Freispruch im Südtiroler Pestizidprozess

SLAPP nach zwei Jahren abgeschmettert

Der sechste Verhandlungstag im Südtiroler Pestizidprozess brachte am 06.05.2022 das lang erwartete Urteil: Das Landesgericht Bozen hat Karl Bär vom Münchner Umweltinstitut von allen Vorwürfen freigesprochen. „So endet die Klage mit einem wegweisenden Sieg für die Informations- und Meinungsfreiheit“. Man könne es „selbst noch kaum glauben: Nach zwei Jahren ist der Südtiroler Pestizidprozess Geschichte!“ so eine Medienmitteilung des Öko-Instituts. Bereits im Januar war der letzte der 1376 Strafanträge zurückgezogen worden, nun hatte die Staatsanwaltschaft eine Änderung der Anklage beantragt, durch die auch der noch im Raum stehende Vorwurf (der Markenfälschung) hinfällig wurde.

Äpfel – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Mit dem Freispruch ist der Versuch der Südtiroler Landesregierung und der Obstlobby, Kritik am Pestizideinsatz juristisch zu unterbinden, endgültig gescheitert. „Dass Südtirol ein Pestizidproblem hat, ist eine Wahrheit, die auszusprechen uns niemand verbieten kann“. Damit sei das Urteil wegweisend für Menschen in ganz Europa, die sich für eine gesunde Umwelt einsetzen und dafür juristisch angegriffen werden. Erst vor zwei Wochen hat die EU-Kommission einen Vorschlag für ein weitreichendes Gesetz gegen Einschüchterungsklagen – sogenannte SLAPPs (strategic lawsuits aganst public participation) – vorgelegt.

Mehr in der aktuellen Meldung des Öko-Instituts darüber, wie es überhaupt zum Prozess kam, und wie die Umweltschützer in den vergangenen Jahren gegen die juristische Attacke gekämpft haben.

 Vor Gericht wegen Pestizidkritik

Am 15.09.2020 musste Karl Bär, damals Referent für Agrarpolitik am Öko-Institut (derzeit freigestellt zur Wahrnehmung seines Bundestagsmandats) zum ersten Mal auf der Anklagebank Platz nehmen und sich gegen den Vorwurf der üblen Nachrede zum Schaden der Südtiroler Landwirtschaft und der Markenfälschung verteidigen. Der Hintergrund: eine satirische „Pestizidtirol“-Kampagne aus dem Jahr 2017, mit der das Öko-Institut die Öffentlichkeit auf den hohen Pestizideinsatz im Südtiroler Apfelanbau aufmerksam machen wollte. Auf die Kritik an der umwelt- und gesundheitsschädlichen Praxis reagierte der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler damals nicht, indem er den Dialog mit den Kritikern suchte. Stattdessen brachte er 1.375 Obstbäuerinnen und Obstbauern aus der Region dazu, sich seiner Klage anzuschließen.

Aus Südtirol wird „Pestizidtirol“

Die juristische Attacke gegen das Umweltinstitut war dabei nicht die erste, mit der die Südtiroler Landesregierung und die dortige Obstlobby Kritiker zum Schweigen bringen wollten. Auch die lokalen Aktivisten aus Mals, einer kleinen Gemeinde im Vinschgau, die sich 2014 per Bürgerentscheid zur ersten pestizidfreien Gemeinde Europas erklären wollten – sollten mit Klagen und anderen Schikanen eingeschüchtert werden. Der Einsatz der Malser war auch der Hintergrund für die „Pestizidtirol“-Kampagne. Nachdem die Südtiroler Landesregierung und die dortige Obstlobby nichts unversucht ließen, um das Referendum in Mals zum Scheitern zu bringen, beschlossen die Münchner, auch die deutsche Öffentlichkeit über den  hohen Pestizideinsatz in den Südtiroler Obstplantagen aufzuklären.

Unser Kampf gegen die SLAPP-Ohrfeige

Bei der Klage aus Südtirol handelte es sich um einen klassischen SLAPP: Die Abkürzung steht für „Strategic Lawsuit against Public Participation“ und bezeichnet missbräuchliche Klagen, die darauf ausgelegt sind, kritische Äußerungen von öffentlichem Interesse zu unterdrücken und diejenigen, die sie vorbringen, juristisch zum Schweigen zu bringen. Aus der Medienmitteilung des Öko-Instituts: „Uns war klar, dass wir uns mit aller Kraft gegen diesen Angriff auf die Meinungs- und Informationsfreiheit wehren mussten. Daher beschlossen wir, uns nicht ’nur‘ vor Gericht zu verteidigen, sondern den Südtiroler SLAPP in der Öffentlichkeit so bekannt wie möglich zu machen.“

Das führte bereits vor dem Prozessbeginn im Herbst 2020 zu einer Welle der Empörung, die Arnold Schuler dazu bewegte, die Rücknahme der Anzeigen anzukündigen. Doch bis es schließlich wirklich soweit war, verging noch mehr als ein Jahr.

Urteil nach monatelangen Verzögerungen

Nachdem die Kläger zunächst den Rückzug vom Rückzug der Anzeigen angetreten hatten, erkannten sie zwar letzten Endes doch, dass die Debatte um den Pestizideinsatz in Südtirol nicht vor Gericht geführt werden sollte. Doch bis die Vollmachten aller 1376 Kläger eingesammelt waren und auch noch der letzte verbliebene Landwirt seinen Strafantrag zurückgezogen hatte, dauerte es bis Januar diesen Jahres. Erst dann war der Vorwurf der üblen Nachrede vom Tisch.

Damit war der Prozess aber trotzdem noch nicht vorbei, da es sich beim Vorwurf der Markenfälschung um ein sogenanntes Offizialdelikt handelt, das auch ohne Kläger bestehen blieb. Am letzten Prozesstag beantragte die Staatsanwältin jedoch für dieses angebliche Delikt eine Änderung der Anklage in üble Nachrede. Der Richter nahm den Änderungsantrag an, was zu einem sofortigen Freispruch führte. Die Begründung des Richters: Unzulässigkeit des Verfahrens nach dem Prinzip „Wo kein Kläger, da kein Richter“.

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