EU-Parlament stimmt pro Atom und Gas ab

Taxonomie: Notwendige Mehrheit für Ablehnung des Kommissionsvorschlags nicht erreicht

Das Europäische Parlament hat einen Antrag abgelehnt, der sich gegen die Einbeziehung von Kernkraft und Gas als ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten aussprach. Zu wenige Abgeordneten fanden sich zusammen um Einwände gegen den Delegierten Rechtsakt der Kommission zur Taxonomie zu erheben, der vorsieht, bestimmte Tätigkeiten im Bereich der Kern- und Gasenergie unter bestimmten Bedingungen in die Liste der umweltverträglichen Wirtschaftstätigkeiten aufzunehmen, die von der so genannten EU-Taxonomie abgedeckt werden.

Plenum des EU-Parlaments Straßburg – Foto © David Iliff – Eig. Werk, CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org

Da die Kommission der Ansicht war, dass private Investitionen in Gas- und Kernenergieaktivitäten im Rahmen des grünen Übergangs eine Rolle spielen könnten, hatte sie vorgeschlagen, bestimmte fossile Gas- und Kernenergieaktivitäten als Übergangstätigkeiten zu klassifizieren, die zur Eindämmung des Klimawandels beitragen. Die Einbeziehung bestimmter Gas- und Nukleartätigkeiten ist zeitlich befristet und hängt von spezifischen Bedingungen und Transparenzanforderungen ab.

Nur 278 von 353 für Veto nötigen Stimmen

278 Abgeordnete stimmten für die Entschließung, 328 dagegen und 33 enthielten sich. Eine absolute Mehrheit von 353 Abgeordneten wäre für ein Veto gegen den Vorschlag der Kommission erforderlich gewesen. Wenn weder das Parlament noch der Rat bis zum 11.07.2022 Einwände gegen den Vorschlag erheben, wird der delegierte Rechtsakt zur Steuergesetzgebung in Kraft treten und ab dem 01.01.2023 gelten.

Hintergrund

Die Taxonomie-Verordnung ist Teil des Aktionsplans der Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums und zielt darauf ab, grüne Investitionen zu fördern und „Greenwashing“ zu verhindern.

Stimmen

Dunkle Stunde für den Klimaschutz – BUND fordert Klage der Bundesregierung

Das Votum des Europäischen Parlaments für eine Taxonomie mit fossilem Gas und Atomkraft ist ein schwerer Rückschlag für den Klimaschutz. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert die Entscheidung aufs Schärfste und fordert die Bundesregierung auf, gegen das geplante Finanz-Öko-Label für Atom und Gas zu klagen. BUND-Vorsitzender Olaf Bandt: „Das ist ein schwarzer Tag für den Klimaschutz und für die Demokratie in Europa. Das Europäische Parlament hat mit deutlicher Mehrheit die Interessen der Atom- und Erdgaslobby über die Wissenschaft und die Belange des Klimaschutzes gestellt. Fossiles Gas und Atomkraft haben in einer Taxonomie für nachhaltige Investments nichts zu suchen. Damit sorgt die EU selbst in der Finanzwirtschaft für Kopfschütteln, denn die legt für ihre eigenen Öko-Labels strengere Maßstäbe an. Der Übergang in eine generationengerechte Energiewirtschaft wird so blockiert. Es bereitet mir große Sorge, dass nun noch mehr Geld in klimaschädlichen und gefährliche Technologien verbrannt werden kann, statt dringend notwendige Investitionen in die erneuerbaren Energien fließen zu lassen. Die Bundesregierung muss jetzt handeln und vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen den Taxonomie-Beschluss der EU-Kommission einreichen.“

Bereits im Vorfeld der Entscheidung haben Luxemburg und Österreich angekündigt, gegen die Aufnahme von Gas und Atom in die EU Taxonomie zu klagen. Der Beschluss verstößt gegen in der Taxonomie festgelegte Umwelt- und Klimaschutzkriterien und hebelt wichtige demokratische Entscheidungsprozesse aus.

„Mit dem Beschluss werden die völlig falschen Weichen gestellt: Gelder, die dringend im europäischen Ausbau von erneuerbaren Energien benötigt werden, können so in fossile und atomare Technologie angelegt werden. Das blockiert einen nachhaltigen Umbau des Energiesystems. Zudem werden Abhängigkeiten weiter gefestigt. Russland könnte durch den verstärkten Export von Uran, Atomtechnologie und Gas der große Gewinner der Taxonomie werden. Nicht ohne Grund haben russische Konzerne jahrelang hartnäckig in Brüssel lobbyiert. Die heutige Entscheidung ist ein fatales Signal für die klimapolitische Zukunft Europas.“
Auch die BUNDjugend kritisierte die Entscheidung scharf: „Wir sind fassungslos, dass das EU-Parlament zugestimmt hat, Gas und Atomenergie als nachhaltig einzustufen. Das ist offensichtliches Greenwashing und tritt die Bemühungen unzähliger junger Klimaaktivisten sowie die Interessen der gesamten jungen Generation mit Füßen. Gas und Atom sind nicht grün, sie sind nicht nachhaltig, sie sind gefährlich und bedrohen Frieden, Demokratie und Menschenrechte in Europa und der Welt. Die Entscheidung des EU-Parlaments ist ein krasses Versagen“, sagt Julia Dade, Beisitzerin im Bundesvorstandsmitglied der Jugendorganisation.

Greenpeace kündigt Klage wegen Verstoßes gegen Unionsrecht an

Nachdem das EU-Parlament den umstrittenen Vorschlag der EU-Kommission nicht verhindern konnte, Gas und Atomenergie als klimafreundlich einzustufen, kündigt Greenpeace eine Klage gegen den Beschluss an. Zuvor wird Greenpeace Deutschland gemeinsam mit mehreren europäischen Büros der Umweltschutzorganisation die EU-Kommission darauf hinweisen, dass ihr Beschluss gegen Unionsrecht verstößt: Erdgas und Atomenergie ökologisch nachhaltig zu nennen, ist mit der Taxonomie-Verordnung nicht zu vereinbaren. Sollte die Kommission den Beschluss darauf hin nicht ändern oder zurückziehen, wird Greenpeace vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen klagen. „Die EU darf Investoren nicht absichtlich im Dunkeln lassen, wo sie ihr Geld klimafreundlich und zukunftstauglich einsetzen können“, sagt Greenpeace Finanzexperte Mauricio Vargas. „Wer Gas und Atom nachhaltig nennt, stürzt die Finanzakteure in Orientierungslosigkeit, die zu windigen Angeboten einlädt und Klimaschutz untergräbt. Beides wollen wir mit der Klage verhindern.“

Belegbare Nachhaltigkeitskriterien würden für Investoren immer wichtiger, wie Erhebungen zeigten. Solange die EU nicht eindeutig unterscheide zwischen klimaschädlichen und nachhaltigen Investitionen, müssten Finanzinstitute diese Aufgabe übernehmen. Mit Frankfurt als größtem Finanzplatz der EU komme Deutschland dabei eine besondere Bedeutung zu. Der Betrugsskandal um falsch deklarierte Nachhaltigkeitsanlagen bei der Deutsche Bank Tochter DWS zeigt, dass die Branche dieser Verantwortung bislang nicht gerecht wird. Nur wenn die EU-Kommission ihren Beschluss zurückzieht, kann der Finanzsektor die dringend erforderlichen Investitionen in den klimaneutralen Umbau lenken. Ohne ein grünes Finanzwesen werden die Klimaziele nicht erreicht. “Der wachsende Wunsch in der Bevölkerung, mit Geldanlagen das Klima zu schützen, kann der Motor eines schnellen Umstiegs auf saubere erneuerbare Energien sein”, so Vargas. “Wie klar die EU ihre Richtschnur bei nachhaltigen Investitionen spannt, wird auf der ganzen Welt beobachtet. Europa darf hier nicht in die falsche Richtung weisen.”

Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität und Energiepolitik am Umweltinstitut München: „Groteskes Greenwashing: EU-Parlament winkt grünes Label für Gas und Atom durch“

Das Umweltinstitut kritisiert die Entscheidung und fordert die Bundesregierung auf, gegen das Vorgehen zu klagen. „Das gescheiterte Veto im EU-Parlament ist ein verheerendes Signal für die gesamte Klimapolitik der EU. Denn ein Nachhaltigkeitskatalog, in dem klare wissenschaftliche Kriterien durch die Interessen Frankreichs und Deutschlands an Atomkraft und Erdgas aufgeweicht werden, ist bestenfalls wertlos. Dieses schamlose Greenwashing beschädigt die Glaubwürdigkeit der europäischen Klimapolitik massiv“, kommentiert Hauke Doerk, Referent für Radioaktivität und Energiepolitik am Umweltinstitut. Für die Energiewende sei diese Entscheidung „verheerend“: Nun könnten unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit Milliarden in hochriskante und klimaschädliche Technologien investiert werden. Diese Finanzmittel würden für die Investitionen in Erneuerbare Energien fehlen, die wir dringend ausbauen müssten. Doerk weiter: „Das EU-Parlament hat heute die Möglichkeit verpasst, klare Nachhaltigkeitskriterien ohne Sonderregeln für Gas und Atom zu schaffen, die in Wirtschaft und Finanzbranche auch eine sinnvolle Anwendung finden. Nun können nur noch Klagen von einzelnen Mitgliedstaaten sowie des EU-Parlaments selbst das Greenwashing stoppen. Wir fordern daher die deutsche Bundesregierung und das EU-Parlament auf, den Klageweg zu beschreiten.“

Der Vorstoß der EU-Kommission per delegiertem Rechtsakt gelte als Kuhhandel zwischen den Interessen Frankreichs an Investitionen in seine überalterten Atomkraftwerke und den Interessen Deutschlands, die Gas-Industrie zu stärken. Die Ausschüsse für Wirtschaft (Econ) und Umwelt (Envi) hatten am 14. Juni klar für eine Ablehnung des delegierten Rechtsaktes der Kommission gestimmt.

VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing: „Erdgas als Brücke“

„Das Ergebnis der heutigen Abstimmung ist ein wichtiges Zeichen für die Rolle von Erdgas als Brücke hin zur Erreichung der Klimaziele. Es sendet ein klares Signal an die Energie- und Finanzwirtschaft, jetzt dringend notwendige Investitionen in den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft durch neue erdgasbetriebene, aber auf Wasserstoff umrüstbare Kraftwerke zu tätigen. Vor dem aktuellen geopolitischen Hintergrund ist es wichtiger denn je, unser Energiesystem durch erneuerbare Energien und treibhausgasneutrale Energieträger wie Wasserstoff unabhängiger von fossilen Importen zu machen. Dabei sind Transformationskraftwerke das einzige Vehikel, das Versorgungssicherheit und den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien verbindet. Dieses klare Signal, auch für die Transformation der Wärmenetze, muss nun durch entschlossene Maßnahmen der Bundesregierung flankiert werden. Wir brauchen Rahmenbedingungen in Form eines neuen Marktdesigns mit bedarfsgerechter Förderung, die einen wirtschaftlichen Betrieb neuer Kraft- und Heizkraftwerke ermöglichen. Andernfalls verlieren wir noch mehr der ohnehin knapp bemessenen Zeit, um die Klimaziele zu erreichen.“

DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Grünes Feigenblatt für Atomkraft und fossiles Gas“

Das EU-Parlament stimmte mit seiner Entscheidung gegen die Empfehlung der Umwelt- und Wirtschaftsausschüsse, die klar gegen diese Verwässerung der Taxonomie waren. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert diese Entscheidung aufs Schärfste, da so die Finanzierung neuer umweltschädlicher Gas- und Atomkraftwerke erleichtert wird. Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband prüft zudem rechtliche Schritte, um Investitionen in klimaschädliche Projekte zu verhindern. Begrenzte finanzielle Mittel müssen entschieden in eine beschleunigte Energiewende fließen, um die Klimakrise zu bekämpfen und die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen einzudämmen.

Sascha Müller-Kraenner: „Die EU-Abgeordneten lassen das Vorzeigeprojekt EU-Taxonomie mit ihrem Votum zu einem grünen Feigenblatt für Atomkraft und fossiles Gas verkommen. Die Öffnung der Taxonomie für fossiles Gas und Atomkraft ist angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine besonders verantwortungslos, denn sie zementiert die Abhängigkeit von Energieimporten und macht unsere Energieversorgung unsicherer. Anstatt die Klimakrise mit neuen Gaskraftwerken weiter zu befeuern, müssen wir jetzt mehr denn je in Erneuerbare Energien investieren. Nun ist der Rat der Europäischen Union gefragt: Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, den Vorstoß der EU-Kommission entschieden abzulehnen. Die Bundesregierung muss sich jetzt der geplanten Klage Österreichs und Luxemburgs gegen die Taxonomie anschließen. Auch wir werden als Umweltverband rechtliche Schritte gegen dieses absurde Greenwashing prüfen. Es geht darum, umweltschädliche Investitionen in Milliardenhöhe zu verhindern.“

Wie ein von der DUH in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten beweist, ist der Vorschlag der EU-Kommission nicht mit der EU-Taxonomie-Verordnung und dem in den EU-Verträgen verankerten Vorsorgeprinzip vereinbar. Die DUH wird alle Möglichkeiten unter der Aarhus-Konvention nutzen, um die Aufnahme von fossilem Gas und Atomkraft in die Taxonomie prüfen zu lassen, um letztendlich vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen zu klagen.

->Quellen: