Klimaschutz für deutsche Industrie immer wichtigeres Thema

Aus unterschiedlichen Motivationen setzen immer mehr Unternehmen in Produktion und Logistik auf CO2-Neutralität

Industrieunternehmen geraten zunehmend ins Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und sozialer Verantwortung einerseits und ökonomischem Erfolg andererseits. Dabei spielt der Klimaschutz eine immer wichtigere Rolle. Im bisherigen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie werden von der neuen Bundesregierung nun Wirtschaft und Klima zusammengeführt. Das trägt für Prof. Karsten Kieckhäfer von der FernUniversität in Hagen der Tatsache Rechnung, „dass Klimaschutz heute ein wichtiger Faktor in der Wirtschaft ist“.

Die falschen Zahlen und Zeitpunkte im Blick – Zwischen der Erderwärmung und dem Ausstoß von Treibhausgasen besteht ein direkter Zusammenhang: Dampf und Rauch (sichtbar) und CO2 (unsichtbar) im Berliner Norden – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Kieckhäfer ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik und zugleich stellvertretender Direktor des Forschungsschwerpunkts Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Management von Lieferketten (Supply-Chain-Management) und dem Nachhaltigkeitsmanagement: Insbesondere Produktion und Logistik haben großen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, verbrauchen aber gleichzeitig viele fossile Rohstoffe und emittieren große Mengen an Treibhausgasen.

Bisher haben große Teile der Politik und viele Unternehmen vor allem das Erreichen von Reduktionszielen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Auge: Wie viel Prozent der schädlichen Treibhausgase können eingespart werden? Wann sind wir klimaneutral?

„Wichtig ist, die verbleibenden CO2-Budgets im Blick zu haben und nicht auf ein bestimmtes Datum für die CO2-Neutralität fixiert zu sein“, fordert Kieckhäfer. „Das gilt für Staaten und für Unternehmen.“ Die Budgets zeigen, wie viel CO2 (Kohlendioxid) die Welt, ein Staat oder ein Unternehmen noch ausstoßen darf, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 1,5 Grad Celsius Erderwärmung erreichen zu können. Das deutsche Budget wird bereits um 2025 aufgebraucht sein, „wenn wir weiter wie bisher leben und arbeiten“. An der Glasgower UN-Klimakonferenz kritisiert Kieckhäfer vor allem, dass auch weiterhin Reduktionsziele und Jahreszahlen im Mittelpunkt stehen und nicht die CO2-Budgets: „Ganz abgesehen davon, dass eine Umsetzung vielfach noch aussteht. Die allermeisten Ziele und Maßnahmen reichen noch nicht aus – gleich, ob wir die politischen Beschlüsse sehen oder unternehmerische Anstrengungen.

Unterschiedliche Einsparungsmotive

Bei den Unternehmen erkennt er verschiedene Motive für die steigende Tendenz, Treibhausgase einzusparen. Etwa ökonomische Überlegungen: Ein steigende Energie- und Ressourceneffizienz spart Kosten; auf der Umsatzseite kann der Markt honorieren, dass Klimaschutz ein Unternehmensziel ist.

Wirkung zeigt ganz sicher auch „regulatorischer Druck“: Für die Automobilindustrie gibt es zum Beispiel bereits seit knapp zehn Jahren Vorgaben für die Flottenemissionen. Zudem kann es das Image schädigen, wenn bekannt wird, dass Unternehmen klimaschützende Vorgaben nicht einhalten.

Ein wirtschaftliches Motiv kann auch sein, dass Wettbewerber sich erfolgreich neue Kundenkreise erschließen, etwa durch die Produktion von E-Autos: „Tesla ist höchst erfolgreich und die anderen Hersteller haben Angst, den Anschluss zu verlieren. Daher bauen sie ebenfalls E-Autos.“ Zudem bedeutet Klimaschutz ein effektives Risikomanagement.

Auch aus Überzeugung wollen einige Unternehmen nachhaltiger produzieren. Pauschal können man jedoch nicht sagen, welche Unternehmen – kleine, innovative, Großkonzerne – besonders motiviert sind, so Kieckhäfer. Die von ihm genannte Spanne reicht aber vom Versandhandel über Kaffeeröster und Kleidungsproduzenten bis zur Bank. Einige Unternehmen setzen sich sogar ehrgeizigere Ziele, als die Politik vorsieht. „Das erhöht den Druck auf die Politik, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen.“

Emissionen bilanzieren

Ein wichtiger Schlüssel auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Bilanzierung von Treibhausgas-Emissionen gemäß Greenhouse-Gas-Protocol. Dieses unterteilt die Emissionen eines Unternehmens in drei Bereiche (Scopes):

CO2-Budgets

Zwischen der Erderwärmung und dem Ausstoß von Treibhausgasen besteht ein direkter Zusammenhang. Daher lässt sich errechnen, wie viele Emissionen noch ausgestoßen werden können, um die Erwärmung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein gewisses Niveau zu begrenzen. Um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, dürfen nach einer Berechnung des Weltklimarats IPCC nur noch 400 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dieses Ziel zu erreichen, beträgt 67 Prozent. Soll sie auf 83 Prozent steigen, dürfen es nur noch 300 Gigatonnen sein.

Eine andere Berechnung kommt für Deutschland auf ein CO2-Budget von rund 4,4 Milliarden Tonnen (bzw. 3,3 Milliarden Tonnen bei höherer Wahrscheinlichkeit). Der gesamte Treibhausgas-Ausstoß Deutschlands lag 2020 bei 0,740 Milliarden Tonnen.

  • Scope 1 bezieht sich auf die direkten Emissionen eines Unternehmens. Sie entstehen durch die Verbrennung fossiler Energieträger durch das Unternehmen. Eine Quelle dieser Emissionen ist der Fuhrpark. Große Industriebetriebe betreiben zudem eigene Kraftwerke und können ihre Emissionen beeinflussen, etwa indem sie wie Volkswagen in Wolfsburg Kohle durch Erdgas ersetzen.
  • Unter Scope 2 werden alle indirekten Emissionen bilanziert, die durch außerhalb erzeugte und eingekaufte Energie entstehen.
  • Dem Scope 3 sind alle sonstigen indirekten Emissionen zuzuordnen, die durch externe Produktion, Nutzung und Entsorgung anfallen.

Für viele Unternehmen entstehen die meisten Emissionen in Scope 3: Deswegen können Lieferanten von ihren Kunden Klimaziele vorgegeben bekommen, die diese oft rigide durchsetzen, um ihre Bilanz zu verbessern. So verpflichten viele Autohersteller ihre Lieferanten, die Produkte ab einem bestimmten Datum klimaneutral zu produzieren. Die Lieferanten müssen gegebenenfalls ihre Produktion umstellen und sogar ihre eigenen Lieferanten zu niedrigeren Emissionen zwingen: „Tesla kann relativ problemlos seine Scopes 1 und 2 verbessern, für die Lieferanten ist dies jedoch oftmals nicht so einfach“, merkt Kieckhäfer an.

Zudem widerspricht Druck dem Grundgedanken des Supply-Chain-Managements – der Partnerschaft auf Augenhöhe. Kieckhäfer bedauert: „Beim CO2 gibt es oftmals keine ernsthafte Zusammenarbeit. Das Problem ist, wie die Last in einer Lieferkette verteilt werden soll, um schnellstmöglich eine Reduktion zu erreichen bei gleichzeitig günstigsten Kosten für die gesamte Supply Chain.“

Recyclen, wo es möglich ist

Im Hinblick auf die Vermeidung von CO2 bietet sich das Recyceln an, um den Energieeinsatz zu reduzieren. Um ihr Geschäftsmodell nicht zu gefährden, können Lieferanten zum Beispiel Strom statt aus fossilen aus erneuerbaren Quellen beziehen oder selbst produzieren. Beides ist heute noch teuer. Kieckhäfer: „Ich hoffe sehr, dass sich das ändert.“ Noch komplizierter ist es, den Wärmebedarf CO2-neutral zu decken. Das bringt insbesondere Industrien mit hohem Energiebedarf – unter anderem Baustoff-, Chemie-, Glas-, Metall-, Papier- und vor allem Stahlbranche – in Schwierigkeiten. Die besonders energieintensive Stahlproduktion mit „grünem“ Wasserstoff steckt aber noch in der Experimentierphase. Zusätzlich können durch Effizienzsteigerungen weiterhin Energie und damit Emissionen eingespart werden. Auch Recyceln ist eine Alternative. „Vor allem Schrottverwertung kann den Energieeinsatz erheblich reduzieren.“

CO2-neutrale Gestaltung von Produktionssystemen

Die Forschungsgruppe MaxFab, an der Prof. Kieckhäfer mitwirkt, befasst sich auch mit Fragestellungen der Produktionsplanung und -steuerung im Zusammenspiel mit dem Energiesystem.

Es gibt aber auch Möglichkeiten auf der planerischen Ebene. Kieckhäfer und seine Mitarbeitenden unterstützen Unternehmen bei der CO2-neutralen Gestaltung von Produktionssystemen an einzelnen Standorten. Zudem befasst sich die Forschungsgruppe MaxFab – Management Energieflexibler Fabriken, an der Kieckhäfer mitwirkt, unter anderem mit Fragestellungen der Produktionsplanung und -steuerung im Zusammenspiel mit dem Energiesystem. Die Forschungsgruppe ist im Forschungsschwerpunkt Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit (E/U/N) der FernUniversität verankert.

Ist die Industrie auf einem guten Weg? Ist es „gut“ genug, wenn der Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad Celsius begrenzt werden kann? Klar ist: Je höher der Anstieg ist, desto größer sind die Auswirkungen auf die Gesundheit, das Öko-System insgesamt und letztendlich auch auf die Wirtschaft. „Insofern sollten wir alles tun, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Stand heute muss aber leider davon ausgegangen werden, dass der Temperaturanstieg höher ausfällt.“

Klimaschutz ist nur eins der Nachhaltigkeitsprobleme

„Bei aller Bedeutung des Klimaschutzes dürfen wir aber nicht andere wichtige Fragestellungen einer nachhaltigen Entwicklung aus dem Auge verlieren“, mahnt Kieckhäfer. Auch weitere Umweltprobleme wie die sinkende Biodiversität sowie soziale Probleme in globalen Lieferketten, zum Beispiel Kinderarbeit, Lohndumping und die Gesundheitsgefährdung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, müssen gelöst werden.

->Quelle: fernuni-hagen.de/klimaschutz-fuer-deutsche-industrie-immer-wichtigeres-thema