasserführung konsequent und verbindlich eingehalten werden, schlussfolgern die Fachwissenschaftler. Dies gelte insbesondere auch für ältere Anlagen mit langjährigen Genehmigungen.

Wanderfische durch die Wasserkraft besonders bedroht – regionales Aussterben möglich

Durch die Wasserkraft und ihre Folgen besonders gefährdet seien Fische, vor allem ökologische „Schirmarten“ wie Aal, Lachs, Huchen, Maifisch, Meerforelle, Schnäpel oder Stör. Die im Rahmen ihrer Lebenszyklen wandernden Fischarten könnten die Wehre und Staudämme von Wasserkraftanlagen häufig nicht überwinden, weil geeignete und ausreichend groß dimensionierte Wanderhilfen für den Fischauf- und -abstieg fehlten. Zudem erlitten viele Fische bei der Abwanderung wegen unzureichender Schutzeinrichtungen an den Turbinen der Wasserkraftwerke schwere äußere und innere Verletzungen, oft mit Todesfolge. Die Unerreichbarkeit wichtiger Lebensräume und die hohe Tötungsrate könnten so auch zu ihrem regionalen Aussterben führen. „Öffentlich geförderte und auch ehrenamtlich getragene Wiederansiedlungsbemühungen und Schutzprogramme für vom Aussterben bedrohte Arten werden so konterkariert“, folgert Pusch. Die genannten Wanderfischarten stünden laut der Autor*innen stellvertretend für die Lebensraumbedarfe der reichen Flora und Fauna der Binnengewässer und Flussauen. Diese Lebensräume seien zwar Hotspots der Biodiversität, jedoch bereits sehr intensiv genutzt und dadurch stark bedroht. „Daher sind viele im Wasser lebende Tier- und Pflanzenarten von der Wasserkraftnutzung betroffen, die im Gegensatz zu vielen terrestrischen ihren aktuellen Lebensraum nicht verlassen und so Gefahren kaum ausweichen können“, betont Martin Pusch. Daher sei eine Harmonisierung der Gesetzgebung im Falle der Wasserkraft insgesamt besonders drängend.

Forderung nach Rückbau von Wasserkraftanlagen läuft ins Leere – Als bewährte Säule des Klimaschutzes und der Energiewende leisten Wasserkraftanlagen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Artenschutz

In dem „Memorandum zum politischen Zielkonflikt Klimaschutz versus Biodiversitätsschutz bei der Wasserkraft“ wird die Beendigung der Förderung der Stromerzeugung aus kleinen Wasserkraftanlagen gefordert. Dem entgegnete Hans-Peter Lang, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Wasserkraftwerke (BDW) e.V. am 05.11.2021 in einer als E-Mail versandten Medienmitteilung: „Klimaschutz ist die Grundvoraussetzung für Umwelt- und Artenschutz. Die rund 8.300 Wasserkraftanlagen in Deutschland sind eine bedeutende Säule des Klimaschutzes, sie leisten einen wichtigen Beitrag zur CO2-Reduktion und zur versorgungssicheren Energiewende in Deutschland.“

Der prozentuale Anteil der im Memorandum genannten 3,3 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland sei differenziert zu betrachten. In einigen Bundesländern liege er deutlich höher, so zum Beispiel in Bayern, wo die Wasserkraftanlagen 16 Prozent des im Bundesland benötigten Stroms erzeugten. Daneben komme es gerade nicht auf das absolute Maß der Stromeinspeisung an, sondern auf die Diversifizierung und Dezentralisierung der Energieerzeugung als Vorbeugung gegen den Klimawandel. „Die Wasserkraft hat mit ihrer grundlastfähigen, zuverlässigen und planbaren Produktion eine hohe Lieferqualität, was für eine erfolgreiche Energiewende unerlässlich ist“, betonte Lang.

Der bloße Blick auf Leistung und Kilowattstunde werde der Bedeutung der Wasserkraft für die qualitativen Aspekte wie Netzstabilität und Systemdienstleistungen nicht gerecht. Tatsächlich sei die Intention des Memorandums nicht nachvollziehbar. An gerade einmal 13 Prozent aller Querbauwerke in der Bundesrepublik finde eine Wasserkraftnutzung statt. Die Fokussierung auf die kleine Wasserkraft lasse die komplexen Einflüsse der seit Jahrhunderten bestehenden urbanen Überprägung der deutschen Flüsse völlig außer Betracht. Auch die Wasserrahmenrichtlinie bezwecke nicht die Herstellung vollkommen unbeeinflusster Gewässer, sondern fordere eine standörtliche und ausgewogene Gewässerbewirtschaftung.

Selbst bei der Entfernung einer Wasserkraftanlage bleibe das Querbauwerk in den meisten Fällen aus Gründen des Hochwasserschutzes und der Gewässerregulierung erhalten. Die Forderung nach Abriss der Wasserkraftanlagen laufe daher praktisch ins Leere. Dies zeige auch den mehrheitlich rein biologischen Blick der Unterzeichner auf die Gewässer. Wichtige Aspekte wie Wasserwirtschaft, Energieerzeugung, Gewässerbau und Gewässerentwicklung seien komplett außen vor gelassen worden. Angesichts der Dürren der vergangenen Jahre müsse die Rolle der Wasserkraftnutzung auch in einem System der Erhaltung des Umwelt- und Artenschutzes neu gedacht werden.

Auch das Jahrhunderthochwasser in einigen Regionen im Westen Deutschlands erfordere einen neuen Blick auf die Stauhaltungen, da sie verhindern, dass das Wasser bei heftigen Niederschlägen die Gewässer in extremer Geschwindigkeit herunterrausche. Synergien und Potenziale zur Wasserkraftnutzung und deren Einbindung in ökologische Strategien seien möglich und sollten das Ziel eines ganzheitlichen Umwelt- und Klimaschutzes sein.

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