Ausbau der Erneuerbaren gefährdet?

Sinkende Förderungen, steigende Zinssätze und CO2-Preise könnten bremsen

Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der ETH Zürich in der Schweiz  stellen in einer Untersuchung die verbreitete Vorstellung einer kontinuierlichen Senkung der Kosten für erneuerbare Energien infolge steigender Zinssätze und höherer CO2-Preise in Frage. Sie wenden in einem am 09.03.2022 in Nature Energy veröffentlichten Artikel „Safeguarding the energy transition against political backlash to carbon markets“ (Sicherung der Energiewende gegen politische Gegenreaktionen auf die Kohlenstoffmärkte) ihre Analyse auf das Emissionshandelssystem (ETS) der Europäischen Union an – ein Szenario, in dem die Zinssätze bis 5 Prozent steigen könnten und die öffentlichen Anreize für erneuerbare Energien allmählich auslaufen würden.

EE-Ausbau in Gefahr? – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify jpg

Dies könnte zu einem Verlust von 536 GW an neuen Kapazitäten für erneuerbare Energien führen, verglichen mit einem Szenario, in dem die Zinssätze auf dem derzeitigen Niveau bleiben – wie Emiliano Bellini im Portal pv magazine schreibt. Die ständige Verringerung der öffentlichen Unterstützung und die Vorstellung einer völlig förderfreien Ära für erneuerbare Energien durch die Regierungen in der Europäischen Union könnten den Sektor der erneuerbaren Energien dem Risiko einer politischen Gegenreaktion aussetzen – vor allem jetzt, da die Zinssätze zu steigen scheinen und sich die CO2-Preise beträchtlich erhöhen.

„Der Anstieg der CO2-Preise insbesondere in der EU im vergangenen Jahr hat in der Tat die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien erheblich gesteigert und damit die politischen Kosten für ihren Einsatz noch weiter gesenkt“, erklärte Michael Pahle (PIK) auf Anfrage von pv magazine. „Aber mit zunehmendem Anteil der erneuerbaren Energien wird der CO2-Preis immer mehr von ihren Investitionskosten abhängen, und bestimmte Faktoren könnten den derzeitigen Trend eines anhaltenden Rückgangs dieser Kosten umkehren.“

In ihrem Artikel erklärten die Wissenschaftler, der Übergang von Förderungen zu Kohlenstoffpreisen stehe in vielen Märkten für erneuerbare Energien unmittelbar bevor und die Zinssätze in ganz Europa stiegen an. Beides zusammen könnte die Wettbewerbsfähigkeit von Photovoltaik und Windkraft und anderen erneuerbaren Energien beeinträchtigen und den fossilen Brennstoffen in diesem Jahrzehnt mehr Luft zum Atmen bieten, argumentierten sie.

Emissionshandelssysteme funktionieren nur, wenn vernünftige Obergrenze für Emissionen festgelegt werde

Emissionshandelssysteme könnten nur dann richtig funktionieren, wenn eine vernünftige Obergrenze für Emissionen festgelegt werde und politisch aufrechterhalten werden könne, selbst wenn die Preise stark stiegen. Dieser Trend bedeute aber, dass die Emissionsobergrenze durch die Zuführung zusätzlicher Zertifikate aufgeweicht werde, was auf eine mögliche Störung des Ausbaus der erneuerbaren Energien hinweise: „Der Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit aufgrund dieser beiden Effekte bedeutet, dass der Preis für die Zertifikate im ETS in absoluten Zahlen schneller steigt und in der späteren Phase die Kurve abflachen wird“. DIeser Preisverlauf werde in der wissenschaftlichen Literatur als „hockeyschlägerförmig“ beschrieben.

„Obwohl diese Reform nur eine Verschärfung der Obergrenze durch die Löschung von Zertifikaten durch die MSR beinhaltet, könnte eine zukünftige Reform auch in die entgegengesetzte Richtung gehen: eine Zuführung zusätzlicher Zertifikate durch die MSR, das heißt eine Aufweichung der Obergrenze“, so die Wissenschaftler. Sie skizzierten zwei verschiedene Szenarien. Das erste war ein Szenario mit niedrigem Abzinsungssatz (LoDR), bei dem die Zinssätze auf dem derzeitigen Niveau von etwa 0 Prozent bleiben und erneuerbare Energien weiterhin durch staatliche Maßnahmen unterstützt werden. Das zweite Szenario war ein Szenario mit hohen Abzinsungssätzen (HiDR), bei dem die Abzinsungssätze um bis zu 5 Prozent steigen könnten und die öffentlichen Anreize für erneuerbare Energien schrittweise abgebaut würden.

Zubauverzögerung von etwa sieben Jahren?

„Bis 2035 ist die Kapazität der erneuerbaren Energien im LoDR-Szenario (1.447 Gigawatt) um 536 Gigawatt höher als im HiDR-Szenario (911 Gigawatt)“, so die Wissenschaftler. Mit anderen Worten: Das Niveau, das im Hochzins-Szenario bis 2035 erreicht wird, ist im Niedrigzins-Szenario bereits um das Jahr 2028 erreicht, was eine „Zubauverzögerung“ von etwa sieben Jahren zwischen den beiden Szenarien bedeutet. Die derzeitigen Trends niedriger Zinssätze und sinkender Technologiekosten tragen wenig zur Klärung der künftigen Entwicklung der europäischen Energielandschaft bei.

„Bei einem solchen Ansatz wird übersehen, dass das letzte Jahrzehnt in Bezug auf niedrige und stabile Zinssätze wirklich außergewöhnlich war und sich die Bedingungen zwangsläufig ändern werden“, warnten die Autoren des Papiers. „Dementsprechend könnte sich das Blatt gegen die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien wenden, was durch das Auslaufen der Politik für erneuerbare Energien noch verschärft werden würde. In Kombination könnte dies die Preise für Emissionszertifikate auf ein Niveau treiben, das politische Gegenreaktionen auslöst und zu einer Aufweichung der Obergrenze führt“.

Aus dem Abstract in nature

Die Kohlenstoffmärkte sollen wirtschaftliche Anreize für den weiteren Ausbau der EE schaffen. Dabei wird jedoch übersehen, dass es zu wesentlich höheren Finanzierungskosten führen würde, wenn die EE den Marktrisiken und steigenden Zinssätzen ausgesetzt würden. Das wiederum würde aber zu einem viel steileren Kohlenstoffpreispfad führen. Der daraus resultierende politische Druck könnte einen preisdrückenden regulatorischen Eingriff provozieren, der den weiteren Ausbau der EE unterbricht. Die Autoren leiten daraus Indikatoren für das Risiko eines solchen Eingriffs ab. Bei der Quantifizierung dieser Indikatoren für die Europäische Union stellen sie fest, dass erhöhte Finanzierungskosten langfristig zu einer Verdoppelung der Kohlenstoffpreise, einer Halbierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien in den nächsten 15 Jahren und zu einer beträchtlichen Steigerung der Gewinne von Anlagen für fossile Brennstoffe führen könnten. Dies berge ein erhebliches Risiko von Rückschlägen, vor denen sich die politischen Entscheidungsträger schützen sollten.

Die Wissenschaftler schlagen abschließend vor, die Politik zur Förderung erneuerbarer Energien nicht „in der jetzigen Form“ fortzusetzen, da sie ihr Hauptziel, die wirtschaftliche und technologische Reife sauberer Energiequellen zu fördern, bereits erreicht habe. Stattdessen schlugen sie „De-Risking-Maßnahmen“ vor, die die Nachteile des Marktrisikos und eines Anstiegs des allgemeinen Zinssatzes auffangen. Allerdings sollten die Anreize für saubere Energien gegenüber dem derzeitigen Niveau reduziert werden, und es sollte genauer untersucht werden, wie sich die Dynamik der Kohlenstoffpreise auf das politische Feedback auswirkt.

„Diese Arbeit unterstreicht, dass politische Entscheidungsträger und Forscher sich nicht zu der Annahme verleiten lassen sollten, dass die Energiewende aufgrund der sinkenden Kosten für erneuerbare Energietechnologien nun sicher ist und dass die Kohlenstoffmärkte Anreize für den Einsatz erneuerbarer Energien schaffen werden“, so die Wissenschaftler.

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